Bei genau 36,4 Grad Celsius überm Gullydeckel startete am Sonntag der Umzug zum 140. Markranstädter Kinderfest. Der Ozon-Messer zeigte kritische 208 µg/m3 an, so dass der Rettungsdienst schon mal ein ausreichend großes Fahrzeug am Ende des Umzugs positionierte. Besenwagen nennt man das Fahrzeug bei der Tour de France, in dem die Zurückgebliebenen und Siechen aufgenommen werden. Aber was will man machen, wenn es der Herr mehr als gut mit dem Wetter meint?
Es gab Jahre, da war das Wetter so mies, dass man mit weniger als 36 Volumenprozenten in der Flasche gar nicht loslaufen wollte. Jetzt gabs 36 Grad und diesmal hatten die Teilnehmer Wasser mit an Bord – und davon gaben sie dem Publikum an den Straßenrändern reichlich ab.
Es waren physische Höchstleistungen, die den Damen, Herren und insbesondere Kindern bei diesen tropischen Temperaturen abverlangt wurden. Vor allem dann, wenn sie noch ein Kostüm tragen mussten, mit dem man normalerweise gut durch den Winter kommt. Stadträtin Martina Merkel beispielsweise trug ein solches Gewand.
Der Fächer in ihrer Hand beschrieb einen rotierenden Halbkreis, was ihr zum allgemeinen Unwohlsein wegen der Hitze auch noch einen Tennisarm eingebracht haben könnte. Statt Festwiese war hinterher erstmal Rekonvaleszenz angesagt, was übrigens für die Mehrzahl der Umzugsteilnehmer galt.
An ihren Kleidern sollt ihr sie erkennen
Kleidungsmäßig ganz clever hatte ein Anderer die Situation gelöst. Fast hätte man meinen können, dass sich die Reinkarnation von Maurice Chevalier unter die Marschierenden gemischt hätte. Zumindest wurde sein Strohhut im Umzug entdeckt. Aber es war dann doch nicht ein französischer Chansonnier mit sächsischen Meriten, sondern ein friesischer Arzt mit Markranstädter Amtskette. Man musste wirklich zweimal hinsehen, um zu erkennen, wessen Haupt der luftige Hut schmückte.
Derweil schickte der gelbe Planet alles zur Erde, was er so im Fundus hatte. UV-Strahlen, Hitze, Licht – das ganze Repertoire. So litten sich die Umzugsteilnehmer Meter um Meter voran. Eine wunderschöne Geste erwartete die Kinder an der Kreuzung Alberstraße / Hordisstraße. Dort verteilten Zuschauer Eis für die Kleinsten. Das kam an und dafür gabs ausnahmsweise mal Beifall von der Straßenmitte hin zum Straßenrand.
Der Umzug stand unter dem Motto „In Sachsen, wo die schlausten Köpfe wachsen“ und präsentierte Erfindungen „made in saxonia“. Na gut: Köpfe, selbst kluge, wurden da nicht unbedingt erwähnt. War aber auch gut so. Bei Personen gibt es bekanntlich oft zwei Seiten einer Medaille und nicht auszudenken, wenn da plötzlich Walter Ulbricht auf dem Festwagen getanzt hätte. Immerhin hat der Spitzbärtige auch was zu bieten in Sachen sächsischer Erfindungsreichtum. Eine Mauer zu bauen, ohne sie zu errichten, ja? … oder überholen ohne einzuholen, ja? Schlau ist das schon, irgendwie.
Zwischen Mauerbau und Zahncreme
Da es aber um die Sache ging und weniger um die Personen, fuhren dann so interessante Dinge durch Markranstädts Straßen, wie die erste Trommelwaschmaschine der Welt, das erste Feinwaschmittel, Plauener Spitze, eine Silbermann-Orgel oder Zahncreme und Melittas Filtertüten.
Dicke dabei beim Umzug waren die Kulkwitzer. Die Fußballer hatten einen Rastelli vorausgeschickt, der trotz tropischer Temperaturen zeigte, wie man mit „Hacke-Spitze-eins-zwei-drei“ das runde Leder dressiert. Nichts verlernt in der Zeit ohne Fußballplatz. Der Festwagen selbst war eine Reminiszenz an die Gründung des DFB in Leipzig.
Der Kultur- und Faschingsverein Seebenisch war nicht nur beim Umzug dabei, sondern hatte bereits am Vortag einen Programmteil auf der Festwiesen-Bühne gestaltet. Überhaupt waren allerhand Vereine aus den umliegenden Enklaven Markranstädts vertreten. Hat leider noch immer ein bissl was von Einbahnstraße, aber was nicht ist, kann ja noch werden, im Jahr 15 nach der Heimholung der Dörfer ins Reich.
Überrascht war man aber nicht nur über die Zahl der Teilnehmer, sondern auch der Zuschauer an den Straßenrändern. Es waren Tausende. Und das bei einem Wetter, bei dem man sich lieber im kühlen Keller verbarrikadiert oder bis zum Hals im Kulki steht. Gut: Kann sein, dass sich die eine oder andere Oma im Rollstuhl nicht dagegen wehren konnte, vom Schwiegersohn an den Straßenrand geschoben zu werden, aber unterm Strich war ausgelassene Volksfest-Stimmung angesagt.
Die pflanzte sich bis zur Festwiese fort. Alles, was nicht mit seinen Hunden am Kulki war, schien sich im Park zu versammeln und dort kam es dann auch zum großen Finale. Neben dem Umzug ist bekanntlich das Feuerwerk der größte Publikumsmagnet. Nachdem Petrus den ganzen Tag geschlafen hatte, meldete er rund 45 Minuten vor dem großen Showdown seinen Willen zur aktiven Mitwirkung an.
Das Machtwort der Basis
Da konnte einem mit Blick in den Himmel schon ziemlich Bange werden, ob das Licht der Raketen überhaupt ausreicht, um dem ganzen Geblitze da oben wenigstens ansatzweise etwas entgegensetzen zu können.
Aber Markranstädt bewies wieder einmal, dass ein streitbares Völkchen auch gegen den Himmel ankommt. Demokratie von unten! Kurzerhand wurden die Feuerwerkskörper eine halbe Stunde früher gezündet und bei so viel Basiswillen hatte auch Petrus nichts mehr zu melden. Er zog murrend von dannen und hinterließ eine zufriedene Gemeinde, die nur deshalb ebenfalls abzog, weil am Montag wieder eine Arbeitswoche beginnt. Der einzige Trost an solch einem Montag: Wenn morgen vorbei ist, dann ist übermorgen schon wieder Freitag…
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