Almosen nährt das Elend, Öl die Flamme

Die T-Shirts mit der Aufschrift „Freiheit für Syrien“ ziehen sie nur innerhalb der EU an. „Spätestens beim Grenzübertritt in die Türkei sollte man sowas nicht mehr tragen.“, sagt Khalil Mislem vom Verein „Flüchtlingshilfe für Syrer e.V.“ Der hatte gestern in Markranstädt einen Transporter mit Hilfsgütern beladen und will diese direkt zu den Betroffenen bringen. Was zunächst wie ein ganz normaler Vorgang klingt, entpuppt sich im weiteren Gespräch als Himmelfahrtskommando mit ungewissem Ausgang.

Was die Mitglieder und Helfer des Vereins beim Beladen des Transporters zu erzählen haben, ist so erschütternd, dass sich Satire ganz von selbst verbietet. Es wird diesmal ein ernster, sehr nachdenklich stimmender Beitrag, so viel ist schon bei der Begrüßung klar.

Da ist Khalil Mislem, der den Transporter fahren wird. Eigentlich wollte er schon vor zwei Monaten los, aber mitten in die Vorbereitungen hinein platzte das IS-Massaker von Kobane. Sämtliche Helfer vor Ort, die er von Deutschland aus für die Verteilung der Hilfsgüter organisiert hatte, kamen dabei ums Leben. Auf die Frage, ob er denn auch Mitglieder seiner Familie dabei verloren habe, dreht er sich weg und sagt im Gehen: „Zehn Verwandte.“

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Kleidersäcke, Medikamente und Rollstühle werden in der Nordstraße verladen.

Und da ist Sarah Archonkieh. Die 25-jährige studiert Arabistik, spricht ebenfalls fließend deutsch und beherrscht zudem sogar sächsisch. Sie wird während der 7.000 Kilometer langen Tour neben Khalil Mislem im Transporter nach Syrien sitzen. Angesichts dessen, was sie möglicherweise erwartet, könnte man annehmen, dass die junge Frau nicht weiß, was sie da tut. Aber was das für Gefahren sind und wie unglaublich die internationale Gemengelage ist, das erfahren wir erst später.

Sarah könnte „Glück“ haben

Khalil Mislem weiß genau, worauf er sich einlässt. Er war schon mal mit einem Hilfstransport in Syrien. In Aleppo. Dort ist er von einer IS-Einheit verhaftet und wegen Besitzes einer Liste mit Hilfsgütern zum Tode verurteilt worden. Einem Freund, der die Verhaftung gesehen hat, ist es gelungen, Khalil da rauszuholen.

Gefoltert und mit inneren Blutungen, gelang Khalil die erneute Flucht aus Syrien. Er weiß, dass das Todesurteil bei einer erneuten Festnahme vollstreckt wird. Sarah könnte vielleicht mit dem Leben davon kommen. Frauen werden meist als Sklavinnen verkauft.

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Sarah ist jetzt garede mit Khalil unterwegs nach Syrien. Mal erhrlich: Wenn Sie die Mutter dieser sympathischen jungen Frau wären und wüssten, wohin sie fährt…

Was die Kinnladen der Presseleute vor Ort gleich reihenweise runterklappen lässt, ist die Information der Vereinsmitglieder, dass das eigentliche Krisengebiet schon weit vor dem eigentlichen Krisengebiet beginnt. Nämlich schon an der Grenze Europas zur Türkei.

Wenn der NATO-Partner fremd geht 

Die verlangt, dass Hilfsgüter verzollt werden. Rund eintausend Euro macht das pro Transporter aus. Geld, das der Verein nicht hat. Deshalb fahren Khalil und Sarah auf geheimen Wegen in und durch die Türkei bis zur syrischen Grenze. Das ist auch der Grund, warum die Männer und Frauen des Vereins nicht viel erzählen über die Route. Dass sie über die Hintergründe generell nicht gern berichten, hat jedoch andere Ursachen.

Sie fürchten Repressalien gegen ihre noch immer in Syrien lebenden Familien, reden nur, wenn ihr Name nicht genannt wird. Und so erfahren wir sozusagen hinter vorgehaltener und dennoch aus erster Hand, was der IS eigentlich ist und welche Rolle die internationale Staatengemeinschaft dabei spielt.

Was das für Leute sind beim IS, wollen wir wissen. Die Antwort ist ebenso überzeugend wie kurz: „Keine Menschen!“ In Anbetracht unserer fragenden Gesichter wird ergänzt: „Nein, wirklich nicht.“ Und dann sprudelt es plötzlich aus ihnen heraus.

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Beim Beladen sind starke Männer gefragt, die auch mal einen 5-Kilo-Sack werfen können. Alles ist organisiert und muss effizient verlaufen. In 18 Stunden gehts los!

