Zwischen Recht auf Asyl und Recht auf Information

Tja, sie geht einem langsam schon auf den Zeiger, die A- wie Asyl-Debatte. Aber leider scheint es zur Zeit kein anderes Thema zu geben. Weder in Markranstädt noch in Sachsen oder draußen in der Bundesrepublik. Überall tummeln sich Experten, jeder weiß was und vor allem jeder weiß es besser. Im Fernsehen kann man sich eigentlich nur noch fliegende Kampfhaie auf Tele 5 ansehen oder Tom & Jerry. Das MN-Team hat lange gesucht nach einem Sonnenstrahl, doch kaum war der gefunden, hatte er auch wieder einen Schwanz mit der berühmten A-Frage.

Wenn Daniel Ellsberg (oben links) am 21. Februar in unserer Landeshauptstadt den internationalen Dresden-Preis erhält, werden die Journalisten beides spitzen: sowohl die Ohren als auch die Bleistifte. Ellsberg ist immer gut für einen politischen Knaller. Er ist die Ikone gesellschaftlichen Anstands. In den 70ern hat er sein Leben und das seiner Familie aufs Spiel gesetzt, um die Wahrheit über den Vietnam-Krieg zu offenbaren.

Daniel Ellsberg ist der bekannteste Whistleblower unserer Zeit und er hat keinen Deut nachgelassen. Noch heute behauptet und beweist er, dass kein Krieg ohne eine Lüge begonnen wird und die Opfer hinterher niemanden interessieren. Bei Hitler war es der Überfall auf den Sender Gleiwitz, bei Bush jun. Atomanlagen im Irak. Beide sind zu Massenmördern geworden, aber während der eine als Bestie in die Geschichte einging, wird der andere gefeiert. Noch.

Gefeiert wird heutzutage auch Daniel Ellsberg. Aber der 84-jährige weiß auch, dass es eigentlich keinen Grund dafür gibt, sich feiern zu lassen. Zu traurig sind die Schicksale seiner Gefährten. Seine Nachfolger, also Menschen, die genauso wie er gehandelt haben, sind nämlich heute in den USA inhaftiert oder werden mit Haftbefehlen gesucht. Und niemand hilft. Gleich gar nicht Deutschland.

Da ist zum Beispiel Chelsea Manning. Sie hat Videos öffentlich gemacht, auf denen unter anderem der Mord amerikanischer Soldaten an irakischen Zivilisten und Reuters-Journalisten gefilmt wurden. Nur weil sie eine walisische Mutter hat und Großbritannien Protest einlegte, kam sie um die Todesstrafe herum und sitzt nun für „nur“ 35 Jahre unter unmenschlichen Bedingungen (Amnesty International) in einem US-Knast.

Und da ist Edward Snowden (Titelbild oben rechts), der bekannteste Whistleblower der Gegenwart. Über ihn muss man wohl nicht viel sagen, seine Geschichte ist sozusagen „rum“. Er hat, wie Chelsea Manning, im Prinzip das Gleiche getan wie Daniel Ellsberg. Warum aber wird Ellsberg mit einem Friedenspreis geehrt und die beiden anderen Whistleblower ihrem Schicksal überlassen?

Nun – eine Antwort darauf gibt es zumindest offiziell nicht. Aber sowas wie eine Erklärung und die schmeckt bitter. Es war nur eine kleine Zeile in der Mittwoch-Ausgabe der LVZ. Kaum bemerkt von vielen Lesern, aber mit erheblichem politischen Sprengstoff versehen.

Auf die Frage, ob er damals Angst um sein Leben hatte, antwortete Ellsberg zunächst: „Nein, ich hatte nicht geglaubt, dass sie so etwas tun würden. Aber ich habe mich geirrt.“

Das war aber nur die Ouvertüre. Das unscheinbare und zugleich furiose Finale war kein Zitat Ellsbergs, sondern sozusagen die Garnitur der Frage des Autors: „Im November hatte Ex-CIA-Chef James Woolsey gefordert, Snowden solle aufgehängt werden.“

