Exorzismus im KuK: BOS-Funk kommt in Schwarzen Weg

Ganze 11 Minuten hat gestern der Showdown im KuK gedauert, dann war das Thema durch. Der BOS-Funkturm wird nicht in der Ranstädter Mark errichtet. Was wie ein Sieg des Bürgertums klingt, hat aber auch seine Schattenseiten. Allerdings sind die nur durch Brillengläser zu sehen, die vorher mit Satire bedampft wurden. Oder wenigstens mit Grappa. Schauen wir also mal durch.

Dass sich der neue Standort längst herumgesprochen hatte, war bereits anhand der Besucherzahlen erkennbar.

Für grade mal rund 15 Leute (ebenso viele sendungsbewusste Lokalpolitiker, die nur mal gesehen werden wollten, bereits abgezogen) war die sächsische Polizei mit einer gefühlten Hundertschaft aussagefähiger Informationsträger angerückt.

Als Stefan Wolf, Leiter der Polizei-Arbeitsgruppe Netzwerkplanung, dann um genau 18:11 Uhr den neuen Standort des Funkturmes im Schwarzen Weg bekannt gab, war der Drops schon gelutscht.

Weg mit den Alu-Helmchen

Obwohl es gerade die befürchtete Strahlung war, die das Bürgertum aus der Ranstädter Mark auf die Barrikaden getrieben hatte, strahlten ausgerechnet deren Gesichter wie geschmolzene Reaktorkerne in Fukushima.

Da können die Grünstreifen-Retter jenseits des Bahndamms jetzt ihre panisch gefalteten Helmchen aus Alufolie also wieder glatt streichen und wenigstens noch ein paar Frühstücksbemmen darin einwickeln. Auch gut.

Aus für Mikrowellen-Siedlung

Dabei war sie eine durchaus ernergiesparende Alternative, die Sache mit dem Funkturm. Wollte man den Angaben der Widerständler Glauben schenken, hätte es gereicht, den Eintopf einfach auf den Küchentisch zu stellen. Bei den vielen Bränden in Markranstädt hätte der Sprechfunkverkehr der Rettungskräfte das Zeug binnen Sekunden zum Sieden gebracht.

Das eigene Haus als autarke Mikrowelle, wenn das kein Alleinstellungsmerkmal ist? Aber nein: Statt dessen hatte man mit Wertverlust der eigenen Immobilie argumentiert und das haben sie nun davon. Nix da mit Essenkochen auf Staatskosten. Und trotzdem tickt der Geigerzähler wie bei einer Flasche Atompils: Man strahlt vor Freude und fühlt sich kerngesund. Stößchen!

Verdutzte Gesichter im Auditorium des KuK dann ab Minute zwölf. Trotz geradezu flehentlicher Aufforderung kam keine einzige Bürgerfrage. Und das in Markranstädt und zudem noch in Anwesenheit der Menschwerdung aller Bürgerfragen aus der vierten Etage!

Plädoyer für langsamen Funk

Da erbarmte sich Bürger Roland Steckel und bat den sichtlich erleichterten Versammlungsleiter um das Mikrofon. Okay – eine Frage hatte Steckel jetzt so auf die Schnelle auch nicht parat, aber zumindest brillierte er mit einem interessanten Statement wider die Geschwindigkeit. Dieser BOS-Funk sei ihm zu schnell, ließ Steckel wissen und warb für mehr Entschleunigung im Alltag. Man täte gut daran, sich hier und da auch mal etwas zurückzunehmen und Dinge langsamer anzugehen.

Als das Publikum im Geiste schon frühmittelalterliche Rauchzeichen durch die Gassen der Stadt wabern sah, präzisierte Steckel seine Befürchtungen. Je schneller der Funk, desto missbräuchlicher ließe er sich nutzen, so der 04420-Galerist. Jetzt also doch wieder Alu-Hütchen – und gleich für die ganze Stadt?

Der Exorzist küsst den Teufel

Aber die anwesenden Kompetenzträger der Polizei konnten das Argument locker weglächeln. Als ob in Markranstädt schon jemals irgendwas schnell ging. Selbst der Tetra 25-Standard des BOS-Funk kommt hier schwarz-weiß. Und das sogar noch bis mindestens 2030. Geschwindigkeit und Strahlung haben hier also bestenfalls die gleichen physikalischen Werte wie wenn man laut rufen würde.

Die zweite und zugleich letzte Bürgerstimme ließ dann im Saal gleich reihenweise die Kinnladen auf die Tischplatten klacken. Bereits erwähnter Manfred Schwung bedankte sich im Namen der Seinen für die weise Entscheidung und schloss in seine Verneigung ebenso namentlich wie ausdrücklich auch den Bürgermeister ein. Großes Kino im KuK: Der Exorzist des Besessenen drückt dem Teufel einen Kuss auf die Stirn. Allein dafür hat sich das Kommen gelohnt.

Bliebe am Ende noch ein Blick auf den neuen Standort des inzwischen auf eine Höhe von 44,3 Metern gestutzten Stahlgittermastes. Er soll am Schwarzen Weg ganz am hinteren Ende des Parks aufgebaut werden.

