Stehende Ovationen mit Miktionshintergrund

Gibt man bei Google das Wort urinieren ein, kommen solch eigenartige Vorschläge, wie „urinieren in der Öffentlichkeit“, „urinieren englisch“ oder gar „urinieren brennt“. Das wirft zweifelsfrei mehr Fragen auf als Antworten. Wie um Himmels Willen uriniert man englisch? Muss man da warten, bis Nebel aufzieht oder dabei das linguistisch korrekte ‚th‘ mit der Zunge schnalzen? Und wieso brennt urinieren? Wer schon mal ein Lagerfeuer entfacht hat, könnte bestenfalls ein „urinieren löscht“ nachvollziehen. Was aber generell fehlt, ist ein Hinweis auf urinieren im Stehen und dazu gibt es seit dieser Woche sogar ein Gerichtsurteil.

Die Entscheidung des Düsseldorfer Amtsgerichts, dass Männer grundsätzlich im Stehen urinieren dürfen, hat weitreichende Auswirkungen. Eine davon: Endlich dürfen sich auch mal Satiriker des Themas annehmen, ohne gleich in die indiskrete Schäm-Dich-Ecke geschoben zu werden. Der Begriff „urinieren“ ist praktisch über Nacht gesellschaftsfähig geworden. Wir wollen aus sittlichen Gründen trotzdem lieber auf die wissenschaftliche Variante ausweichen und den Vorgang fachgerecht „miktionieren“ nennen.

Nun ist es also amtlich: Sogar in einer Mietwohnung darf sich die Spezies Mann in aufrechter Haltung ihrer liquiden Lasten entledigen. Allerdings, so schränkt das Urteil ein, nur ‚grundsätzlich‘. Wer die Juristensprache kennt, der weiß, dass dieser Begriff Ausnahmen zulässt. Da diese leider nicht näher beschrieben sind, ist viel Spielraum für die eigene – und hier vor allem die weibliche – Fantasie gegeben.

Biologie setzt Grenzen

Die Ausnahmen sollten aus Sicht der Frau beispielsweise dann gegeben sein, wenn ER sein Werkzeug nicht ordnungsgemäß zu bedienen versteht oder auch schon von der Natur nicht mit den optimalen Voraussetzungen gesegnet wurde, den Akt der Erleichterung zielgerichtet vollziehen zu können. Das Spektrum reicht hier von nicht kalkulierbarer ballistischer Kurve bis hin zu den unterschiedlichen Konstruktionsmerkmalen der Auslassdüse, was dann zum viel kritisierten Gießkanneneffekt und – ja, das vor allem – einer hohen Kontaminierung des an das Zielgebiet angrenzenden Umfeldes führt.

Andererseits: Haben wir Frauen die maskulin-aufrechte Art der Stand-Miktionierung nicht schon oft beneidet? Denken wir nur an den Winterurlaub auf der Piste. Mangels Schrittöffnung im Overall-Ski-Anzug sind wir bei voller Blase praktisch gezwungen, einen kompletten Strip hinzulegen. Allein die Suche nach einem entsprechenden Örtchen mitten im Wald dauert schon ewig und dann kommt da noch der Ent- und Ankleideprozess hinzu. Da kann Frau froh sein, wenn vor Verlassen des Örtchens inzwischen nicht schon das Tauwetter eingesetzt hat.

Bilder im Schnee

Aber auch der Mann hat damit so seine Probleme. So reicht der Reißverschluss des Ski-Anzuges nur selten bis in die Region hinab, auf die es ankommt. Dann hat er meist noch eine Trainingshose darunter oder zumindest eine lange Unterhose und schließlich auch einen Slip, vorzugsweise ohne Eingriff. Es ist leicht vorstellbar, welche Marginalie schließlich ans Licht kommt, nachdem das Organ durch das Labyrinth aus linkem Hosenbein des Slips, rechts angelegtem Eingriff der langen Unterhose und schließlich dem viel zu hohen Ende des Reißverschlusses in der Nabel-Gegend gefädelt wurde.

Was dann so an den Bäumen neben der Piste beim Versuch zu sehen ist, die eigenen Schuhe zu verschonen, hat mit aufrechter Haltung nichts mehr gemein. Es sieht so hilflos aus, dass selbst bei Frauen der eigentlich dem Manne zugesprochene Beschützerinstinkt geweckt wird und man der armen Kreatur nur irgendwie helfen möchte. Vielleicht an den Hüften festhalten, damit er sich noch weiter vorbeugen kann, Mut zusprechen oder einfach nur die Skistöcke halten? Jedenfalls gehört die Mär, das der Mann in der Lage ist, ganze Liebesschwüre in den Schnee zu schreiben, definitiv ins Reich der Legenden. Gefrorene Schnürsenkel, die irgendwann auch wieder auftauen, sind dagegen eklige Realität.

