Neues aus der vierten Etage (20)

Die Tagesordnung der Stadtratssitzung verhieß eine Kurzveranstaltung im Stenogrammstil. Abzüglich der Programmpunkte, bei denen sich dem durchschnittlichen Prozessbeobachter sowieso nicht erschließt, worum es geht, blieben letztendlich nur drei bis maximal vier Punkte übrig. Aber auch die avancierten zu Randnotizen angesichts des Unterhaltungswertes, der sich durch die gesamte Veranstaltung zog. Und für den sorgte ein Mann fast im Alleingang.

Die 20. Sitzung des Stadtrats war eine nahezu perfekt inszenierte One-Man-Show. Sie begann bereits drei Minuten nach ihrer Eröffnung durch den Bürgermeister, als sich die Tür zum Ratssaal geheimnisvoll knarrend öffnete.

Während Spiske weiter referierte, verbreitete sich im Publikum sichtliche Heiterkeit. Fans von „Herr der Ringe“ konnten zunächst durchaus dem Trugschluss erliegen, dass da soeben Gandalf der Graue durch die Pforte des ehrwürdigen Ratssaales geschritten kam.

Lediglich der Zauberstab des großen Magiers irritierte die kleine Gemeinde aus dem Markranstädter Auenland. Am oberen Ende der Stange, die er würdevoll in der mit einem Handschuh geschützten Hand trug, breitete sich beeindruckendes Blattwerk unter der Decke des Ratssaales aus.

„Meiiin Schatzzz!“

Bilbo Beutlin, um in der Sprache von Tolkin zu bleiben, ließ sich nicht beirren und sprach unerschüttert weiter, während die graue Eminenz mitten im Raum stand, den ebenfalls behandschuhten Zeigefinger seiner linken Hand erhob und um die Erteilung des Rederechts bat. Wohlgemerkt: Mitten in der Eröffnungsansprache des Oberhauptes von Auenland, das sich dadurch jedoch nicht beeindrucken ließ und noch immer weiter sprach.

Da man mit den Fingern nicht schnipsen kann, wenn die in einem Handschuh stecken, versuchte Gandalf, mit einem mehrmals wiederholten „Hier!“ um die Aufmerksamkeit des friesischen Hobbits zu werben. Doch Bilbo Beutlin blieb eisern und führte seine Rede im Schatten der über dem Ratstisch wehenden Blätter eisern fort. Noch einmal bat der Erschienene nachhaltig um Gehör, worauf sich das Auditorium nun endgültig geschlagen gab und den Mann reden ließ.

Zwischen Auenland und Mordor

Dem Begriff „Riesen-Bärenklau“ sollte wohl eine kurze botanische Einführung zu den besonderen Merkmalen dieser giftigen Kultur folgen. Doch bereits nach der Bekanntgabe ihres furchteinflößenden Namens wandte sich die anwesende Gemeinde dem Absingen weiterer biologischer Psalmen brüsk entgegen. Das pure Grauen griff im Auenland um sich! Gandalf kam gerade mal bis zur Darstellung der beachtlichen Größe des Gewächses von bis zu 3,5 Metern und einem Durchmesser von … da wurde sein Vortrag kurzerhand für beendet erklärt.

Als der graue Magier sich daraufhin anschickte, mit dem aufgrund Flüssigkeitsmangels inzwischen zum Grünwedel erschlafften Stab auch noch durch den Zuschauerraum zu wandern, wurde er von der beigeordneten Elben-Prinzessin mit einem unmissverständlichen Bann belegt und angewiesen, das Tod bringende Kraut auf schnellstem Wege nach draußen zu schaffen. Gandalf verabschiedete sich mit einem höflichen „Danke für die Audienz“ und verschwand im Treppenhaus, um wenige Sekunden später als Ronald Gängel wieder einzutreten.

Kostenloses Theater-Anrecht

Was ’ne Ouvertüre! Und da bezahlen manche Leute noch Geld für ein Theater-Anrecht? In Markranstädt gibt’s das kostenlos und die vierte Etage etabliert sich in der deutschen Kulturlandschaft allmählich als Hardcore-Tempel kommunalpolitischer Comedy-Events. Jetzt sage noch jemand, in Lallendorf wäre nichts los.

