Wer gestern nicht unbedingt mit dem dringenden Bedürfnis nach Beantwortung offener Fragen in die Stadthalle kam, konnte durchaus seinen Spaß haben. Die Mehrzahl der rund 600 Besucher der Informationsveranstaltung zum Thema Asyl hatte aber Fragen und was es da mitunter an Erklärungsversuchen gab (von Antworten kann leider nicht die Rede sein), das entbehrte nicht eines gewissen satirischen Unterhaltungswertes. Wir widmen uns diesem in der festen Überzeugung, dass die ernsten Aspekte des Events von der Qualitätspresse hinreichend beleuchtet werden.
Besser wären elf gewesen. Das hätte nicht nur zur gegenwärtigen 5. Jahreszeit gepasst, sondern auch zu so mancher Offenbarung, die von da oben ins Publikum rieselte. So aber hatten nur sechs Personen auf dem Podium Platz genommen.
Einer davon hat fast gar nichts gesagt, ein anderer war nur zum Moderieren da und der Chef der Abteilung „Zentrale Ausländerbehörde“ bei der Landesdirektion Chemnitz glänzte zwar rhetorisch, aber am Ende auch nur mit Zahlen und Fakten über die Situation im Freistaat. So blieb das Gros des Gesprächsbedarfs an Landrat Henry Graichen, seinem 2. Beigeordneten Dr. Thomas Voigt und Bürgermeister Jens Spiske hängen.
Nix Elferrat und nix glorreiche Sechs, sondern die restlichen Drei. Insbesondere Graichens 1. Beigeordneter Gerald Lehne (Foto ganz links) hätte den Abend genauso gut daheim verbringen und sich die Tagesschau reinziehen können. Bis auf ein kurzes Statement und ein paar kleinere Einwürfe war er nicht gefragt und ist in Borna wohl eher als Auswechsel-Torhüter in den Dienstwagen gen Markranstädt zugestiegen.
Peter Darmstadt (Foto ganz rechts), einst nicht ganz unumstrittener Vize-Landrat in Pirna, dort letzten Herbst abgewählt und danach in der Landesdirektion in Chemnitz geparkt, konnte zu den konkreten lokalen Fragen zwar wenig beizusteuern, hatte aber wenigstens das Zahlenmaterial des Freistaates auf dem Schirm und konnte das auch engagiert verkaufen.
Unterwegs in Parallelwelten
Dass auch die Polit-Akteure inzwischen in einer Parallelwelt leben, ließ das von ihnen verwendete Vokabular erkennen. Da werden Flüchtlinge „abverteilt“ und Kinder ohne Eltern als UMAs bezeichnet, was angeblich die Abkürzung von „unbegleitete ausländische Minderjährige“ sein soll. Wer einen Deutschkurs belegt hat, kommt da zwar eher auf UAMs, aber so weit sind wir wohl noch nicht mit der Integration unserer Politiker. Buchstabendreher in den Bezeichnungen, Zahlendreher in den Zuwanderungsdaten, Dokumentendreher bei den Pässen … alles im grünen Bereich.
Graichen (3.v.l.) und Voigt (2.v.l.) waren in den über zwei Stunden fast durchweg damit beschäftigt, zu Sicherheitsfragen zu sprechen ohne etwas dazu zu sagen. Einfach genial.