Zum Glück ist Winterurlaub nur einmal im Jahr. Aber zu Hause ist immer, und da hört der Spaß irgendwie auf. Als Frau hat man ja wenig Ahnung, welche naturwissenschaftlich erklärbaren Prozesse beim Miktionieren des Mannes so in Gang kommen. Allein aus biologischer Sicht scheint es zumindest höchst erstaunlich, in wie viele Richtungen gleichzeitig so ein männlicher Miktionsstrahl den Körper verlassen kann. Ob da überhaupt eine halbwegs repräsentative Masse ins Abwassersystem gelangt?

Man kann sich sicher lange darüber streiten, wer wann was und in welcher Qualität wegzuwischen hat. Und ganz bestimmt wird die Frau nie im Leben das Rätsel lösen können, wie es ein Mann schafft, den geöffneten, vertikal an die Wand geklappten Klodeckel sogar von hinten zu treffen. Im Prinzip handelt es sich in den meisten Fällen damit um eine anstehende Komplettreinigung der gesamten Toilette. Und der Düsseldorfer Richter hat nun entschieden, dass das hinzunehmen ist.

Berufung auf die Klassiker

Klar, er weiß schließlich an besten, warum das so ist und auch er wird sich jedesmal vor Beginn des unheilvollen Miktionsprozesses sagen: „Hier steh‘ ich nun und kann nicht anders.“ Das ist die einzige Möglichkeit, sich die nachfolgenden Konsequenzen schönzureden. Dann noch fein die Hände waschen und schnell weg aus dem Krisengebiet.

Um diesen Zustand zu ändern, müsste man entweder die physischen Konstruktionsmerkmale des männlichen Ausscheidungsorgans umgestalten oder … Ja, man könnte natürlich auch den Hebel an der Funktionalität der abendländischen Toilettenarchitektur ansetzen. Je näher das Ziel, umso höher die Treffsicherheit. Pissbecken nennt man das im Volksmund und zumindest in öffentlichen Erleichterungsanstalten sind sie in der Regel vorhanden. Warum also nicht auch zu Hause, sozusagen als vorgeschriebener Standard? Wenn neuerdings sogar die maximale Stromaufnahme von Staubsaugern von der EU vorgeschrieben wird oder der Verzicht auf Heizplatten an Kaffeemaschinen per Gesetz verankert wird, wäre sicher auch ein neuer Kultur-Kanon auf den privaten Klos durchsetzbar.

Im Bereich der festen Ausscheidungen ist man da in Europa wesentlich weiter. Sogar die Durchschnittseinlage des EU-Bürgers beim großen Geschäft ist bereits genormt worden. Die liegt bei 110 Gramm, darf aber durchaus in täglich mehreren Tranchen abgesetzt werden. Weitere Kriterien der Funktionsnorm 997, in der die „konstruktiven und funktionellen Anforderungen an Klosettbecken mit angeformtem Geruchsverschluss“ niedergelegt sind, fordern unter anderem, dass

  • die vom Spülwasser unberührte Fläche 50 Quadratzentimeter nicht überschreiten darf
  • bei vier von fünf Spülungen 12 Blatt Toilettenpapier auf einmal verschwinden müssen
  • bei acht von zehn Spülvorgängen noch 2,5 Liter Wasser in die Kanalisation laufen müssen, nachdem das Exkrement weggeschwemmt wurde.

waldkloDie letzte Domäne ist gefallen: Nicht einmal im Wald darf man mehr sitzen.

Angesichts dieser klaren Regelungen bei der Behandlung fester Ausscheidungsstoffe wäre es doch gelacht, wenn man nicht auch passende Normen finden könnte, die den männlichen Miktionsstrahl in die richtige Richtung lenken.

Aber wollen wir das wirklich? Nicht auszudenken, wohin die Mieten explodieren würden, wenn sämtliche Toiletten per Gesetz nachzurüsten sind.

Die Natur wirds regeln

Schon jetzt ächzt Markranstädt unter zweistelligen Steigerungsraten der Mietpreise in den letzten 18 Monaten. Da wäre es wahrscheinlich günstiger, auf die guten alten Windeln zurückzugreifen.

Das Gefühl der Macht und des Stolzes beim Stehend-Miktionieren scheint ohnehin von eher flüchtiger Natur. In den voll besetzten Seniorenheimen der Stadt ist es längst ein offenes Geheimnis, dass die Männerwelt irgendwann von ganz allein an den Punkt gelangt, wo sie froh ist, wenns wenigstens im Liegen klappt.

 

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