Goldrausch in Markranstädt nach Fund in Klärgrube

Auch auf die Gefahr des Anscheins hin, dass sich die Markranstädter Nachtschichten nur noch den Hinterlassenschaften von Menschen widmen, muss dieses Thema noch einmal aufgegriffen werden. Diesmal geht es allerdings nicht um Toilettenanlagen oder deren Ausstattung, sondern darum, was mit den dort deponierten organischen Substanzen passiert. Ein sehr ernstes Thema, das nur dank politischer Entwicklungen ausreichend satirisches Potenzial birgt. Das aber auch ein Kompetenzzentrum hat, dessen Herz in Markranstädt schlägt.

Panta rhei – alles fließt! Spätestens auf der Toilette wird dieser geflügelte Ausspruch jedem Erdenbürger nachhaltig, mitunter sogar lautstark bis schmerzhaft bewusst. Dass dieses Fließen auch etwas mit Kreislauf zu tun hat, ist aber nicht nur auf eine gewisse Erholungsphase des Körpers nach der Ausscheidung des ihn oft arg quälenden Ballasts beschränkt.

Nein – wo was fließt, muss auch Neues nach- und Altes wegfließen können, damit der Fluss nicht austrocknet. Und weil das nicht nur auf dem Lokus gilt, sondern in allen Bereichen der Natur, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und des täglichen Lebens, zählt der Begriff „Kreislauf“ zu den am meisten strapazierten Worten in unserer Muttersprache.

Der Mensch ist für den natürlichen Kreislauf unterschiedlichster Stoffe in vielerlei Hinsicht nur eine Zwischenstation. Schon die alten Neandertaler fraßen, um hinterher das seiner Energie beraubte und nunmehr unappetitlich gefärbte Futter auszuscheiden, was wiederum den idealen Dünger für nachwachsende Rohstoffe bildete, die der Neandertaler erneut zu sich nehmen konnte. Mit der daraus gewonnenen Energie marschierte er ein paar Kilometer weiter und düngte dort erneut den kargen Boden unserer Ahnen.

Der Kreislauf unserer Urahnen

So ging das Jahrtausende. Der Homo sapiens machte es genau wie der Neandertaler und vor ihm die Affen. Im Laufe der Zeit zivilisierte sich der Mensch. Nachdem er den Mehrwert, das Rad und andere wichtige Dinge erfunden hatte, widmete er sich den unwichtigen Dingen. Zinsen beispielsweise oder Parfüm, Probiersöckchen, leuchtende Kugelschreiber, Politiker und all sowas. Als die Welt schließlich unter der Last nutzloser Dinge zu ächzen begann und den degenerierten Geistern nichts Neues mehr einfallen wollte, übernahmen Rechtsanwälte die Macht.

Allein im Bundestag hat sich deren Zahl seit 1961 verdoppelt. Zusammen mit Lehrern, Polizisten und anderen Beamten stellt die Zunft der Advokaten fast 37 Prozent unserer Volksvertreter. Ganz anders verhält es sich dagegen mit der Entwicklung der Zahl der Abgeordneten aus der Landwirtschaft. Ganze 15 Mandatsträger aus dieser Berufsgruppe dürfen im Berliner Regierungspalast ein- und ausgehen. Das hat Folgen!

Die Paragrafenscheißer

Während die Natur für den Landwirt immer irgendwelche Aufgaben bereit hält, muss sich ein Rechtsanwalt allein den Zustand, dass er Arbeit hat, hart erarbeiten. Im Notfall muss er halt Gesetze erlassen, um seinen Berufsstand beispielsweise mit dem zweifelhaften Recht der Ausstellung von Serien-Abmahnungen schützen zu können.

Da es jedoch in keinem Land der Welt mehr Gesetze und Paragrafen gibt als in Deutschland, wird es jetzt langsam knapp mit neuen Paragrafen. Um ihr sinnentleertes Dasein dennoch hinter einer gewissen Betriebsamkeit verstecken zu können, hat sich die Zunft der Advokaten nun eines ganz besonderen juristischen Marktsegments angenommen: Man überarbeitet die Naturgesetze!

ordung

So beschloss die Bundesregierung 2013 in ihrem Koalitionsvertrag, die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm zu Düngezwecken zu beenden. Das war eigentlich ein klassisches Eigentor für die Politiker in Berlin. Denn wenn man keinen Klärschlamm mehr verarbeiten darf, dann muss auch verhindert werden, dass er anfällt und wenn man das verhindern will, darf in Deutschland keine Sch**ße mehr gemacht werden. Also Berufsverbot für Advokaten mit Bundestagsmandat?

