Neues aus der vierten Etage (22)

Die 22. Sitzung des Markranstädter Parlaments hat einmal mehr gezeigt, welche Vorteile es hat, Volksvertreter zu sein. Im Gegensatz zu interessierten Besuchern, anderen Gästen oder satirischen Schriftkundigen bekommt man nicht nur Geld dafür, stundenlang still zu sitzen, sondern auch Getränke. Vorboten einer nahenden Dehydrierung in der Sauna der vierten Etage führten letztlich auch dazu, dass unser MN-Spion die Veranstaltung noch während Tagesordnungspunkt 6 verlassen hat.

Aber das Spektrum der politischen Entscheidungen stand ohnehin nicht im Portfolio der Berichterstattung. Satirisch hatten die ersten sechs der ursprünglich 20 Punkte schon alles geboten und konnten durch das nachfolgende Programm unmöglich getoppt werden. Da kann man ruhig gehen, bevor man vom Notarzt rausgetragen wird.

Im Nachhinein konnte man die Show als gelungenes Kräftemessen des Bürgermeisters mit seinen Kritikern interpretieren. Die Vorwürfe, dass zuletzt nur noch marginale Punkte der Kommunalpolitik auf immer kürzer werdenden Tagesordnungen standen, hat er nun ganz klassisch mit einem 20 Punkte umfassenden Mammut-Programm gekontert.

Die Abgeordneten hatten die Finte offenbar gerochen und versuchten ihrerseits, eine Kürzung herbeizuführen. Fraktionsübergreifend wurde also Tagesordnungspunkt 15 von der Liste gestrichen. In ihm ging es um eine Vermögenszuordnungsvereinbarung mit dem Zweckverband „Erholungsgebiet Kulkwitzer See“.

Einer weniger auf „Spiskes Liste“

Hier fühlten sich die Stadträte mehrheitlich nicht ausreichend informiert, um eine solch zukunftsweisende Entscheidung zu treffen und vertagten diese auf einen noch einzuberufenden Sonderstadtrat. Das Publikum wusste gleich gar nicht worum es geht und nahm diese Geste teilnahmslos bis dankbar zur Kenntnis.

Bei der Abstimmung dazu wurde außerdem festgestellt, dass der Bürgermeister seinerseits versucht hatte, die lange Tagesordnung einzukürzen und den Punkt „Feststellung der Beschlussfähigkeit“ übersprungen hatte. Hier ließen die Senatoren allerdings nicht mit sich handeln und nahmen ihr Recht auf Nachbesserung in Anspruch. Kommunalpolitische Gewährleistung sozusagen.

Glückwünsche auf friesisch

Was dann folgte, war harte Kost für die Anwesenden. Zur Erinnerung: Die Bürgerfragestunde ist traditionell das Podium für Manfred Schwung, der dieses in der Regel nutzt, Spiskes Schlips verbal durch die Ösen seiner Schnürsenkel zu fädeln, worauf dieser meist einsilbig bis kurz antwortet oder eine schriftliche Antwort in den nächsten Tagen verspricht.

Ausgerechnet diesmal antwortete der Bürgermeister auf Fragen aus der letzten Sitzung zumindest rein quantitativ so ausführlich, dass dem an diesem Tage seinen 75. Geburtstag begehenden Schwung das Herz aufgegangen wäre. Wie gesagt, wäre. Denn der Jubilar war gar nicht da.

Ganze 13 Minuten kostbarer Sitzungszeit widmete das Stadtoberhaupt der Verlesung einer aus Aktenzeichen, Vorgangsnummern und Daten bestehenden Antwort einem abwesenden Manne. Das war nicht nur eine Antwort, das war eine Botschaft!

Die anschließende Bürgerfragestunde hatte allerdings auch ohne das Geburtstagskind den üblichen rhetorischen Schwung, wenngleich mit anderer Stimme vorgetragen. Da ging es um Begriffe wie „Luftverschmutzung“ oder „illegale Räucherei“ und so. Cervantes war zumindest für Satiriker am Vorabend des Volksfestes unter den Flügeln der Frankenheimer Windmühle zur schwere Literatur.

