Bunt kann schließlich jeder

Auf der händeringenden Suche nach Fachkräften sind die Markranstädter Nachtschichten jetzt im Satirenetzwerk Deutschland (SND) fündig geworden. Im Rahmen des Austauschs von Au-Pair-Autoren kam ein junger Trainee (neudeutsch für „kostenloser Schreibsklave“) zu uns, der sofort eingeschlagen hat. Wir haben ihn dauerhaft gekauft und gleich zum Facharbeiter ernannt. Eugen Artig heißt der junge Mann, kommt aus Leipzig und stellt uns hier nun sein Erstlingswerk vor:

Die 1954 gegründete „Deutsche Stiftung für visuelle Entschleunigung im urbanen Raum“ prämiert einmal im Jahr Städte und Gemeinden, die durch besonderes Engagement bei der Gestaltung ihrer Stadtbilder für ein farbenfrohes Lebensumfeld sorgen.

Jedes Jahr wählt die Jury eine Farbe, widmet sich historisch, städtebaulich sowie künstlerisch dem gewählten Coleur und verleiht den mit 5000 Euro dotierten „Goldenen Farbtupfer“ an die Gewinnerstadt.

Erstmals wurde 2019 auch Markranstädt nominiert. „…und hat eine sehr gute Figur gemacht“, sagt Anke Rinsen, Jurymitglied aus Potsdam. „Dieses Jahr steht Grau im Mittelpunkt, eine Farbe, die heutzutage mit vielen Vorurteilen behaftet ist“ so die 39-Jährige.

Grau heißt: Lust am Leben!

Allerdings reichte es für die Stadt am See am Ende nur zur Platz zwei und damit lediglich für eine Urkunde, die nicht mal abgeholt wurde.

Für viele Menschen sei Grau der Inbegriff von Langeweile und Monotonie, sagt Rinsen. Doch dem widerspricht sie aus Überzeugung. Grau stehe heute für den modernen Menschen, sei zugleich Sinnbild für destruktive Seriosität sowie morbide Eleganz und strahle ein kreatives Selbstbewusstsein aus.

Rom als Vorbild

„Schon die Römer bauten mit Beton, und seither bestimmt diese Farbe maßgeblich den Städtebau in Europa“, meint Rinsen. Beton, Asphalt, aber auch die Hintergründe vieler Websites, die Gestaltung in Büroräumen – Grau ist omnipräsent. Genau deshalb habe sich die Jury der Stiftung dieses Jahr für die Farbe Grau entschieden.

Als „Urknall des fröhlichen Farbkonzeptes“ überzeugte das Rathaus auf ganzer Linie. Leider reichte es für Markranstädt am Ende nur zur zweitgrausten Stadt Deutschlands.

Anke Rinsen und ihr Jury-Team hatten im August die 25 ausgewählten Städte besucht und ein klares Urteil gefällt: „An Markranstädt ist uns sofort das Rathaus ins Auge gesprungen. Es steht an einer zentralen Kreuzung und begrüßt Pendler, Reisende und Berufstätige jeden Tag mit einem freundlichen, aufgeweckten Achatgrau.

Besonders überzeugt haben allerdings das Sportcenter in optimistischem Telegrau 4 und die Marktarkaden mit ihrem fröhlichen Farbenspiel aus Lichtgrau und Platingrau.

Überzeugte die Jury durch einladendes Telegrau: Das Markranstädter Sportcenter.

„Markranstädt liegt auch deshalb soweit vorn, da es hier die meisten verschiedenen Grautöne auf engstem Raum gibt. Silbergrau, Aschgrau, Anthrazit, Betongrau, Feldgrau, Telegrau 1 und 2, Mausgrau, Rauchgrau und Schiefergrau, um nur einige Nuancen zu nennen, von der unsere Bewertung abhängt“, informiert Anke Rinsen.

Ein Kaleidoskop aus Grau

Denn Grau sei nicht gleich Grau. Besonders wenn es um die geschichtsphilosophische Deutung der Farbe geht, kennt sich die approbierte Kulturtherapeutin aus und gerät ins Schwärmen.

„Bei Grau handelt es sich letztendlich um Helligkeitsabstufungen zwischen reinem Weiß und reinem Schwarz. Es entsteht in der additiven oder subtraktiven Farbmischung, wenn die Anteile der jeweiligen Grundfarben gleich sind, aber die Helligkeit weder maximal – also weiß – noch minimal, also schwarz ist.“

Ging bei der Jury gerade noch als Anthrazit durch: Privatinitiative mit lebensbejahendem Farbenspiel an einer Grundstücksfront in der Zwenkauer Straße.

Dies verkörpere das Grundprinzip der Gleichheit in unserer Demokratie und stehe somit für Kompromisse, Sachlichkeit und den Mittelweg, fernab von Extremen. Grau ist demnach die bunteste sinnliche Wahrnehmung, denn in ihm vereinen sich alle Farben zu gleichen Teilen.

Auch sprachhistorisch gibt es Hinweise auf die vielschichtige Bedeutung der Farbe. Das Morgengrauen beispielsweise markiert den Übergang von der Nacht zum Tag, also ein erhellendes Ereignis für die Sinne des Menschen, von dem auch Tiere und Pflanzen profitieren.