Die Bürgerfragestunde konnte man sich schenken. Ein paar Anfragen von potenziellen Kaufinteressenten für Grundstücke am Westufer, die heute noch das Prädikat „mit Seeblick“ verdienen mögen, gehören wohl allein schon deshalb nicht in ein Kabarett, weil das Publikum mit Begriffen wie „Längsteilung“ und „Querteilung“ keine visuellen Informationen verbinden kann.

Und auch wenn sich Manfred Schwung mal wieder für mehr ebensolchen in Sachen Kita-Neubau einsetzen wollte, blieb doch zu konstatieren, dass von seinen eigentlich vier Fragen nur eine beantwortet wurde.

Hunde, Feuer, Lärm …

Aber die dafür recht deutlich: Der Bauantrag für das Vorhaben läuft erst, seit das Bauordnungsamt alle Unterlagen dazu hat. Also seit 26. Mai. Da erübrigen sich Fragen nach dem Baufortschritt und irgendwie ist es beruhigend, dass es sich nur um eine Kita und nicht um einen Großflughafen handelt.

Zu Tagesordnungspunkt 6 gab es dann lange Diskussionen. Es ging um eine Satzung für die Benutzung des „Erholungsgebietes Kulkwitzer See“. Man könnte auch sagen, es ging um Hunde, offenes Feuer und Lärm.

Fototouristen ausgeblendet

Zwischendurch kam zwar aus promoviertem Munde auch mal ein zaghafter Hinweis auf das zunehmende Engagement von Hobbyfotografen und -filmern, aber das Thema ist wohl noch nicht ausreichend gereift. So wurde das Satzungswerk also ohne Würdigung künstlerischer Ambitionen von Fotografen mit internationalem Format zur Zustimmung gebracht.

Gandalf 2.0

Kann sein, dass der große Auftritt des Zauberers gleich zu Beginn der Show und die lange Diskussion um Tagesordnungspunkt 6 den Zeitplan des Moderators etwas durcheinander gebracht haben.

Jedenfalls wollte der Auenland-Chef danach gleich mit Punkt 8 weitermachen. Allerdings ist es auch nicht auszuschließen, dass er seinem Widerpart damit nur einen weiteren Auftritt an diesem Tage vermasseln wollte, denn der hatte auch für Punkt 7 was auf Lager.

zauberstab

Gandalfs Zauberstab lässt die Flügel hängen, nachdem er im Treppenhaus deponiert wurde. Trotz allen Spaßes: Das Zeug wird auch in Markranstädt zum ernsten Problem. In den Ellern beispielsweise… Man sollte das Gewächs keinesfalls berühren. Es wird geraten, beim Umgang mit der Pflanze vollständige Schutzkleidung zu tragen, zu der auch ein Gesichtsschutz gehört. Das bedeutet auch: Die Pflanze darf im Ratssaal nur während des nichtöffentlichen Teils gereicht werden 😉

Darin ging es um den Kauf des Grundstücks Lützner Straße 2 und damit kam die Sprache auf das Eckhaus Lützner / Schkeuditzer Straße. Eine Ruine, die unter Denkmalschutz steht und deren Fassade inzwischen von ambitionierten Straßenkünstlern unter Wahrung denkmalpflegerischer Aspekte im Stile der Zeit malermäßig eindrucksvoll instandgesetzt wurde.

Ein Denkmal aus Silber-Spray

Gängel sprach sich gegen einen von der CDU-Fraktion angeblich favorisierten Abriss aus, forderte zunächst eine gründliche Prüfung des Gebäudezustandes. Fraktionschef Kirschner nahm den Steilpass auf und konterte: „Schade, dass sie unsere Anträge, die wir immer so schön formulieren, nicht richtig lesen.“ Die erläuternden Worte des Doktors adelte Gängel mit der Bemerkung: „…die Dinge, die sie hier zum Besten geben…“

Wie gesagt: Es war eine Show vom Feinsten. Hatte zwar wenig mit Kommunalpolitik zu tun, aber wenn das so weiter geht, werden die Einschaltquoten bei den nächsten Sitzungen geradezu explodieren.

Und das war noch lange nicht das große Finale! Das war es auch nicht, als Ronald Gängel in einer der Unterlagen den Begriff „kaufgegenständliches Grundstück“ fand und die Verwaltung aufforderte, sich bei der Gestaltung ihrer Vorlagen künftig der Anwendung deutscher Muttersprache zu befleißigen.

