Die vergessenen Stadtmöbel

Mit der Aufstellung der roten Blumentöpfe und der gleichfarbigen Kringel erhielt Markranstädt vor ein paar Jahren öffentliches Inventar, das dem Bürgertum als „Stadtmöbel“ schmackhaft gemacht wurde. Eine originelle Idee … also die Bezeichnung. So richtig neu war sie allerdings nicht, denn schon seit vielen Jahrzehnten verfügt Markranstädt über Stadtmöbel. Aber sie werden im Alltag kaum wahrgenommen.

Der 200. Geburtstag des Berliner Buchdruckers Ernst Theodor Amandus Litfaß am 11. Februar rief die vergessenen Stadtmöbel mancherorts in die Erinnerung zurück. Anlass genug, ihrer auch in Markranstädt zu gedenken.

Es ranken sich allerhand Geschichten um die runden Teile. Stevie Wonder soll mal drei Stunden um eine Litfaßsäule herumgelaufen sein, weil er hoffte, den Weg aus der Kneipe nach Hause zu finden, wenn er sich immer an der Wand entlang tastet.

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Litfaßsäule irgendwo in Deutschland.

In Frankreich findet man mitunter einige Exemplare, in deren Innerem man Pissoirs installiert hat. Eine platzsparende Idee, die sich auch statt des „touristischen Info-Punktes mit Wasserspülung“ (eine herrliche Wortkreation unseres Lesers Manfred Schwung, vielen Dank an dieser Stelle!) am Parkplatz in der Markranstädter Oststraße angeboten hätte.

Kein Auslaufmodell

Zwischen 50.000 und 75.000 Litfaßsäulen soll es in Deutschland laut unterschiedlichen Quellen noch geben. In Berlin hat man sie gezählt. Allein rund 3.500 befinden sich in der Hauptstadt, etwas mehr als 330 sollen in Leipzig noch stehen, zumindest werden so viele dort vermarktet. Und in Markranstädt existieren auch noch zwei. Allerdings werden die beiden Lallendorfer Exemplare sowohl im Wahlkampf als auch im alltäglichen Werbekrieg konsequent ignoriert.

Wenig verständlich angesichts der Tatsache, dass Litfaßsäulen stets präsent sind, sich nicht abschalten lassen und kaum übersehen werden können. Zumindest in größeren Städten stellen sie zudem noch eine hübsche Einnahmequelle dar. Einen Euro pro Tag und Plakat muss man beispielsweise in Berlin berappen, wenn man da etwas anbringen will.

Splitternackt im urbanen Raum

Zumindest für das Exemplar in der Markranstädter Parkstraße könnte die Ursache im Standortnachteil einer niedrigen Frequentierung liegen. Nicht einmal Grafitti-Sprayer fühlen sich von ihrer verwaisten Betonfläche angezogen. Und so fristet das Bauwerk ein tristes Dasein als Markierungsfläche für Hundereviere.

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Litfaßsäule in der Parkstraße.

Wesentlich stärker frequentiert ist der Standort der zweiten Litfaßsäule am Krakauer Teich. Doch auch sie durfte ihre Nacktheit schon seit Jahren nicht mehr mit einem bunten Plakat schützen. Grau und unbeachtet steht sie da, ihrer Aufmerksamkeit beraubt durch zwei andere Säulen, die wenige Meter weiter in der Zwenkauer Straße stehen. Solche Blitzeranlagen sind zweifelsfrei lukrativer, doch die Werbebotschaft dieser Säulen ist zu negativ belastet, um als Multiplikator positiver Emotionen für Produkte wie Nikon, Kodak oder Agfa durchzugehen.

Bis vor einigen Jahren war die Vermarktung der Werbeflächen auf den Markranstädter Litfaßsäulen per Generalvertrag an eine Werbefirma vergeben. Das erwies sich für die Stadt wohl als kontraproduktiv. Zur Erinnerung: Als der Berliner Polizeipräsident am 5. Dezember 1854 die Erlaubnis zur Aufstellung der ersten „Annoncier-Säulen“ erteilte, lagen dieser Entscheidung auch Gedanken daran zugrunde, dass die Stadt damit auch die Kontrolle darüber hatte, welche Botschaften dort veröffentlicht werden.

In Markranstädt hatte man dieses Instrument mit dem Vertrag aus der Hand gegeben und bald schon trugen die Säulen farbenprächtige Botschaften um ihre Hüften, die so gar nicht in die Strategie des Rathauses zur Besiedlung des Kulki-Westufers passen wollten. Nach Beendigung des Vertrages wollte sich dann auch niemand mehr finden, der einen neuen Kontrakt mit dem Passus abschließen wollte, dass keine Werbung angebracht wird, die dem Ansinnen der Stadt entgegen steht. Seither glänzt auch dieser Bereich der Öffentlichkeitsarbeit in grauem Ambiente.

Beklebt werden dürfen die Säulen trotzdem. Auch dieser Werberaum unterliegt der Plakatierungssatzung der Stadt. Dass diese Möglichkeit dennoch nicht genutzt wird, könnte jedoch ebenso an der Satzung liegen. Die beschreibt insbesondere den Umgang mit mobilen Werbeträgern. Eine Litfaßsäule ist jedoch kein mobiler Werbeträger und wie da beispielsweise mit der Entfernung der Plakate nach dem beworbenen Ereignis zu verfahren ist, darüber schweigt die Satzung. Gut möglich, dass man wegen unklarer Rechtslage lieber davon Abstand nimmt, die Säulen zu bekleben.

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Litfaßsäule in der Zwenkauer Straße.

Platz wäre aber genug darauf vorhanden. Eine durchschnittliche Litfaßsäule hat einen Umfang von 3,60 bis 4,30 Meter, bei einer Höhe von 2,60 bis 3,60 Meter. Es stehen also bei einer durchschnittlichen Litfaßsäule zwischen 9,4 und 15,4 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. So viel Platz bot selbst die größte je in Markranstädt aufgestellte mobile Plakatwand nicht. Und der Clou: Je mehr Plakate man dran klebt, umso dicker wird die Säule und umso größer die Werbefläche (u = pi mal d). Der alte Litfaß war schon ein Genie.

 

1 Kommentar

    • Bekannt auf 20. Februar 2016 bei 14:18
    • Antworten

    Aus zwei mach eins
    Mein Vorschlag lautet schlicht und ergreifend: Nutzt die viel geschmähten, weil zu niedrigen roten Sitzringe, und funktioniert sie zur Litfaßsäule um. Nur eben nicht rings herum, unten herum und wie man es sonst noch so schlüpfrig beschreiben könnte.
    Nein, ich plädiere für die Plakatierung oben auf dem Rand der Sitzmöbel und verspreche mir zwei Effekte. Erstens erfolgt, natürlich nach Abänderung Eurer Formel in h = Pi x d, ganz sukzessive eine durchaus gewollte Erhöhung der Sitzmöbel und würde u.U. dadurch auch der Europäischen Norm für staatlich anerkannte, geprüfte und aufgestellte Sitzmöbel entsprechen. Zweitens würde durch eine Plakatierung das grelle Rot etwas abgemildert und mit etwas Vielfarbigkeit umrahmt. Und etwas bunter zu werden, hat noch nirgends geschadet. 😉

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