„Die Arbeit beginnt im Morgengrauen, oft sind die Wolken grau und die Straßen die uns jeden Tag überallhin transportieren, sind ebenfalls grau. In Markranstädt ist es beispielhaft gelungen, diesen grauen Faden aufzunehmen und in die städtebauliche Gestaltung zu integrieren“, frohlockt Rinsen.

Aber warum dann nur der enttäuschende zweite Platz? Die Antwort ist so schmerzhaft wie wahr: Die Kirche in Markranstädt ist zu weiß, sagt Peter Wottich, zweites Jurymitglied der Stiftung. „Wir haben besonders die großen, wichtigen Gebäude ins Blickfeld genommen und als Kirche direkt neben dem Rathaus auf dem zentralsten Platz in der Stadt, mussten wir da genauer hingucken.“

Zu hell gibt Strafpunkte

Ein Farbtest habe gezeigt, dass das Dach der Kirche zwar in einem sehr selten verwendeten Anthrazitgrau mit schiefergrauen Color-Intarsien erstrahlt, die Fassade jedoch mit einem zu hohen Lux-Remmissionswert nicht mehr als Reingrau oder wenigstens Neutralgrau bezeichnet werden kann. „Deshalb geht der erste Preis an Glachendorf im Ruhrgebiet, dicht gefolgt von Markranstädt, das sich ganz knapp gegen die komplett im natürlichen Verfallsgrau erblühende Stadt Halle an der Saale durchsetzen konnte.“

Dieser klare Verstoß gegen das monotongraue Farbkonzept der Stadt kann durch Fördermittel aus dem EU-Projekt „Zukunft ohne Kontraste“ aus dem Stadtbild getilgt werden.

Dennoch, als zweitgrauste Stadt Deutschlands muss sich Markranstädt nicht verstecken. Und in gut informierten Kreisen heißt es, dass man die Hinweise des Stiftungsbeirats in Markranstädet sehr ernst nimmt.

So sollen beispielsweise die Fassaden in der Leipziger Straße komplett in Schiefergrau übermalt werden, einzelne nichtgraue Gebäude, besonders die vielfarbigen Wohnhäuser im Jugendstil, werden mit Fördergeldern vom Bund in Grau saniert, und auch mit dem Denkmalschutz stehe man bereits in Verbindung, damit sich auch die geradezu hervorblendende Fassade der Kirche bald harmonisch in das dezente Gesamtensemble des Stadtkerns einfügt.

5 Kommentare

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    • Bernd Hollwitz auf 11. Oktober 2019 bei 10:53
    • Antworten

    Also ich denke, dass dieses „Glachendorf im Ruhrgebiet“ gleich neben Lallendorf in Margransd liegt.
    Schöne Geschichte aus dem großen Reich der Fantasie!

    Viele Grüße vom Börni

    • Heidi auf 10. Oktober 2019 bei 14:11
    • Antworten

    Na, aber Holla, wer soll das dennn bezahlen? Wer schon mal seine Hütte gemalert hat weiß doch, dass die Farbe immer teurer wird, je mehr Farbpigmente eingerührt werden. Woher hätte die Kirche denn z.B. ein Kirchenmausgrau bezahlen sollen? Die Zukunft wird es richten! Bald schon werden wir den Beweis sehen können, welche Feinstaubpartikel von Schuhsohlen-, Reifenabrieb und Autoauspuffgasen sich auf der Straßenseite und welche sich auf der Marktseite der unschuldig weißen Kirchenfassade niederschlagen. Vielleicht können wir uns schon mal auf eine zweifarbige Kirche einstellen?
    Geduld ist der Schlüssel zur Freude!

    • Franzmann auf 10. Oktober 2019 bei 12:30
    • Antworten

    We fade to grey oder „Devenir gris“!

    .. wie wir Franzosen sagen.

    Auch isch, der isch an der dötsch-französischän Gränzä wohnäh,
    finde es sähr grau in Markranschtäd.
    Oala, fieleischt können Jakudemas mit etwas Spraydose von Farbe
    aushelfen und die fehlenden Farbtüpfer setsen.

    Euer Franzmann

    • Thomas auf 10. Oktober 2019 bei 7:50
    • Antworten

    Wenn man als „Ureinwohner“ täglich mit dem Grau konfrontiert wird, nimmt man es irgendwann gar nicht mehr wahr. Man wundert sich nur, wenn man dann mal Besuch von woanders bekommt und der sich dann über so viel Grau wundert. Schön dass auch die MN jetzt mal „Besuch“ bekommen haben, dem sowas auffällt. Im Gegensatz zur Siegerstadt oder solchen Käffern wie Halle, wo das Grau von ganz alleine gewachsen ist (Farbton Zeitgrau) ist es aber in Markranstädt offenbar gewollt und von daher plädiere ich für Platz 1!

  1. Schade das es nur für den zweiten Platz gelangt hat. Trotzdem ist es hoch anzuerkennen gegenüber Halle und sogar Lützen die Nase vorn gehabt zu haben. In Lützen hätte man sogar extra zum Stadtfest 2019 ausschliesslich mit 1750 grauen Luftballons geschmückt, jedoch hätte eine kleine rote Holzhütte neben der Gustav-Adolf-Gedenkstätte die Stadt von einem Podiumsplatz ganz nach hinten katapultiert.
    Kopf hoch, das nächste mal.

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