Das nahende Ende der Enduro-Rollstühle

Behindertengerecht umgebaute Einrichtungen, die aber von Behinderten nur schwer oder gar nicht erreicht werden können? Keine unter Betäubungsmitteln entstandene Eingebung unterforderter Satiriker und auch keine Einzelfälle in Deutschland. Unser Volkskorrespondent Georg Deimler hat ein gelungenes Beispiel solch kleinstaatlicher Planungskunst sogar in Lindennaundorf gefunden. Allerdings hat die Pointe der Geschichte im Laufe der Recherche etwas an Zündstoff verloren, weil die Satiriker vom Bauamt überholt wurden, ohne eingeholt zu werden.

Bevor wir zum aktuellen Stand des Projektes kommen, nehmen wir uns noch einmal Deimlers Weihnachtspost an die Markranstädter Nachtschichten vor. Darin verkündet er:

In der alten Lallendorfer Straßensiedlung Lindennaundorf wurde die Bushaltestelle „Schmiede“ behindertengerecht umgebaut. Toll! Und das auch noch lange vor Weihnachten. Was für ein Geschenk. Endlich können Bürger mit Einschränkungen leichter in den Bus ein- und aussteigen.

Okay, so weit zum eigentlichen Ansinnen der behindertengerechten Ertüchtigung des Bushafens. Dass die Passagiere erst mal nass werden, wenn sie im Regen auf den Bus warten, kann man sich vielleicht damit schöndenken, dass wir uns auf dem Lande befinden. Hier ist die hautnahe Koexistenz mit den Naturgewalten nicht nur hinzunehmen, sondern ebenso Teil der Lebensphiolosophie wie der Geruch nach Gülle oder krähende Hähne.

Auf der Via Inklusia

Aber dann sind da auch noch ein paar Meter Dreckweg rechts neben der Haltestelle übrig geblieben. Ein Stück dörflicher Romantik aus einer Zeit, als es noch keine Busse gab und Rollstühle von leibeigenen Sänftensklaven getragen wurden.

Dieses letzte Stück Bürgersteig der Schönauer Straße, so vermutete unser Autor damals unter dem Einfluss vorweihnachtlicher Besinnlichkeit, wird wohl zu einem neuen Förderprojekt der Stadt Markranstädt ernannt. Und so schlug er vor, die Planer der Stadt Schilda an der Pflasterung mitwirken zu lassen.

„Immerhin müssen Absperrung und Baustelleneinrichtung an gleicher Stelle mit erneuten Kosten geplant werden“, ahnte Georg Deimler und erteilte Vorstellungen eine klare Absage, wonach das „gleich in einem Abwasch“ hätte erledigt werden können.

Schließlich wär’s ja dann kein Schildbürgerstreich mehr und wir hätten nichts, worüber wir uns lustig machen könnten.

Und so ließ der Autor seiner Phantasie weiter freien Lauf und prophezeite: „Möglicherweise wird vorher noch die geplante Durchlauf-Erweiterung für den Hopfenteich unter der Bienitzstraße realisiert. Geplant seit 6 Jahren. Außerdem ist noch nicht festgelegt, in welchem Jahr die Realisierung erfolgt.“

So viel zu Georgs Visionen. Was er übersehen hat, sind die wirtschaftlichen Synergieeffekte, an denen ganze Industriezweige partizipieren.

Bei Pirelli und Goodyear hat die Nachfrage nach Geländebereifung für Rollatoren seit Januar sämtliche Umsatzrekorde gebrochen, Enduro-Rollstühle stehen hoch im Kurs und selbst Gummistiefel erleben auf dem Weltmarkt eine sensationelle Renaissance. Alles nur wegen diesem mittelalterlichen Zugang zur Haltestelle!

Ein Schildbürgerstreich?

Ein Schildbürgerstreich?

Da werden Erinnerungen wach an die Zeiten der Entstehung des Stadtteils Grünau, als an den unbefestigten Straßenbahnhaltestellen Millionen Plastetüten im Schlamm steckten, deren Träger scheinbar wie von Geisterhand in die Tram gebeamt schienen.

Schönes Kopfkino, das allerdings vom Markranstädter Bauamt mit stoischem Ernst in einem Testbild endet. Dort ist das Problem bereits auf dem Schirm. Inklusive Planungsleistung habe die Ertüchtigung der Haltestelle 80.200 Euro gekostet.

Der Zweckverband Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) förderte das Projekt mit 71.400 Euro. Aber eben nur die Haltestelle. Wie man dahin gelangt, stand nicht auf der Agenda.

Und im gleichen Tenor zerstört das Bauamt auch noch die letzten Funken Hoffnung auf eine satirische Pointe: „Als der Gehweg erneuert wurde, war der Berührungspunkt zwischen Gehweg und neu geplanter Bushaltestelle noch unklar. Ein ordentlicher Anschluss zwischen Gehweg und Bushaltestelle war jedoch Bestandteil der Ausgangsplanung.“

Dieses Stück mittelalterlicher Verkehrsinfrastruktur soll bis Ostern einem gepflasterten Fußweg weichen.

