Helga ist tot, es lebe „schnedderedeng“!

Am Samstag ruft Seebenisch zum 19. OpenAir. Diesmal verbürgt sich sogar der Deutsche Wetterdienst dafür, dass uns eine der schönsten Nächte dieses Sommers erwartet. Zur Erinnerung: Damals in Woodstock wurde eine ganze Generation im Schlamm gezeugt und in Wacken stecken heute noch, drei Wochen nach dem Festival, Gummistiefel in den Feldern, weil Petrus beim Open Air sämtliche Schleusen geöffnet hatte. Beste Bedingungen also für Seebenisch, die feuchten Legenden endgültig in den nächtlichen Schatten zu verweisen.

Es soll in der Vergangenheit sogar schon vorgekommen sein, dass die Seebenischer Veranstalter gefälschte Wetterkarten ins Internet gestellt haben, um auch bei Shit-Wetter Besucher anzulocken.

Das gibt dort natürlich niemand zu. Bestenfalls wird eingeräumt, dass man da vielleicht mal vor Urzeiten versehentlich die meteorologischen Daten vom Ballermann auf die Alte Gärtnerei übertragen hat. Aber nur mündlich, denn zu der Zeit gab es noch kein Internet.

Das gibt’s übrigens auch heute noch nicht. Die Seebenischer OpenAir-Arena befindet sich südlich des Radwegs, der auf der ehemaligen Bahnlinie Lützen-Lausen-London verläuft. Genau dort ist auch die DSL-Grenze der Gegend zu verorten. Wer dahinter wohnt, hat Pech.

„W“ bei W-LAN steht für Wind

Nur beim OpenAir ist das wurscht. Das bekommt man hinter der Bahnlinie auch ohne W-LAN frei Haus geliefert. Quasi als mp3 per Luft in den eigenen Garten. Drum heißt es ja auch OpenAir.

Dass es da, entgegen jüngster Gepflogenheiten in anderen Gegenden Markranstädts (beispielsweise an der Ufer-Promenade), keine Misstöne im Gesamtorchester der Einwohner gibt, hat vielfältige Gründe.

Einigkeit und Glück und Freiheit…

Einerseits hat sich in den dörflichen Gemeinschaften wenigstens noch ein Rest Toleranz und Solidarität erhalten, auf der anderen Seite beweist der veranstaltende Kultur- und Faschingsverein schon seit 19 Jahren einen ausgewogen guten, allgemeinverträglichen Musikgeschmack.

mann

Vom Konzert Manfred Manns (Foto) und seiner Earth-Band spricht der KFV noch heute wie CCR von Woodstock.

Bei Akkorden von den Rolling Stones, Marius Müller-Westernhagen oder Falco muss auch Oma Helga keine Angst haben, um Mitternacht von einem „Motherfucker“ blökenden Rapper aus dem Schlaf gerissen zu werden. Es hat also auch seine Vorteile, wenn man in einer Gegend wohnt, in der es kein Internet gibt und der Regenbogen noch schwaz-weiß kommt.

Apropos Helga: Der legendäre Schlachtruf auf Deutschlands Open-Air-Wiesen hat es zwar bis ins Wikipedia geschafft, wurde aber in Seebenisch in all den 19 Jahren noch nie angestimmt.

helgaUnd wird auch nie intoniert werden, denn Helga ist 2012 beim M’era Luna in Hildesheim öffentlich zu Grabe getragen worden. Aber die Seebenischer hatten ja ohnehin schon immer ihren eigenen Schlachtruf: „Kehr’n wir als Siiiiiieger heim … schnedderedeng!“

Wenn sich am Samstag um 19 Uhr die Tore zur schmucken Arena hinter der Alten Gärtnerei öffnen, wird also ein weiteres Kapitel in der Seebenischer OpenAir-Historie geschrieben. Mal sehen, was diesmal so passiert.

