Am Montagabend: Rote Polarlichter über Markranstädt

Die internationalen LKW-Kapitäne könnten am Montagabend ins Grübeln kommen, wenn sie durch Markranstädt fahren. Laut Navi sind sie zwar schon längst in Deutschland, aber die Atmosphäre an Kirche und Stadthalle lassen einen anderen Schluss zu. Noch ein paar Mädels dazu gedacht und blinkende Schilder mit der Aufschrift „open“ und schon verknüpft man das grenznahe Ambiente mit tschechischen Kulturtagen „Europastraße  55“ in der Stadt am See.

„Night of light“ heißt die bundesweite Aktion, die auch in Markranstädt zelebriert wird. Allerdings müsste es sinnstiftender „Night of Leid“ heißen, denn mit dieser Alarm-Beleuchtung soll auf die prekäre Situation der Event-Branche aufmerksam gemacht werden.

In der Nacht von Montag zu Dienstag werden deshalb bundesweit markante Gebäude rot angestrahlt. In Markranstädt soll neben der Sankt Laurentiuskirche auch die Stadthalle in rotes Licht gehüllt werden.

Initiator des Markranstädter Teils dieser Aktion ist das Team der ansässigen dd show & eventgroup um Detlef Dölitzsch.

Die Genehmigungen der Kirchgemeinde für die Errötung der St. Laurentiuskirche und der Stadtverwaltung für das Anleuchten der Stadthalle liegen vor.

Tod in 100 Tagen

Zugleich haben die Entscheidungsträger die Möglichkeit genutzt, ihre Zusagen fürs rote auch mit entsprechenden Statements ins rechte Licht zu rücken.

Die Befürchtung missverständlicher Interpretationen liegt auf der Hand. Weil man neben AfD und Freien Wählern während des Alltags in der Corona-Krisenzeit auch von den Markranstädter Linken kaum ein Lebenszeichen vernommen hat, könnte man dem Trugschluss erliegen, dass es sich bei den montäglichen Lichterscheinungen um deren plötzliches Erwachen handelt.

Deshalb soll jeder Ähnlichkeit mit der Kreml-Mauer, den Roten Khmer oder einem Parteitag vorgebeugt werden. Der wahre Anlass dieser Supernova ist schließlich schon traurig genug. In der Branche der Kulturveranstalter heißt es: „Die nächsten 100 Tage übersteht die Veranstaltungswirtschaft nicht!“

Pfarrer Michael Zemmrich erklärt: „Wir möchten für diese eine Nacht ein Zeichen der Solidarität mit Unternehmen setzen, die sonst zu Freude und Geselligkeit der Menschen beitragen, die aber eben selbst auch Zuspruch nötig haben.“

Pfarrer Zemmrich: „Zuspruch geben“

Weiter betont der Chef der Markranstädter Kirche: „Diesen Zuspruch können wir auf diese Weise geben ohne mit dem, wofür unsere Kirche steht, missverstanden zu werden. Wir hoffen, dass durch die ’night of light‘ den Initiatoren dieser Kampagne die erwünschte Aufmerksamkeit zukommt.“

Auch Bürgermeister Jens Spiske ließ seine Zustimmung zur Rotlichtbestrahlung der Stadthalle mit aufmunternden Worten garnieren: „Wir wollen damit unsere Solidarität für die Branche und unser Markranstädter Unternehmen zeigen“, sagt er im Singular.

Dass ein solches Zeichen bundesweit wahrgenommen wird, steht außer Frage. Ob es aber ausreichend Wirkung entfaltet, bleibt nur zu hoffen und steht auf einem anderen Blatt.

Vom allein Kämpfen und Sterben

Denn nicht nur die Event-Branche ächzt derzeit. Auch die vielen im selben Boot sitzenden Soloselbstständigen oder Gastronomen und andere Berufsgruppen würden sich gegen etwas Solidarität und Aufmerksamkeit ganz sicher nicht wehren.

Und so könnte die Night of light zwar ein optisch schönes Schauspiel werden, aber nicht von der Kraft profitieren, die sie als konzertierte Aktion aller Krisenopfer hätte generieren können.

Die Event-Veranstalter stellen rote Lampen auf, die Gastronomen ihre Stühle auf die Marktplätze und die Soloselbstständigen tun ebenfalls das, was sie am besten können: solo selbstständig protestieren.

Zumindest die gewünschte Aufmerksamkeit wird dem Event wegen seiner originellen Ausführungen zukommen. Für nur wenige Stunden einmalig in Rot getaucht, werden sich bestimmt allerhand Fotografen einfinden, die das stille Spektakel ablichten und weitertransportieren.

Ob sich die politische Szene in Berlin damit erweichen lässt, von den Milliarden-Hilfen für DAX-Unternehmen ein paar Euro abzuzweigen? Eher nicht. Die Reichen und Krisengewinnler können ihr soziales Gewissen schließlich damit beruhigen, dass sie schon immer die Kultur- und Eventszene unterstützt haben.

So zum Beispiel Clemens Tönnies, dessen Imperium wegen Covid 19 inzwischen selbst am Beatmungsgerät hängt. Anlässlich seines 60. Geburtstages hatte der westfälische Fleischwolf 2016 den verarmten C-Promi Helene Fischer vor dem Fall in Harz IV gerettet, indem er sie für seine laut Volksmund rund eine halbe Million Euro billige Privatparty gemietet hat. Ein Held, ein Kulturmäzen, ein rot leuchtendes Beispiel gelebter Solidarität!

Selbst ist das Volk?

Es ist zu befürchten, dass dies die einzige Reaktion aus Berlin auf die morgige „Neid of Leid“ sein wird: Ein Appell ans Volk, seine Mitverantwortung bei der Krisenbewältigung wahrzunehmen und den eigenen Geiz hintenan zu stellen. Buchen Sie für Ihre kommende Familienfeier Jürgen Drews, Christian Steifen, Florian Silbereisen oder Andrea Berg!

Aber zumindest die soloselbstständige Ethnie kurzarbeitender Fotografen kann vorübergehend aufatmen. Für wenige Stunden wird sie am Montagabend alle Hände voll zu tun haben, um die Flüchtigkeit der Farbe Rot an den markanten Gebäuden unserer Republik dauerhaft festzuhalten.

Weitere Informationen zur Aktion „Night of Light“ finden Sie auf www.night-of-light.de.

 

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