Gandalf 3.0

Den Einwand des Moderators, dass es sich um eine Wortschöpfung handelt, die sich durchaus durch die Verwendung ausschließlich muttersprachlicher Elemente auszeichnet, wollte Gängel nicht gelten lassen. Er verwies darauf, dass dieser Begriff auch nicht im Duden stünde. Die Frage einer Abgeordneten, wie alt denn dieser Duden sei, beendete dann die Diskussion. Bei Eintritt für lau wurde ohnehin schon viel zu viel geboten.

Anschließend gab Heike Helbig ihr Comeback als Rathaus-Sprecherin. Okay, vielleicht noch nicht in der Funktion, aber was sie da inhaltlich und rhetorisch anbot, war so überzeugend, dass sie damit eigentlich auch in einer Stadtratssitzung auftreten könnte und nicht nur im Donnerstags-Kabarett der vierten Etage.

Comeback für fröhliche Feste

Es ging um die Feste und großen Veranstaltungen in Markranstädt und angesichts des Etats von nur 33.000 Euro (pro Jahr, nicht etwa pro Fest!) ist das, was der Fachbereich IV da auf die Beine stellt, fast schon vergleichbar mit einer wundersamen Vermehrung des Brotes. Dafür gabs dann auch reichlich Beifall – den einzigen des Abends übrigens, obwohl die Show als Gesamtpaket doch so grandios war.

Am Ende des Events kam dann auf einen Ort die Sprache, von dem man sonst in der öffentlichen Wahrnehmung kaum etwas hört. Meyhen heißt er, grenzt im Westen an Sachsen-Armut, weshalb die Schüler im Osten beschult werden. Dahin führt aber kein Fußweg.

Darum müssen die Schulkinder in Ermangelung eines adäquaten Transportmittels mitten auf der schönen, neuen Straße nach Schkeitbar zur Bushaltestelle laufen. Kein beneidenswerter Zustand, aber angesichts der Tatsache, dass es vor ein paar hundert Jahren noch nicht einmal Schulen gab, durchaus hinzunehmen.

Gandalf 4.0

Das sah ein Abgeordneter allerdings anders. Dreimal dürfen Sie raten, welcher. Er kritisierte, dass im Rahmen des Neubaus der Straße zwischen Schkeitbar und Meyhen der alte, dort einst vorhandene Fußweg beseitigt wurde.

Umgehend gab es Widerspruch von den Räpitzer Volksvertretern, die eisern behaupteten, dass es da nie einen Fußweg gab. Nun ja, die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Zumindest haben jene MN-Schreiberlinge, die vor gefühlten 100 Jahren mit ihren Fahrrädern nach Starsiedel zur Disco fuhren, auf dem Rückweg über Meyhen auch manchmal den Eindruck gehabt, dass diese Straße ein Fußweg sei und der nebenliegende Sommerweg lediglich ein schmaler Wechsel für gemeines Niederwild. Es kommt halt immer darauf an, aus welcher Richtung man die Dinge betrachtet.

… und jetzt das Upgrade

Jedenfalls war das nun wirklich das große Finale eines unvergesslichen Abends in der vierten Etage. Er dauerte genau 90 Minuten, wie damals bei Rudi Carrell oder Wim Toelke. Und wie in den kommenden Tagen die Spiele der Fußball-EM. Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir viel Spaß dabei. Wir hatten unseren heute schon und wären sogar gerne noch bis zum nichtöffentlichen Elfmeterschießen geblieben.

 

2 Kommentare

    • Heiko Küster auf 11. Juni 2016 bei 12:03
    • Antworten

    Also einen besseren Artikel gab es schon lange nicht mehr, habe mich köstlich amüsiert und bereue sogar schon ein wenig, nicht mehr Mitglied in der Theatertruppe zu sein. Aber man kann nicht alles haben – weiter so. Gandalf kann man nur zurufen: Lass Dich von den Hobbits, Orks und den anderen Mittelerdebewohnern nicht verwirren – ein Zauberer bestimmt immer selbst, wann und wie er erscheint!!!

    1. Ein Ring sie zu knechten,
      Ein Ring sie zu finden,
      Ein Ring sie ins Dunkel zu treiben
      und ewig zu binden.

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