Zu Hause lief derweil nicht nur „Wer wird Millionär?“, sondern auch die Miete weiter und auf dem Podium der Stadthalle wurde nach Strich und Faden herumgeeiert. Da konnte auch Uwe Greichel, Leiter des hiesigen Polizeireviers, nicht mehr viel gradebiegen. Er kündigte zwar eine geradezu monumentale personelle Aufstockung des in Grünau ansässigen Reviers an, aber Angaben, wie sich das konkret auf Markranstädt auswirken soll, blieb er trotzdem schuldig
Erst ganz am Schluss der Veranstaltung, als sich eine Bürgerin von den präsentierten Fettaugen auf der dünnen Suppe nicht mehr abspeisen lassen wollte, mussten die Vertreter des Landkreises einräumen, dass es quasi kein Sicherheitskonzept gibt und auch nicht geben wird. Nicht nur keinen Zaun wird man bauen, sondern auch nicht kontrollieren, wer im Hotel Damaskus ein- und ausgeht. Das hätte man schon zweieinhalb Stunden früher sagen können und die Besucher hätten mit Sandmann, Tagesschau und Günter Jauch auch noch was von ihren GEZ-Gebühren gehabt.
Kein Sicherheitskonzept
Ja, die zweite für Markranstädt wichtige Aussage kam auch noch: Es soll nicht bei der Flüchtlingsunterkunft im Hotel bleiben. Auch das von der Stadt ursprünglich als „Statt-Variante“ (statt Hotel) ausgerufene Areal am Schwarzen Weg soll beansprucht werden. „Wir reden von zwei Standorten, weil es keine andere Alternative gibt.“, kam es über die Landkreis-Lippen. Die Beruhigungspille, dass es sowas auch in anderen Städten gibt, stammte allerdings aus dem Placebo-Etui, denn in den genannten Beispielstädten befinden sich die Unterkünfte am Stadtrand. Das kann man als Markranstädter allerdings nicht unbedingt wissen und deshalb werden solche Argumente gern genutzt.
Die Fragen der Bürgerschaft waren im Gegensatz zu den darauf gegebenen Antworten mitunter geradezu herzerfrischend. Allerdings schlug die Frage eines Angestellten des Gutenberg-Hotels, der bei der Abstimmung im Ausschuss des Landkreises anwesend gewesen sei (und dort wohl auch die eine oder andere Frage gestellt hat), nicht nur im Publikum ein wie eine Bombe.
Der Mann konfrontierte Voigt mit der Aussage, dass sein Chef keine Stunde später von diesem einen Anruf und er daraufhin im Hotel (also an seinem Arbeitsplatz) Hausverbot erhalten habe. „Muss ich heute auch wieder damit rechnen, dass mein Chef von ihnen einen Anruf bekommt?“, wollte der Mann vom Beigeordneten wissen. In den folgenden Sekunden war es fast, als hätte das Mikrofon die Peristaltik hörbar gemacht, mit der ein hotelgroßer Kloß durch eine Speiseröhre gewürgt wurde. Das Raunen im Publikum tat sein Übriges. Ein Flair von Palermo breitete sich in der Stadthalle aus, in memoriam Marlon Brando.
Überhaupt zeigte sich der 2. Beigeordnete den Fragen der Bürgerinnen und Bürger oftmals nicht gewachsen, wirkte mehr als nur einmal sogar regelrecht hilflos und überfordert.
Eine verzweifelte Aneinanderreihung vorgefertigter Floskeln, mehr Substanz war da oft nicht zu erkennen. Als schlussendlich die Sprache auf die Entwertung an das Hotel angrenzender Grundstücke kam, musste ihm sogar Peter Darmstadt sekundieren, damit wenigstens ein paar Worte im Publikum hängenblieben.
Eigenheim-Boom neben Unterkünften?
Allerdings waren dessen Argumente auch nicht viel überzeugender. Er wollte der Versammlung Glauben machen, dass es in Sachsen sogar Bauanträge für Eigenheime in unmittelbarer Nachbarschaft zu Flüchtlingsunterkünften gebe.
Genau das waren die Momente, bei denen auch Satiriker nicht traurig waren, einen langweiligen Fernsehabend gegen eine unterhaltsame Info-Veranstaltung mit humoristischem Potenzial getauscht zu haben.
