Fieberhaft suchen Verschwörungstheoretiker weltweit nach den Ursachen für die Katastrophe, von der auch Markranstädt betroffen war. Zumindest die Regionen der Stadt, in denen es Internet gibt. Am Dienstag hatte irgendwer irgendwo auf der Welt das Facebook kaputt gemacht. Rund eine Stunde lang war es, als hielte die Welt den Atem an. Kurz bevor die ersten Menschen ihre Siuzid-Gedanken wahr machen konnten, flackerte es jedoch auf den Monitoren und Zuckerbergs Heiland war wieder da. Aber die Folgen dieser Katastrophe haben dramatische Ausmaße.
Eine Stunde ohne Facebook! Erst jetzt weiß man, was das in der Praxis bedeutet. Ganze Städte wurden in Schutt und Asche gelegt, weil niemand mehr da war, der die Verteidigung vor den heranrückenden Armeen organisieren konnte. Bei Farmville ging nahezu die gesamte Versorgung unseres Planeten mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Flammen auf. Dramatische Szenen spielten sich auf nahezu sämtlichen Servern unseres Erdballs ab.
Doch auch im echten Leben hinterließ der Facebook-Ausfall eine Schneise seelischer Zerstörung quer durch die Gesellschaft. In Miltitz musste ein Familienvater in die Psychiatrie eingeliefert werden. Er zerbrach daran, dass er seiner Frau das Foto vom Mittagessen nicht posten konnte.
Aber der Mann hatte wenigstens was zu essen. Härter traf es nämlich eine Markranstädter Familie, die ihren Sohn im Kinderzimmer nicht erreichen konnte. Vergeblich versuchte die Mutter, dem Jungen die Nachricht zu senden, dass das Essen fertig sei. In ihrer Verzweiflung teilte sie diese Mitteilung mit allen ihrer 1.972 Freunde, doch auch die waren von der Außenwelt völlig abgeschnitten.
Sogar Demos mussten verlegt werden
Noch weitreichendere Auswirkungen hatte die Tragödie auf die Streitkultur im Freistaat. So war die Leipziger Ausländerhilfsorganisation Legida außerstande, auf analogem Wege genügend Unterstützer für ihre am folgenden Tag geplante Sammelaktion zu organisieren und sah sich veranlasst, die Maßnahme auf Freitag zu verschieben.
Drohende Klagen wegen entgangener Likes
Und selbst in Markranstädt war das Sendungsbewusstsein streitbarer Facebook-Aktivisten vorübergehend außer Kraft gesetzt. Zudem trauern Unternehmen den in rund einer Stunde virtueller Stille entgangenen Likes nach. Die sind ja heutzutage immerhin sowas wie ein Gradmesser der Wertschöpfung.
Aber es gab auch Lichtblicke an diesem dunklen Tag. Lieselotte Hinkelmeier aus Priesteblich beispielsweise bekam gar nicht mit, wie die Welt um sie herum aus den Angeln gehoben wurde.
Während sich ihr Enkel im Nachbardorf Markranstädt in einen wahren Blutrausch steigerte und seinem Smartphone Namen wie Motherfucker, Spast, Opfer oder Spacko verlieh, weil er seinem Kumpel nicht posten konnte, dass er gerade auf dem Klo sitzt, legte die rüstige Seniorin einen alten Hausschuh im Küchenherd nach und rührte die Linsensuppe um. Als sie fertig war, rief sie die analoge ID ihres Mannes und beide setzten sich an den gedeckten Tisch.
1 Kommentar
Hä, hä. In quasi selbstgefallender Häme habe ich von diesem Katastrophenfall vernommen. Wäre ohne die MN sowieso an mir vorbeigerauscht. Aber da es sicher kein Einzelfall in meinem Leben „war_ist“, freue ich mich über diese einzigartige Möglichkeit, mich auch mal als jemand gut zu fühlen, der den Schuss der Neuzeit einfach nicht hören will – explizit als Teilnehmer der Facebook-Gemeinde – und der sich somit zu denen gesellt, die statt stets bedröppelt zu spät zu kommen, sich gleich die Plätze in den hinteren Rängen der Null-Acht-Fuffzehn-User sichert. Ehrlich, mir reichen die normalen Konflikte mit meinem Laptop, den Fehlmeldungen aus dem Drucker, dem amtlichen Mist aus dem Briefkasten… Freilich nutze ich die Vorteile von Computer und Internet, aber ich gehe nicht auf den ungewinnbaren Parcours, bei dem jeder mit jedem auf der Welt quatschen muss. Dann rede ich mit meinen Freunden oder mit meinem Kater, ist mir wichtiger!
Gibts noch andere glückliche Verweigerer? m_t