Frankenheimer Sprechstunde

Die meisten anderen Bürgerfragen kamen aus Frankenheim und drehten sich mehr oder weniger um die neu ausgebaute Straße, die altbekannte Priesteblicher Straße und natürlich deren Schranke. Geduldig hörten sich Stadträte und Bürgermeister die vorgetragenen Probleme an, auch wenn die Wortmeldungen schon mal vier statt der laut Geschäftsordnung zwei erlaubten Fragen enthielten und am Ende nicht mal mehr Fragen waren, sondern verkehrspolitische Statements, für die es Bürgermeistersprechstunden gibt.

Auch der in den Markranstädter Nachtschichten bereits per Wort und Bild hinreichend publizierte Wall an der Priesteblicher Straße wurde angesprochen. An dieser Stelle zeigte sich einmal mehr, warum die Markranstädter Nachtschichten im Rathaus auf dem Index stehen und man nur hinter vorgehaltener Hand von „Du-weißt-schon-wer“ spricht. Denn nur so kann auch ein Bürgermeister behaupten, dass er von einem solchen Wall nichts wisse und ihn nie gesehen habe.

Nichts gelesen, nichts gesehen…

Das gilt nicht nur für besagten Wall, sondern auch im Falle der letzten Bürgerfrage. Da wollte jemand wissen, ob die Stadträte bei ihrem Beschluss zur Benutzung des Kulki-Westufers auch an die Hunde und deren Besitzer gedacht hätten. Am Schluss stellte sich zwar heraus, dass der Mann möglicherweise was falsch verstanden hat und man auch nach Inkrafttreten der Satzung dort mit Hunden spazieren gehen kann, aber zu den sonstigen katastrophalen Zuständen in diesem Bereich fiel kein Wort.

Am Ende der Bürgerfragestunde war zu konstatieren, dass inzwischen eine ganze Stunde vergangen war und man erst Tagesordnungspunkt 5 hinter sich gelassen hat. Eine Hochrechnung ließ die berechtigte Befürchtung zu, dass die Glocke von St. Laurentius vis a vis elfmal schlagen würde, bevor der Abspann läuft.

Inzwischen wurden angesichts des tropischen Klimas da oben nach und nach sämtliche Fenster aufgerissen. Die im ersten Moment recht angenehme Zugluft könnte sich in den nächsten Tagen zumindest für eine Person am Ratstisch als einträglicher Wirtschaftsfaktor erweisen: Volles Wartezimmer mit steifen Hälsen.

Diagnose: Stadtratssitzung

Nachteil: Der quasi über Eck verlaufende Raumschnitt der seltsamen Zimmerkonstruktion ist auch ohne Verkehrslärm von draußen schon schlecht geeignet, Lautäußerungen von drinnen wahrzunehmen. So blieben manche Bürgerfragen oder andere stimmliche Regungen jenen, die in der anderen Ecke saßen, für immer verborgen.

Als man nach anderthalb Stunden noch immer nicht über Tagesordnungspunkt 6 hinaus war und die Zunge des Zuschauers am Gaumen festzukleben drohte, waren selbst die Kritiker des Bürgermeisters gar gekocht. Nie wieder wird sich wohl jemand darüber beschweren, dass eine Tagesordnung zu kurz war oder deren Punkte zu schnell respektive oberflächlich abgehandelt würden.

Noch während Dr. Egler (VHS) sein fast halbstündiges Referat über die Rolle der Bedeutung des Mehrgenerationenhauses hielt (es war inzwischen 20 Uhr und 13 Punkte lagen noch vor dem hohen Haus), wünschte man sich wenigstens eine kleine Pausennummer zur Abwechslung. Es hätte ja nicht gleich ein Riesen-Bärenklau sein müssen, mit einem kleinen Löwenzahn wäre man schon zufrieden gewesen.

Einfach unbezahlbar

Als sich die Abgeordneten dann genüsslich an den vor ihnen aufgestellten Getränken bedienten und schlussendlich Mike Hienzsch auch noch für sich und Platznachbarin Birgit Riedel eine VitaCola-Schorle zu mixen begann, war es um die Standhaftigkeit des durchgeschwitzen Satirikers geschehen.