Narrhallamarsch in Lallendorf
Der heimliche Sieger dieser Sechserratssitzung war Prinz Jens I. Er konnte sich zeitweise sogar entspannt zurücklehnen. Zwar wurde Spiske durch eine Frage aus dem Publikum veranlasst, seine Vorwürfe an den Landkreis ob zu spät erfolgter Information über die Hotel-Frage zu wiederholen, befleißigte sich dabei aber eines juristisch spürbar modifizierten Vokabulars.
Da seitens des Landrats kein Widerspruch erfolgte, wird dies wohl so im Raum stehenbleiben. Die ungeantwortete Antwort in Beton gegossen – irgendwie passte das in den Abend.
Die Delegierung der Verzweiflung
Im Fazit bleibt festzuhalten: Nichts Konkretes gab es nicht. Es war ein Schwimmkurs ums bronzene Seepferdchen. Deshalb bleibt dem Besucher statt konkreter, belastbarer Aussagen lediglich sein Bauchgefühl.
Das sagt, dass da vorn sechs Männer saßen, die mindestens ebenso viel Fragen haben wie das Volk zu ihren Füßen und dass mindestens vier dieser sechs Männer auf Grund ihrer politischen Stellung in der Lage sind, ihre Verzweiflung zu delegieren. Und diese Verzweiflung muss schon ziemlich groß sein.
Das Pfeifen im Walde
Es entstand ganz klar der Eindruck, dass es hier nur noch um die durch das Gesetz gedeckte, schnelle und unkomplizierte „Abverteilung“ von „UMAs“ und anderen Flüchtlingen geht und das möglichst zentral, damit sich der Verwaltungsaufwand in Grenzen hält. Nicht mehr und nicht weniger. Der Rest sind auswendig gelernte Parolen, die inzwischen nur noch wie das Pfeifen im Walde klingen.
Mehr ist wohl im Moment auch von niemandem zu erwarten, weder aus Berlin, noch aus Dresden oder Borna. Auch wenn es sicher genügend Menschen gibt, die diese Veranstaltung heute schönzureden versuchen: Der gestrige Abend war ein gesellschaftspolitischer Offenbarungseid.
3 Kommentare
Ein jeder Bürger sollte seine eigenen Lehren aus dieser Show ziehen und bei der nächsten Wahl sein Kreuz an die richtige Stelle setzen.
Es gibt mittlerweile Alternativen im politischen Spektrum, auch wenn es nur eine einzige ist!
Der Abriss zur Einwohnerversammlung trifft es ziemlich auf den Punkt.Viele Fragen, teilweise aus Talkshows und Nachrichten jeder Art entnommen, aber auch extensielle, können nicht mit Zahlen, Beruhigungsserklärungen, hinkenden Vergleichen zu anderen Kommunen beantwortet werden. Gleich wie, wir alle haben die Burger ernst zu nehmen. Die Ängste der Bürger brauchen konkrete Antworten. Es blieb daher vieles offen. Also muss nachbearbeitet werden, durch die Verantwortlichen der LD Chemnitz, des Kreises, der Polizei und der vor allem der Stadt. Morgen zum Stadtrat, am Freitag zum Runden Tisch kann das ein guter Beginn sein. Und über die Ergebnisse sind die Bürger zu informieren, schnell, konkret und verständlich.
Da bin ich ja richtig froh, dass ich auf eine Teilnahme an dieser Veranstaltung verzichtet und statt dessen etwas sinnvollens gemacht habe. Es war allerdings von vornherein nichts anderes zu erwarten gewesen. Wenn die Großkopferten in Berlin nichts gescheites „auf der Pfanne“ haben, wie sollen dann die armen Würstchen auf Freistaat- und Landesebene etwas vernünftiges sagen, ohne den politischen Ast auf dem sie sitzen, sich selbst abzusägen? Die Leidtragenden sind die Bürger in Deutschland, in Sachsen, in Markranstädt – also die, die durch ihre Arbeit die Steuermittel erwirtschaften, die die GroKo mit vollen Händen zum Fenster hinauswirft.