Polizei-Großeinsatz für „kurze Zeit später“

So viel Brisanz, dass man gleich mit Blaulicht und Tatütata anrücken muss, hat in Markranstädt bestenfalls das Programm des Seebenischer Karnevalvereins. Also konnte auch das Kinderfest nicht als Ursache für das massive Polizeiaufgebot herhalten, von dem die Kernstadt gestern heimgesucht wurde. Der komplette Bereich der Eisenbahnstraße bis hin zum Bahnhof und sogar der Zufahrt am Sportcenter waren abgeriegelt. Erst nach und nach sickerte durch, was passiert war.

Eins vorweg: Ziffer 12.1. des deutschen Pressekodex besagt: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Nun, die Markranstädter Nachtschichten sind zwar kein Medium, das sich solchem Unsinn verpflichtet fühlen müsste (Nazis sind schließlich auch Minderheiten), aber wir wollen uns trotzdem an das Uralt-Gesetz aus einer Zeit halten, in der es noch investigative Medien gab.

Er ist also weder Christ noch Moslem und auch kein Flüchtling, der 25-jährige Libyer, der gestern um etwa 14:20 Uhr in der Eisenbahnstraße versucht haben soll, von einem 27-jährigen Syrer Geld zu erpressen. Dieser Syrer übrigens auch nicht.

Er wohnt schließlich noch nicht einmal in einer Flüchtlingsunterkunft, wenn man der offiziellen Verlautbarung Glauben schenken will, dass es eine solche in Markranstädt nur im ehemaligen Hotel Gutenberg gibt.

Eisenbahnstraße

Tatort Eisenbahnstraße: War wohl nur Zufall, dass sich dort ein Libyer und ein Syrer trafen. Die Flüchtlingsunterkunft ist ja ganz woanders.

Da war der junge Mann aus Libyen über Anzahl, Lage und Ort der Flüchtlingeunterkünfte wahrscheinlich besser informiert als die hiesige Bürgerschaft durch Stadt und Landkreis.

Apropos offizielle Verlautbarungen: Nach Polizei- und Presseangaben habe der Libyer den Syrer, nachdem der kein Geld rausrücken wollte, niedergeschlagen und sei daraufhin geflüchtet. Weiter heißt es, dass der Tatverdächtige im Rahmen einer Tatortbereichsfahndung „kurze Zeit später“ gefasst wurde. Damit endet die offizielle Verlautbarung. Aber das Geschehen noch nicht.

Das zeichnete vor Ort ein etwas anderes Bild der Vorgänge und warf zahlreiche Fragen auf. Zum Beispiel die, was „kurze Zeit später“ bedeutet. Noch bei Einbruch der Dunkelheit war der gesamte Bereich um die Eisenbahnstraße gesperrt, wurden die Gleisbereiche von Einsatzkräften durchkämmt, Spürhunde waren noch weit nach 17 Uhr im Einsatz und Züge fuhren zwischen Großkorbetha und Leipzig ebenfalls nicht.

Geher

Noch um 19:30 Uhr wurden die Gleise von Einsatzkräften der Polizei abgesucht. Obwohl der Tatverdächtige bereits kurze Zeit nach 14:30 Uhr gefasst wurde und die Presseberichte an dieser Stelle enden.

Im Internet kursierte derweil die Meldung, dass der Täter bewaffnet gewesen sei und auf der Flucht eine Handgranate sowie eine Handfeuerwaffe weggeworfen hätte. Da bekommt nicht nur der Begriff „kurze Zeit später“, sondern auch die weiträumige Absperrung und der Personalaufwand eine ganz andere Dimension.

fb

Natürlich klingt es abenteuerlich, wenn jemand behauptet, in auf der Flucht weggeworfenen Gegenständen von weitem eine Handgranate und eine Pistole erkannt zu haben. Nicht mal Helmut Kohl hat rechtzeitig das Ei erkannt, das damals auf ihn zugeflogen kam und sein Sakko aufgehübscht hat.

Den Fahrgästen jener Züge, die gestern vor Markranstädt stundenlang mitten in der Pampa auf den Gleisen standen und auf Schienenersatzverkehr warteten, wird es egal gewesen sein, ob da Ostereier oder eine Handgranate gesucht wurden.

Bahnsteig

Blau, schwarz, gelb – die Farben der Polizei sind in diesen Tagen ebenso bunt wie unsere Gesellschaft. Der Mann mit dem Spürhund durchstreift in diesem Moment das Bahngelände in Richtung Zuckerfabrik.

Und jenen bahnreisewilligen Personen, die sich auf den Weg zu einem der Bahnhöfe machten, begegnete auch kein berittener Herold mit der Botschaft der Vergeblichkeit ihres Ansinnens. Im Zeitalter des Internets gab es weder von Polizei noch von Bahn brauchbare Hinweise an Reisende.

Irgendwie hatte das Krisenmanagement der involvierten Pressestäbe einen unschönen Fremdgeruch nach abgebrannten Feuerwerksraketen am Neujahrstag vorm Kölner Dom.

Die von Lärm gestressten Anrainer der Bahnlinie hatten dagegen gestern einen richtig schönen, ruhigen Samstagnachmittag. Mal abgesehen von dem Tatütata, mit dem die Polizei auch nach „kurze Zeit später“ noch durch Markranstädt geheizt ist. Trotzdem kann man nur hoffen, dass diese Form der Verkehrsberuhigung und Lärmminderung nicht Schule macht.

Härtelstraße

Auch von der Härtelstraße aus gab es kein Reinkommen in die Eisenbahnstraße. Von der Ecke Leipziger Straße / Sportcenter bis zum Promenadenring war alles abgeriegelt.

 

2 Kommentare

    • John Jeer auf 29. Juni 2016 bei 18:07
    • Antworten

    Die einzige schlüssige und schnelle Information an diesem Tag hatte ich aus den Markranstädter Nachtschichten.
    Das ganze als Satirebeitrag – hat aber eigentlich genau informiert.

    • Klaus Drummer auf 19. Juni 2016 bei 9:19
    • Antworten

    Danke für die tiefgründige Informationen.
    Um 15:30 Uhr war die Eisenbahnstraße noch passierbar. Allerdings waren da schon zwei Streifenwagen vor Ort. „Kurze Zeit“ ist eben doch ein weit dehnbarer Begriff.

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