Ha! Das war er, der Satz, den man in Deutschland nicht gerne hört und der die Bundesrepublik sämtlicher Glaubwürdigkeit ihrer Asylpolitik beraubt. Denn während Deutschland Flüchtlinge ohne Namen und Pässe in gutem Glauben auf die Wahrheit ihrer Geschichten aufnimmt und sich dabei gebetsmühlenartig auf die Genfer Flüchtlingskonvention beruft, wurde der Asylantrag von Edward Snowden eiskalt abgelehnt. „Auswärtiges Amt und Innenministerium sehen die Voraussetzungen für Snowdens Aufnahme nicht erfüllt.“ Punkt und aus!

ellsmann

Daniel Ellsberg ist das gute Gewissen unserer Menschheit. Hier setzt er sich für den Whistleblower Bradley Manning ein, der heute als Frau (Chelsea Manning) in einem US-Knast unter schlimmsten Bedingungen einsitzt.

Dabei erfüllt Snowden sämtliche Merkmale, die ein Flüchtling laut Genfer Flüchtlingskonvention (Artikel 1, Absatz A, Punkt 2) aufzuweisen haben muss, um sein Asylrecht in Anspruch nehmen zu können. Hier hatte die nach oben offene Skala der Güte unserer Gutmenschen wohl offenbar ihre Grenzen erreicht.

Und genau das führt alle Sprüche, die tagtäglich über dem Volke ausgeschüttet werden, ad absurdum. Edward Snowden, ein Flüchtling mit ausgewiesen wahrer Geschichte, mit Papieren und echtem Namen, ein Verfolgter, dem in seinem Land der Tod droht, wird von Deutschland ignoriert und abgewiesen. Deutschland, die Kraft, die stets das Gute will und stets … auf Goethe hören muss.

Womit wir also wieder beim A-Thema wären. Unaufhaltsam nimmt der Irrsinn auch in Markranstädt zu. Jetzt werden Merkmale von Brandschutzwänden eines Hotels hin und her geworfen, die mal zu gut und mal nicht ausreichend sein sollen. Der Kaufvertrag, so heißt es, sei bereits unter Dach und Fach. Das ging schnell angesichts der noch vor rund 20 Tagen gestreuten Verheißung, dass auch Alternativen geprüft werden sollten. Aber all das sind nur sinnlose Scheingefechte, die bestenfalls das Volk irritieren und deshalb für Aufruhr sorgen.

In dem ganzen Hin und Her ist nicht ein einziges Mal die Frage aufgeworfen worden, wann und wie man die Bevölkerung informiert und vor allem auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet.

Wieviele Flüchtlinge kommen denn nun und in welchem Zeitraum? Wie sieht es um die Sicherheitsvorkehrungen aus? Die zweifelsfrei sympathische Polizeistation nimmt sich mit ihren Öffnungszeiten und dem Grad ihrer personellen Besetzung dann doch eher wie eine Reha-Volkssportgruppe aus, die bei Olympia Gold holen soll.

Gibt es genügend Betreuungskräfte? Hat jemand mal gefragt, wie es mit der Willkommenskultur in unserer Stadt überhaupt aussieht? Wie reagiert man auf Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerung und wie bindet man die ein, die aktiv helfen wollen?

Zu alledem ist nichts, aber auch gar nichts zu erfahren. Dass da Menschen abends vors Rathaus ziehen und dort ihre Fragen stellen, mag ja verständlich sein, aber auch das ist nur ein Ausdruck purer Verzweiflung in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Welche Aussagen will man auf dem Marktplatz von einer Stadtverwaltung bekommen, die wahrscheinlich selbst mehr Fragen hat als Antworten und letztendlich nur ausführendes Organ ist? Welche Aussagen will man von einem Landkreis erwarten, der auch nur Zahlen diktiert bekommt und dazu eine Kanne ohne Tülle zur Verfügung hat, mit der man die Zugewiesenen bestenfalls wirklich nur punktuell in die Stadtpläne gießen kann?

Zu all dem ziellosen Treiben fällt dem kritischen Zeitgeist eigentlich nur ein Zitat von Dr. Rudolf Virchow ein: „Die Freiheit ohne Organisation führt durch die Anarchie zur Knechtheit.“ Der Virchow muss wohl auch so eine Art Whistleblower gewesen sein.

 

Fotos: Titelbild links: Daniel Ellsberg (Foto: Jacob Appelbaum), Titelbild Mitte und im Text: Ellsberg mit Plakat von Manning (Foto: Moizsyed), Titelbild rechts: Edward Snowden (Foto: M. Zusatz, Wikileaks)

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