Am zurückliegenden Wochenende fand in Seebenisch das 29. Lindenfest statt. Auch oder gerade weil im Jahr 30 nach Pflanzung der Friedenslinde einige Dissonanzen im Konzert der dortigen Vereine vernehmbar sind, lohnt sich mal ein besonderer Blick zurück. Denn mit der Vereinsmeierei war es dort noch nicht immer so. Es gab da eine Zeit, als Seebenisch ganze Hundertschaften von Besuchern anzog und sogar die DDR-Staatsmedien nicht umhin kamen, das Dorf auf ihre Titelseiten zu hieven.
Allerdings handelte es sich bei den Hauptdarstellern nicht um Menschen, sondern Schweine. Und spätestens jetzt werden die älteren Markranstädter in Erinnerungen schwelgen. Die beiden Seebenischer Schweinerennen anno 1984 und 1987 zählten zweifellos zu den Höhepunkten in den 40 Kulturkalendern der DDR.
Obwohl Seebenisch noch heute als Wiege des ostdeutschen Vollblut-Schweinesports gilt, war die Idee nicht neu. Schon aus dem Jahre 1895 ist ein Schweinerennen überliefert, das seinerzeit in der norddeutschen Wesermarsch abgehalten wurde.
Etwa zur gleichen Zeit ließ ein gewisser Gisbert von Romberg im Raum Dortmund seine Schweine über eine Strecke von 4,3 Kilometern gegen ein Rennpferd starten. Der Rappe soll nur auf Platz sieben eingelaufen sein.
Als dann die Kriegsjahre und ihre Folgezeiten anbrachen, waren Schweine dann wieder lieber auf dem Teller gesehen als auf der Rennbahn.
Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg verband sich in der DDR mit dem Begriff „Schweinerennen“ eher der Wettlauf vom Arbeitsplatz zum Fleischer, wenn bekannt wurde, dass dort eine Warenlieferung erwartet wurde.
Die Wiedergeburt des säuischen Spektakels fand im Osten wie im Westen Deutschlands nahezu zeitgleich statt.
Während man sich im Bezirksamt Wandsbek der Freien und Hansestadt Hamburg im April 1983 noch Gedanken machte, wie man ein Schweinerennen auf der Trabrennbahn Farmsen untersagen kann, machte man auf der anderen Seite der Elbe, allerdings rund 400 Kilometer südlich, bereits Nägel mit Köpfen. In Seebenisch wurde das erste Schweinerennen geplant und für den Juni/Juli 1984 vorbereitet.
Laut Neuer Berliner Illustrierten (NBI) soll die Idee während einer Feuerwehrübung entstanden sein, als man sich stritt, wer das schnellste Schwein habe. Das waren noch Zeiten!
Heute gibt es wahrscheinlich bestenfalls Streitgespräche darüber, wer seiner Frau am schnellsten die Whatsapp tippt, dass er um 20:15 Uhr pünktlich zu Hause ist. Aber egal: Die Idee zum ersten Schweinerennen war geboren und enthusiastisch bereitete man sich darauf vor.
Mit jedem Bier kamen auch neue Ideen dazu. Richtige Rails mussten natürlich besorgt, originelle Namen für die Hauptakteure gefunden und natürlich auch für medizinische Betreuung der edlen Borstenvollblüter gesorgt werden.
Die Treiber traten noch in Feuerwehr-Dienstkleidung an. Das weibliche Publikum trug Vokuhila-Frisuren, warf sich Minisiston rein und vertraute auf Albazell, die Männer rauchten Juwel und scheuten sich nicht, Popeline-Hosen anzuziehen.
Das große Warten auf 1987
Der Rest blieb lieber zu Hause und wollte erstmal abwarten, wie sich das entwickelt. Wenns gut ist, wird es das ja nochmal geben und da kann man immer noch hingehen. Manche Dinge ändern sich selbst nach zehn oder zwölf Wenden nicht.
Es dauerte dann trotz des großen Erfolges allerdings drei Jahre, bis das nächste Rennen veranstaltet wurde. Austragungsort anno 1987 war der „kleine Sportplatz“ oberhalb des heutigen Fußballplatzes des SSV Kulkwitz.
Und diesmal wurde in vielfacher Hinsicht noch einer draufgesetzt. Es war ein Ereignis, von dem man noch heute spricht. Selbst Guido Knopp wird spätestens 2017 nicht mehr umhin kommen, eine ZDF-History über „Honeckers geheime Schweine“ in Seebenisch zu drehen. Schwarz-weiß freilich.
Diesmal waren nicht nur mehr Schweine am Start, sondern es kamen auch bedeutend mehr Zuschauer (Schätzungen sprachen von weit über eintausendfünfhundert), es gab eine Brücke für das Renngericht sowie den Zeitnehmer und auch die Medien waren zahlreich vertreten.
Schlussendlich wurde sogar ein Totalisator gebaut, an dem man Wetten abschließen konnte. Eine Idee, die das Vorhaben beinahe zum Scheitern gebracht hätte, denn plötzlich interessierte sich auch die Staatsmacht für das Event und witterte illegales Glücksspiel sowie Verstoß gegen das staatliche Lotto-Monopol.
Gewonnen hatte übrigens Lothar Schmidt, oder besser gesagt, sein Schwein. „Specki vom Winkel“ legte die Renndistanz von 120 Metern in sagenhaften 20,2 Sekunden zurück. Der Rekord steht mangels weiterer Rennen noch heute wie in Beton gegossen.
Tierarzt Gent musste übrigens nur einmal eingreifen. Ein Läuferschwein mit ADHS-Syndrom hatte nach dem Zieleinlauf etwas hyperventiliert, konnte jedoch mit einer Injektion wieder auf den Seebenischer Boden zurückgeholt werden.
Ja, so war das damals in jenen Zeiten, in denen der Regenbogen noch schwarz-weiß kam und man im Schweinsgalopp Spaß haben konnte, derweil woanders Hähne mit Rasierklingen am Bein in die Arena gesetzt, Stiere um die Wette erstochen und sogar Schildkröten zum Sieg gehetzt wurden.
Die jungen Seebenischer Schweine, deren Ahnen noch heute in Affenzahn über die Straßen und durch die Wälder heizen, heißen nicht umsonst „Läufer“.
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1 Kommentar
Einfach Wahnsinn,
habe meinen alten Klassenkameraden wieder erkannt.