Öchsle-Waage für Exkremente

Nun, so einfach ist das nicht. Rein stofflich betrachtet, ist im Klärschlamm – mit Ausnahme radioaktiver Substanzen und einer handvoll Edelgasen – nahezu das gesamte Periodensystem der Elemente enthalten. Darum werden die Trester aus der Kelterung deutscher Fäkalien gern auf die Felder ausgebracht. Immerhin – und da schließt sich der Kreis zur eingangs dargelegten Betrachtung – kommt der Klärgruben-Grappa damit in den natürlichen Kreislauf zurück.

Im Grunde genommen war es schon bei den alten Neandertalern so. Nur waren die eben zahlenmäßig eher eine Randerscheinung, vollzogen ihre Eiablage nicht so konzentriert in Großstädten und außerdem enthielten ihre Ausscheidungen (warum auch immer) nicht so viel Cadmium wie unsere heutigen Exkremente. Auch Phosphate sind, glaubt man dem Gesetzgeber, heute ein wesentlich größeres Problem als in Urzeiten. Deshalb will Deutschland nun aus der landwirtschaftlichen Klärschlammverwertung aussteigen.

faultürme

So schön wie in Stuttgart kann das Faulen von Schlamm nur im Westen inszeniert werden.

So weit, so gut. Satirisch so richtig interessant wird die Sache beim Vergleich von Klärschlamm mit Gülle. Letztere verfügt gegenüber dem Klärschlamm über einen 10-fach höheren Anteil an Phosphor, darf aber trotzdem weiter auf Deutschlands Feldern ausgebracht werden. Warum? Nun, böse Zungen behaupten, dass es angesichts des Gülle-Aufkommens und deren Eigenschaften keine andere Lösung gibt als deren Rückführung in den natürlichen Kreislauf. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass es bei der Klärschlammverwertung eine alternative Lösung gibt. Und in der Tat ist das so.

Lösung „made in markranstädt“

Die Lösung ist „made in markranstädt“ und wurde bei der LAV geschmiedet. Natürlich haben die das in der Nordstraße nicht alleine gemacht. Der umtriebige Geschäftsführer Matthias Hoger und sein Team haben dazu ein ganzes Netzwerk aus 25 in Mitteldeutschland tätigen Partnern um sich geschart. Immerhin liegt es in branchenübergreifendem Interesse, was da künftig mit den Resten unserer täglichen Hinterlassenschaften wird.

Da ist nicht nur die Frage nach der Entsorgung, sondern es stehen auch Antworten der Versorgung dahinter. Jawohl, der Versorgung. Unter anderem mit wertvollen Rohstoffen. Vorkommen an Rohphosphaten beispielsweise gibt es auf der Welt fast nirgendwo mehr. Ein paar Reste werden in Afrika aufwändig in Tagebauen gewonnen. Unsere Klärgruben und -anlagen sind hingegen voll von dem Zeug. Bislang gab es aber niemanden, der in die Klärgruben und Faultürme einsteigen und den Phosphor dort rausknaupeln wollte … oder konnte.

Das wäre auch ein bisschen viel angesichts der über sieben Millionen Tonnen Klärschlamm, die in Deutschland jährlich anfallen. Also haben sich die LAV-Experten und ihre Netzwerkpartner vom TKoR (Technologie- und Kompetenzzentrum organisches Reststoffrecycling) eine technische Lösung einfallen lassen, die zunächst auf einem Strategiekonzept festgehalten, dann untersetzt wurde und jetzt im Aufbau einer Pilotanlage mündet.

Pilotprojekt im Nachbarland

In Zorbau bei Weißenfels entsteht zur Zeit eine Anlage zur Klärschlammtrocknung. Dort wird dem Schlamm unter Nutzung der Abwärme einer benachbarten Müllverbrennungsanlage die Feuchtigkeit entzogen. Das zurückbleibende Granulat kann vielfältig eingesetzt werden. So zum Beispiel zur Ergänzung von Energieträgern bei Verbrennungsvorgängen in der Kohle- oder Zementindustrie.

prijektskizze

Sogar mit internationalen Reputationen geadelt: Projektskizze des TKoR-Netzwerkes.

Interessanter jedoch sind die perspektivischen Möglichkeiten. „Wenn es uns gelingt, Monoverbrennungsanlagen zu etablieren, können wir phosphorreiche Asche produzieren.“, blickt Matthias Hoger in die Zukunft. Darum arbeitet man im TKoR fieberhaft an Weiterentwicklungen und neuen Technologien, um für Nährstoffträger wie Klärschlamm, Gülle und Gärreste eine Art Nährstoffrecycling zu entwickeln.