Nein – nicht fürs Hobby und auch nicht bei Eintritt für lau. Da erscheint selbst ein Urlaub in der Sahara wie eine Verheißung. Zwar kann man da auch Durst leiden und viehisch ins Schwitzen kommen, aber man muss da wenigstens nicht zusehen, wie andere trinken.

Was alles beschlossen wurde und die anderen wichtigen Dinge, die in der vierten Etage zu erfahren waren, stehen spätestens morgen sowieso in der Zeitung. Das ist das traurige Los eines Journalisten: Der muss bis zum bitteren Ende bleiben, weil er’s bezahlt kriegt. Der Lohn des Satirikers ist derweil der Griff in den heimischen Kühlschrank. Es gibt Dinge, die sind einfach unbezahlbar.

 

5 Kommentare

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    • Andreas Gentsch auf 4. September 2016 bei 19:32
    • Antworten

    Hallo Mr. Unbekannt,
    wenn jemand etwas nicht richtig verstanden hat, dann sind Sie es (oder Ihr Spion). Meine Frage zur Satzung bezog sich nicht auf´s Gassigehen am Westufer Kulkwitzer See, sondern auf den §2 (2) Abs. f :
    “ Es ist untersagt…insbesondere Hunde in den Monaten Mai bis September frei laufen zu lassen sowie im Badebereich mitzuführen“. Aber kein Schamgefühl- die angesprochenen SR hatten es auch nicht richtig verstanden. Aber schlimmer noch im Rathaus bei den Erfindern der Satzung: Drei Mitarbeiter- drei Meinungen dazu.

    1. Na ja, vielleicht war Ihre Frage in dieser Hinsicht auch nicht deutlich genug formuliert? Wie auch immer: Da unten am Kulki ist sowieso Hopfen und Malz verloren. Anarchie wohin das Auge reicht und lediglich der ruhende Verkehr (was für eine Wortschöpfung!) wird konsequent reglementiert. Na ja – und Sie haben es ja bei der Diskussion um den Frankenheimer Wall mitbekommen: Solange man nicht persönlich dort war und glaubhaft versichern kann, auch die Markranstädter Nachtschichten nicht zu lesen, kann man sich stets mit befreiendem Nichtwissen herausreden. Fehlt eigentlich nur noch, dass man Joggern empfiehlt, die Dienstwaffe mitzunehmen…

    • Glöckner, Rosi auf 1. September 2016 bei 23:49
    • Antworten

    Es tut mir sehr leid, dass Sie das nicht wissen (konnten), dass für Besucher auch Gläser und Flaschen mit Wasser zur Verfügung standen, auf dem Tisch an der Wand hinter dem BM. Es wurde auch nicht gesondert erwähnt, da gebe ich Ihnen recht. Ein Hinweis an das Sekretariat wird da künftig sicher Abhilfe schaffen.

    1. Liebe Frau Glöckner,

      vielen Dank für Ihre tiefe Anteilnahme und den Hinweis zum Standort der Erfrischungsoase. Es muss Ihnen aber wirklich nicht leid tun. Der Fehler liegt eindeutig bei uns. Niemals hätten wir ein solches Weichei in die vierte Etage schicken dürfen, das bei gefühlten 35 Grad schon nach anderthalb Stunden die weiße Fahne schwenkt.
      Da drin saßen Damen und Herren jenseits der 70 und selbst die hielten tapfer durch ohne auch nur nach einem einzigen Schlückchen zu lechzen. Es ist einfach beschämend, wie degeneriert die jüngeren Generationen sich heute manchmal anstellen, danach immer noch die große Klappe haben und die Schuld stets bei anderen suchen. Wir werden hier personelle Konsequenzen ziehen! Leider ist das mit Führungskräften in leitender ebenso wie leidender Funktion nicht so einfach, wie Sie sicher wissen. Egal ob Bauamt oder Satirewerkstatt – man kriegt sie einfach nicht los.

        • Glöckner, Rosi auf 2. September 2016 bei 18:04
        • Antworten

        Danke für eine entspannende Lektüre in der Nachstadtratszeit.

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