Dieses Stück mittelalterlicher Verkehrsinfrastruktur soll bis Ostern einem gepflasterten Fußweg weichen.

Der Anschluss habe nicht mit der geförderten Maßnahme kombiniert werden können und weil die Haltestelle im Dezember 2020 fertiggestellt wurde, konnte er aufgrund der winterlichen Verhältnisse bisher noch nicht hergestellt werden.

Ostern wird’s ernst!

Auch der letzte mögliche Lacher wird vom Rathaus gnadenlos zunichte gemacht. Demnach sei die Leistung zur Herstellung des Anschlusses bereits beauftragt und, so wörtlich, „wird bis Ostern 2021 erbracht“.

Weil das, was uns den Spaß verdirbt, für die Lindennaundorfer Buspassagiere eine Freude sein wird, schließen wir uns der optimistischen Stimmung an und beenden unsere Recherche mit dem Fazit: Schön, dass wir mal drüber gesprochen haben.

 

4 Kommentare

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    • Georg Deimler auf 28. Februar 2021 bei 14:28
    • Antworten

    Ende gut Alles gut.
    Wenn schon keine Weihnachtsüberraschung, dann eben ein freudiges Ostergeschenk.
    Aber nicht hinterm Busch versteckt, sondern ganz öffentlich.
    Gut das beim Ziel Ostern das Jahr mit steht, sonst hätten wir uns vielleicht vorher dem ersten Menschen auf dem Mars widmen können.

    Gehweg und Haltestelle sind ja auch völlig verschiedene Dinge und müssen geradezu getrennt behandelt werden.
    Oder, was zusammen gehört, kann eben auch im reichen Germany-Land nicht immer miteinander kombiniert werden.
    Koste es, was es wolle.
    Wenn’s halt nicht im 5 – Jahrplan enthalten ist.

    Nach Ostern kann, wenn alles gut geht Bilanz gezogen werden:
    In fünf Bauabschnitten über mehrere Jahre entstand im Straßendorf Lindennaundorf zwar ein Flickenteppich, aber dennoch ein insgesamt befestigter Gehweg mit einer barrierefreien Haltestelle.
    Ein Ausdruck der hervorragenden Leistungen und Errungenschaften unserer demokratischen Gesellschaft.
    Nur der Bedarf an Gummistiefeln sinkt nach Ostern wieder in unseren Dörfern.
    Glück zu

    • Bürger auf 28. Februar 2021 bei 12:49
    • Antworten

    Der Preis ist heiß, hieß es.
    Ein Fall fürs Schwarzbuch?
    Mal an Mario Barth schicken, dann kommt unsere Stadt ins TV mit bestimmt viel positiver PR.
    Vom Bauamt rede ich lieber nicht.
    Das war sicherlich schon vorausschauend und hat Hürden gegen Corona eingeplant. Welche Weitsicht…

    • Heidi auf 28. Februar 2021 bei 11:27
    • Antworten

    Hoch lebe Schilda! Warum hat man eigentlich die Sänften abgeschafft?
    Als die Straßendecke des Kreuzungsbereiches Siemensstraße/ Edisonstraße saniert wurde, hätte man das Lineal anlegen können um zu sehen, dass die ganz dicht neben dem klar erkennbaren quadratischen Baustellenareal liegenden Schlaglöcher nicht zum Sanierungsgebiet gehören.
    Interessant zu erfahren wäre allerdings, welche Logik der Sanierung der Straßendecke der nördlichen Nordstraße zugrunde lag: Die bei der Sanierung nicht gefüllten Löcher erinnern irgendwie an eine Streuobstwiese. Ob dort die Anwohner zukünftig ihr Fallobst entsorgen dürfen? Oder ob die Schäden noch nicht die für Sanierungsbedarf erforderliche Tiefe aufwiesen und noch etwas „nachreifen“ müssen? Oder ist dieser Straßenabschnitt als Trainingsgebiet für unsichere Wagenlenker gedacht?
    Das Sanierungsmeisterstück war aber wohl der Bahnübergang! Die Häppchenweise Bearbeitung des Problems kommt ja letzlich allen Beteiligten zugute, denkt sich der verständnisvolle Schildbürger.
    Nun ist´s endlich vollbracht und möge lAAAAAAnge halten und der Bedarf für öffentliche Aufklärung solcher Problemlagen sollte doch damit auch allen Schildaern klar erkennbar sein.

    1. Das haben Sie jetzt sicher mit der Geschichte von den „Sieben Schwaben“ verwechselt. Die Schildbürger, das waren die mit dem Licht in Säcken. Die wussten damals schon, wie man ressourcenschonend für Beleuchtung sorgt.

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