Die wenigsten IS-Kämpfer seien Syrer, und noch weniger Moslems. Im IS-Gefangenenlager habe er unter seinen Bewachern von Englisch über Französisch, Spanisch und Deutsch bis Russisch nahezu alle Sprachen gehört, erzählt ein Syrer. Mitunter wäre es den IS-Leuten nicht einmal möglich, untereinander zu kommunizieren. „Als ich gefesselt da lag, kamen plötzlich zwei Deutsche und der eine sagte, dass das da hinten ein Syrer wäre, der heute geschlachtet wird. Ich dachte erst, die hätten mich gemeint und ich habe erschrocken den Kopf gehoben und sie angeschaut. Daraufhin wurde ich mehrmals eindringlich befragt, ob ich deutsch sprechen und sie verstehen würde. Es gelang mir, sie davon zu überzeugen, dass ich kein Wort verstanden habe.“

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Neben Medikamenten, Rollstühlen, Kleidung und Decken gehen so manche Hoffnungen, Wünsche und Gedanken mit auf die Reise in die Heimat.

Der IS rekrutiert seine Kämpfer gern unter jungen Menschen in Europa. „Die kennen das aus Computerspielen und plötzlich sehen die ein IS-Video, wo gesagt wird: ‚Kommt zu uns. Wir haben hier jede Menge Spaß und Geld und alles, was ihr wollt!‘ Na ja, da gehen die halt hin, weil es ihnen in Europa zu langweilig ist. Beim IS haben sie Computerspiele in echt.“

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Khalil, der Kraftfahrer, wurde vom IS zum Tode verurteilt. Trotzdem fährt er wieder nach Syrien – aus Solidarität mit denen, die von dort nicht fliehen können.

Ein Anderer kann das mit der Langeweile bestätigen. Er habe mitten im IS-Gebiet einen Japaner getroffen, der eine Kamera dabei hatte. Darauf angesprochen, habe der Japaner gemeint, dass er Beamter sei, ihm dieses Dasein aber zu langweilig geworden wäre und er nun den Kick in einem Krisengebiet suche.

Die IS-Mitglieder fahren mit nagelneuen Geländewagen herum, haben moderne Waffen und IT-Technik. Das Geld dafür stamme, so erfahren wir, aus den von ihnen kontrollierten syrischen Ölfeldern. Da plötzlich kommt ein etwas älterer Syrer dazu und nimmt uns das Versprechen ab, seinen Namen nicht zu veröffentlichen.

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Der Transporter wird beladen. Rollstühle, Verbandsmaterial, Kleidung und Decken gehen gemeinsam mit Grüßen und Abschiedsstimmung auf die Reise in die Heimat.

Dann sagt er: „Sie wollen wissen, wie man den IS bekämpfen kann? Ich sage ihnen, wie das geht. Die verkaufen das syrische Öl an die Türkei und die verkauft es weiter in die ganze Welt, vorwiegend natürlich an die EU. Ist doch kein Wunder, dass IS-Leute frei durch die Türkei fahren können, während wir festgehalten werden und für Hilfsgüter sogar noch Zoll bezahlen müssen. Schauen sie sich mal die Videos im Internet an.

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Etikett auf einem Kleidersack mit Kindersachen. Auch wenn sie gebraucht sind und nicht verkauft werden: EU-Beitrittskandidat Türkei will Zoll dafür, um weiter syrisches Öl für den Islamischen Staat verkaufen zu können. Präsident Erdokan: „Der Islam ist in Europa auf einem guten Weg.“

Das Massaker von Kobane. Da sieht man genau, woher die IS-Fahrzeuge kamen und das war nicht aus Richtung Syrien. Ich sage ihnen: Wenn die internationale Staatengemeinschaft nur einen Monat lang kein Öl mehr von der Türkei kauft, hört der IS von ganz allein auf zu existieren.“ Unglaubliche Worte und wir fragen in die Runde, wie das die anderen Syrer sehen. Sie nicken.

Sarah & Khalim: Mut, der Mut macht

Khalil Mislem und seine Beifahrerin Sarah Archonkieh sind heute früh in Markranstädt aufgebrochen und jetzt bereits auf einer Straße irgendwo in Europa unterwegs nach Syrien. Auf der Ladefläche befinden sich neben 13 Rollstühlen auch Rollatoren, Medikamente und Kleidung, die in Säcken getrennt nach Männer-, Frauen- und Kindersachen geladen wurden. Auch Decken und Spielzeug befinden sich unter den Hilfsgütern. Die 3.500 Kilometer Hinweg im klapprigen Transporter sind dabei noch das kleinere Problem.

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Los gehts. Kommt heil zurück, Sarah und Khalil.

Wir wünschen den Beiden, dass ihre Hilfe da ankommt, wo sie gebraucht wird und dass sie heil wieder nach Hause kommen. Denn in ihrer Mission ist nicht nur das Ziel der Reise eine potenzielle Gefahr für Leib und Leben, sondern auch jede Rückfahrt eine erneute Flucht.

 

2 Kommentare

    • Peter auf 16. September 2015 bei 13:13
    • Antworten

    schliese mich dertho mit der Ausage an.
    Frage mich jedoch, wenn dies (Oil und Türkey) mit Sicherheit auch in Regierungskreisen bekannt ist, warum niemand etwas unternimmt!
    Ist es vieleicht sogar gewollt?

    • dertho auf 15. September 2015 bei 5:56
    • Antworten

    Da kann man eigentlich nur viel Glück , eine gute Fahrt und gesunde Rückkehr wünschen.

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