In der Vergangenheit gab es ja immer was für satirische Seelen. Mal fiel der Bierkühler aus, dann sprang Mick Jagger auf den Tresen und bot dort ein Gitarrensolo, dann wieder wollte Wolf Maahn, auf dessen Wunsch der KFV sämtliche Reformhäuser der Umgebung mit probiotischen Nahrungsmitteln leerkaufte, plötzlich Steaks vom KFV-Grill haben. Weil die eben so lecker sind.

maahn

Dass Wolf Maahn sich statt des von seinem Management bestellten probiotischen Futters lieber die KFV-Steaks einwarf, hat jeder gesehen. Aber dass der Linkshänder auch seine Gitarresaiten verkehrtrum aufzieht (Bass unten, Diskantsatz oben), musste ausgerechnet einem Satiriker auffallen.

The Scuttles traten vor zwei Jahren mit einem neuen Schlagzeuger auf, der noch nie nach „Sultans of swing“ gedrummt hat. Ging troptzdem alles gut, ebenso wie bei Mike Kilian alias Mick Jagger, der ab und zu mal den Text vergessen hatte und dann einfach nach englischer Lautsprache intonierte. Der ’s no Deim tu lus, ei hört him see…

Auch Heiratsanträge gab es schon auf der Bühne, begleitet von den Toten Ärzten. Und nicht zuletzt weisen die auf rund neun Monate nach den Konzerten fallenden Geburtstage in der Gegend auch auf gewisse Backstage-Erlebnisse hin. Die Älteste wird demnächst neunzehn. Ein hübsches Mädchen übrigens…

Vorverkaufszahlen oder wenigstens die Zahl der erwarteten Zuschauer wollte der sonst so transparent agierende Verein diesmal nicht preisgeben. Aber wie jedes Rathaus oder jeder Stadtrat, hat auch der Kultur- und Faschingsverein ein paar Löcher in der Windel.

marius

Die Reinkarnation von Marius Müller-Westernhagen brachte anno 2015 das Publikum zum Jubeln. Am Samstag stehen die Gene von Falco auf der Bühne: „Ich hab kein Geld, du hast kein Geld: Wer hat den Mann mit dem Koks bestellt?“

Mit etwa 800 Gästen rechne man, tausend wären noch besser, verriet ein kurzer Blick in die gewechselten Inkontinenzvorlagen des KFV. Bei weniger als 600 Musikfans bekäme man mit der Verwertung der Restbestände im Getränkewagen allerdings Probleme hinsichtlich der eigenen Leberwerte.

Spaß-Skala nach oben offen

Aber so weit kommt es angesichts der Bands, des Wetters, der Stimmung und auch der Entwicklung der Besucherzahlen in den letzten Jahren sowieso nicht. Und nach oben sind erst recht keine Grenzen gesetzt: Die Wiese ist groß, die Bühne ist gerichtet, Bier, Sekt, Alkoholfreies, Steaks und Würstchen sind zur Genüge da und sind auch schnell nachgeordert.

menge

Ach ja, bevor jetzt ganz besonders aufmerksame Leser zur Tastatur greifen, weil sie endlich mal einen Fehler in den sonst unfehlbaren Markranstädter Nachtschichten gefunden haben, sei angemerkt: Die Seebenischer schreiben ihr OpenAir tatsächlich ohne Leerzeichen dazwischen. Irgendwie muss man sich ja von Woodstock oder Wacken abheben.

Open_Air kann schließlich jeder, aber OpenAir nur der KFV Seebenisch.

1 Kommentar

    • jabadu auf 25. August 2016 bei 23:16
    • Antworten

    Die „Seeeebenischer“, so wie sie Günther Sigl von der Spider Murphy Gang nannte, machen das super. Und gesunder Lärm darf in der Nacht auch mal sein. Schade, dass es in der Kernstadt solchen Lärm nicht (mehr) gibt und nichts passiert. Da ist zwar genug Lärm auf den Straßen, den die Stadtoberen umsonst bekommen und nichts organisieren müssen – egal ob dafür oder dagegen, aber sonst wird es „immer mehr“ still im Kern. Wie erlebnisreich waren die Große Raupe oder die Irische Nacht bei der alten Diva Stadtbad.
    Ich denke es ist inzwischen so, dass die einen nichts mehr machen wollen, die anderen sowieso nicht hingehen würden und die ganz anderen dagegen sind. Und keiner kümmert sich, dass alle mal zusammenfinden.
    Kurzum, wir können froh sein, dass es all die ein bisschen eigensinnigen Dörfer noch gibt. Da ist wenigsten was los in Markranstädt. Weiter so, in Seeeebenisch und anderswo.

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