Klaut uns Lützen den Branchenmixer?

Nach dem Uhrmacher hat jetzt im vorderen Teil der Leipziger Straße ein weiteres Geschäft seine Pforten geschlossen. Doch während Uhrmacher Mücke mit einem Dankeschön an seine treue Kundschaft erst die Reißleine und dann ins Anhaltinische zog, hinterlässt dieses Geschäft im Schaufenster eine Botschaft, die Fragen aufwirft.

Zunächst so viel: Ob und wann jemand sein Geschäft schließt, ist allein seine Sache und in jedem Fall wird das auch triftige Gründe haben. Es ist daher auch gut möglich, das die Baustelle Leipziger Straße ihren Teil dazu beigetragen hat, dass es so weit kam. Auch wenn die Bauzäune in jenem Bereich zwischen Schul- und Parkstraße schon seit fast einem Jahr verschwunden sind, mag es sein, dass manche Wunden nur langsam heilen, andere wiederum vielleicht gar nicht.

Doch fehlende Kundschaft wird noch nicht einmal als Hauptgrund angeführt, obwohl eine dreijährige Bauzeit und damit verbundene Vollsperrungen, von denen im Vorfeld niemand was gewusst habe, gleich in den ersten Zeilen genannt werden. Einer der explizit angeführten Gründe ist der unzureichende Branchenmix. Da sich die Stadt dafür nicht verantwortlich fühle, fehle ein Konzept und ohne das wiederum könne man das Geschäft aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht weiterführen.

Alles für das Wohl des Volkes

Nun ist es ja im Jahr 25 nach der Wiedervereinigung so, dass die Zeiten dem Himmel sei Dank vorbei sind, da vom Rat des Kreises fünf Jahre voraus geplant und festgelegt wurde, in welche leerstehende Bruchbude eine Drogerie einzuziehen oder wo ein Friseur aufzumachen hat. Den Branchenmix in der Leipziger Straße zu diktieren oder auch nur zu beeinflussen, wäre für die Stadt nur dann möglich, wenn ihre legislativen und exekutiven Organe die führende Rolle als Speerspitze der Arbeiterklasse zurückerlangen würden oder sie Eigentümerin der Ladenimmobilien wäre. Beides ist nicht der Fall.

Natürlich wäre es schön, wenn es beispielsweise eine Drogerie gäbe. Fast wäre es vielleicht so gekommen, aber Schlecker hat wohl lieber gleich dicht gemacht.

Somit gibt es also zwei Alternativen. Die erste Möglichkeit: Man will weitermachen und bildet einen Solidarpakt. Den kann man Werbegemeinschaft nennen oder Unternehmerstammtisch, Ladenverein oder wahlweise vielleicht auch Selbsthilfegruppe. Die meisten der ansässigen Händler haben das getan und werden, wenn sie das konsequent durchziehen, dereinst die Früchte dieser Tat ernten. Auch wenn ihnen mit solchen Botschaften wie der in jenem Schaufenster ein schwerer Packen aufgeladen wird, der von Solidarität oder wenigstens Sensibilität für die einstigen Nachbarn nicht viel spüren lässt. Andere haben ihre Sachen gepackt, was sicher auch eine Lösung ist. In vorliegendem Fall informiert die Botschaft im Schaufenster jedoch darüber, dass man nach Lützen umzieht. Jawoll … nochmal langsam zum Mitlesen: L Ü T Z E N.

Breit gefächertes Portfolio

Der Branchenmix in Lützen setzt sich zusammen aus einem Schreibwarenladen, einer Apotheke, noch einer Apotheke, einem Fleischer, einem Arzt, einem Zahnarzt, noch einem Arzt und noch einer Ärztin. Dazwischen noch eine Eisdiele und – falls es ihn noch gibt – ein Klamottenladen. Okay, einen kleinen Bäckerladen und einen Kosmetiksalon haben sie da auch noch. Diese Angaben sind selbstverständlich ohne Gewähr, denn auch in Lützen stehen öfter mal Umzugswagen vor den Ladentüren. Das einzig Beständige im Lützener Branchenmix ist das Schild des Fotografen, der schon seit 16 Jahren tot ist. Und ein Konzept … na ja. Man braucht da nur mal eine Stadtratssitzung zu besuchen. Vorher sollte man aber eine solche nicht in Markranstädt erlebt haben. Zu groß ist die Gefahr eines nachhaltigen Kulturschocks. Die Presse titelte da drüben schon: „Heftiges Nein gegen alles!“ Dort sind sie gegen einen Tagebau vor der Nase, aber gleichzeitig auch gegen Windkraft und Biomasse. Strom hat gefälligst aus der Steckdose zu kommen und vor Abstimmungen darf da schon mal aus dem Publikum gedroht werden, was wiederum das Landesverwaltungsamt auf den Plan ruft. Und da reden wir bei uns von aufgerissenen Gräben? Austrocknende Rinnsale sind das!

Ob sich die Stadtverwaltung in der anhaltinischen Nachbarstadt berufen fühlt, in den Branchenmix einzugreifen, darf ebenfalls bezweifelt werden. Erst jüngst ließ man dort ein größeres Catering-Unternehmen anstandslos ziehen. Der Witz: Ausgerechnet nach Markranstädt.

Man kann sich ja selbst mal die Frage stellen, warum der Broilermann diese Entscheidung traf, obwohl man direkt neben einem nur spärlich gefüllten Lützener Gewerbegebiet ansässig war, dessen größte Fläche ein Erdbeerfeld darstellt? Ein Umzug hätte quasi „über die Straße“ erfolgen können – und doch hat die Firma ihre Standortentscheidung für Markranstädt getroffen.

Chancen, Chancen, Chancen

Das hat natürlich nichts mit Branchenmix zu tun oder so. Der wird ja nicht von den kleinen Tante-Emma-Läden bestimmt, sondern von den ganz Großen der Branche und davon hat Lützen genug. Schwarz-Netto im Nordosten, Rot-Netto in der Süd-Vorstadt und Norma im Westend, gleich gegenüber der Großtankstelle, die man ja braucht, wenn man über ein Standortmerkmal wie die Autobahnauffahrt verfügt. Die Nutzung dieser Standortmerkmale ist übrigens auch pikant. Keine 500 Meter sind es vom Ortsausgang bis zur Auffahrt auf die A 38. Woanders würde man damit werben, dass sich der Anschluss direkt vor Ort befindet. In Lützen war das bis vor kurzem anders. Da hieß es im Exposé des Gewerbegebietes, dass es bis zur Autobahn 3 (in Worten: drei) Kilometer sind. Jetzt hat man das auf einen Kilometer verkürzt. Dafür hält man am Hinweis eisern fest, dass es in Lützen keinen Hafen gibt.

Wie auch immer: Der Branchenmix in Lützen ist vielfältiger geworden und dass da mal Straßen ausgebaut werden, ist dort auch nicht so schnell zu erwarten. Also: Nichts wie hin!

Nachsatz

Warum diese Zeilen? Nun – keiner der Händler in der Leipziger Straße hat es in den letzten Monaten leicht gehabt. Sie haben alle gekämpft. Zuletzt haben sie sich sogar organisiert, um sich auch perspektivisch dem Wellengang der Wirtschaft erfolgreich stellen zu können. Man kann sein Geschäft auch aufgeben oder woanders hin gehen. Diese Entscheidung steht jedem Unternehmer frei. Dabei aber eine solche Botschaft zu hinterlassen und damit zu suggerieren, dass es unsinnig ist hierzubleben, ist ein Bärendienst für all Jene, die hierbleiben wollen…oder müssen.

 

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