Ein paar Kleingärtner, die sich dort im Sommer am Grill die Kante geben, haben als Kollateralschäden quasi schon von der Wiege an keine so eindrucksvolle Lobby wie streitbare Neubürger in weißen Wohnwürfeln hinter keimfrei geschotterten Vorgärten.

Strahlen mit Stumpf und Stiel

Sowieso sind die Kleingärten mit ihren sächsischen Wurzeln, wehenden Fahnen und den geheimnisumwitterten Vorgängen hinter den hohen Hecken schon längst als Keimzellen neofaschistischer Umtriebe ausgemacht worden. Wer Unkraut mit Stumpf und Stiel aus- und sich mit Nachbarn zusammenrottet, dem ist noch viel mehr zuzutrauen. Also weg damit!

Aber die armen Tiere da hinten im Park, das geht ja nun gar nicht. Unter hochfrequenten Mikrowellen zerplatzte Maulwürfe oder gegen den Turm geprallte Vögel, die sich unter den Blicken einer traumatisierten Kita-Gruppe im Todeskampf am Boden winden, während sich der Himmel über ihnen durch tausende verirrte Fledermäuse schwarz färbt, weil ein digitalisierter Notruf ihren Ortungssinn umprogrammiert hat, gestrandete Stichlinge am Kulki – die Apokalypse nimmt ihren Lauf!

Neuer neuer Standort gesucht

Aber noch ist Polen nicht verloren. Schon läuft die Tierschutzvereinigung Animal for Democracy (AfD) gegen die Standortentscheidung Sturm. Sie will den Sender noch weiter nach Westen verpflanzen. Am besten nach Lützen, wo die Strahlen die geringsten Schäden anrichten können. Nicht nur, weil der Wiederaufbau der Stadt schon nach der Schlacht bei Lützen ins Stocken geriet und 16 Monate nach Ende des 30-jährigen Krieges endgültig zum Stillstand kam. Auch sonst so.

 

6 Kommentare

Zum Kommentar-Formular springen

  1. Na da bin ich mal gespannt wie das ausgeht. Die Bewohner an der Ranstädter Mark fahren die schwersten Geschütze auf, um ihr Leben zu retten. Ein Funkmast neben einem Wohngebiet geht überhaupt nicht. Da könne man ja gleich in einen Sarg ziehen. Ergebnis. Der Mast wurde anderen Markranstädtern aufgedrängelt.
    Und nun? Nicht mal 30m neben dem Funkturm in der Hordisstraße entsteht ein neues Wohngebiet, sozusagen in strahlendem Umfeld. Und sicher gibt es schon Pläne, den Funkturm abzureisen, oder es gibt Leute, die so ein Funkmast überhaupt nicht stört.
    Na mal sehen.

    1. Sie sind nicht up to date. Für die Errichtung eines BOS-Turmes gibt es keinen Grund mehr. Corona-bedingt, sozusagen. Weil der China-Gipfel in Leipzig nicht stattfindet, braucht man auch den Strahlenspargel nicht mehr. Dafür solls jetzt Fördermittel für die Feuerwehr geben, damit die sich für Alarmierung und Kommunikation ein paar berittene Herolde halten kann.

  2. Also hier sind drei Passagen drin, bei denen ich trotz des ernsten Themas schallend gelacht habe. Die Menschwerdung aller Bürgerfragen, der Exorzist, der dem Teufel des Besessenen einen Kuss auf die Stirn drückt und die gestrandeten Stichlinge am Kulki … da seid Ihr mal wieder zu Höchstform aufgelaufen.
    Gleichzeitig ist es Euch damit gelungen, den bitteren Ernst aus der Sache herauszunehmen und dennoch den Finger in die Wunde zu legen. Ich schließe mich dem Kommentar von Ulrich Naser in jedem Wort an. Dass ich über den Vorgang trotzdem schmunzeln kann, ist Euer Verdienst. Wird Zeit, dass das Engagement der Markranstädter Nachtschichten auch mal irgendwo öffentlich gewürdigt wird.

    • Ulrich Naser auf 29. Februar 2020 bei 18:50
    • Antworten

    Mit dem Kompromissstandort für den BOS – Funkturm am Schwarzen Weg, wurde den Bewohnern an der Ranstädter Mark nachgegeben, die nach meiner Meinung ganz nach dem Sankt – Florian – Prinzip „Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd‘ and’re an“, argumentierten.
    Als Markranstädter belastet mich dieses einseitige Vorgehen der Wortführer um den ersten Standort und noch mehr deren Dankesreden, die ein wenig gutes Miteinander zeigen. Auch warte ich auf die Reaktionen der Schrebergärtner und Bewohner am Schwarzen Weg.
    Als Bewohner am Schwarzen Weg, fühle ich mich jedoch solidarisch mit den Sicherheitsbehörden und bin für den jetzt gefundenen Standort.

    • Nachbar auf 28. Februar 2020 bei 12:40
    • Antworten

    Wenn es heißt, Massenansammlungen sind besser zu meiden, wegen Corona & Grippeviren, verwundert mich die Teilnahme von so Wenigen nicht.
    Danke für den Artikel, zumal unter diesen „Bedingungen“.

    1. Das ist ein ganz anderer Virus, der hier gerade die Runde macht. Siehe Nachrichtenticker im Laufband ganz oben 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.