Längst geht es dabei nicht mehr nur um die Lösung eines Entsorgungsproblems. Ein Wirtschaftsfaktor ist im Entstehen! Stickstoff, Phosphor, Kalium, Kalzium oder Schwefel, bislang teuer bezahlte Importgüter, könnten perspektivisch als Düngemittel und Rohstoffe von Markranstädt aus vermarktet werden. Es wäre wohl das erste Mal in der Weltgeschichte, dass es gelingt, aus Sch**ße Gold zu machen. Der Weg dazu ist nicht mehr weit und die Goldschmiede steht mitten in Markranstädt. Das is’n Ding!

In Zorbau bei Weißenfels, wo derzeit quasi die erste Stufe der Goldproduktion entsteht, sieht man dem Ansinnen freilich etwas besorgter entgegen. Die Anwohner dort sind von einem der größten (und finanziell einträglichsten) Gewerbegebiete Sachsen-Anhalts nicht ausschließlich beglückt. Neben der Müllverbrennungsanlage agieren dort auch zahlreiche andere Unternehmen, die nicht gerade im Ruf stehen, die Ökobilanz der Gegend nachhaltig positiv zu gestalten.

Zuletzt sorgte der Plan zur Errichtung einer Tierkörperverwertungsanlage für ein derart brodelndes Überkochen des Volkszorns, dass nicht einmal der Versuch unternommen wurde, dem Volke das Vorhaben schönzureden. Die Planungsunterlagen wanderten volley in die Müllverbrennungsanlage. Weißer Rauch über Zorbau, habemus papam.

hoger

Sachsen ist berühmt für seine kompetenten Köpfe. Johann Friedrich Böttger machte einst aus Ton Porzellan. LAV-Chef Matthias Hoger könnte im Klärschlamm auf eine Goldader gestoßen sein.

Im Schatten dieser Ereignisse gelang es den LAV-Aktiven, ihr Vorhaben so weit zu entwickeln, dass die ersten Hürden schon genommen waren, bevor sie auftauchten. Rund 50 Einwendungen von Bürgern sowie Betrieben und das Veto des Zorbauer Ortschaftsrates legen Zeugnis vom Gegenwind in Sachsen-Anhalt ab. Okay – Gegenlüftchen.

Denn die Begründung stellt hauptsächlich auf den erwarteten LKW-Verkehr ab, der die rund 75.000 Tonnen Klärschlamm pro Jahr zur Anlage bringen soll. Angesichts des Aufkommens, das schon jetzt täglich an der Verbrennungsanlage anrollt und dessen, was nur wenige Meter weiter auf der A9 täglich verkehrt und in der Standortwerbung der Gemeinde sogar als Alleinstellungsmerkmal gefeiert wird, sind die rein statistisch gesehenen acht bis zehn LKW mehr pro Tag eher ein Vor- als ein Einwand.

Überhaupt werden Widersprüche aus dieser Region (Zorbau gehört zu Lützen) auf dem Globus von Mitteldeutschland eher belächelt als ernst genommen. Zuletzt wandte man sich dort entschieden gegen einen neuen Braunkohletagebau, lehnte aber gleichzeitig auch Windanlagen und ein Biomasse-Kraftwerk ab.

„Heftiges Nein gegen alles“ titelte die dort erscheinende Mitteldeutsche Zeitung über die Stadt, in der Strom aus der Steckdose kommt. Es erinnert manchmal an die amerikanischen Amish, was da drüben passiert. Die Tochter muss ins Laufrad steigen, damit sich die Mutter das Haar föhnen kann.

Es sollte also kein Problem sein für die LAV und ihre Partner, an diesem strategisch günstigen Standort ein strategisch bemerkenswertes Konzept zum Laufen zu bringen. In der Fachwelt hat es zumindest schon mal für ein Aufhorchen gesorgt und auch die Redakteure einschlägiger Fachzeitschriften haben ihre Federn bereits in Weihrauch getunkt, um dem Ansinnen ihren Respekt zu zollen. Nachdem das Projekt nun auch seine satirischen Weihen erhalten hat, steht dem Erfolg „made in markranstädt“ nichts mehr im Wege.

Urheberrechte an Haufen

Es sei denn, bereits erwähnten Bundestags-Advokaten fällt wieder mal etwas ein, womit sie am Erfolg partizipieren und sich eines Teils seines Ertrages bemächtigen können. Es steht da nämlich noch eine entscheidende Frage im Raum: Wem gehört der Klärschlamm eigentlich? Immerhin wurde er von Menschen individuell erzeugt.

Bei Hunden hat man die Frage vorsichtshalber schon mal geklärt. Sozusagen als Präzedenzfall. Da heißt es in einem Gerichtsurteil: „Nach dem Abkoten bleibt der Kothaufen eine selbständige bewegliche Sache, er wird nicht durch Verbinden oder Vermischen untrennbarer Bestandteil des Wiesengrundstücks, der Eigentümer erwirbt also nicht automatisch Eigentum am Hundekot.“

 

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