Gänsehaut-Stimmung in der Kirche

Die vergangenen Monate standen in Markranstädt ganz im Zeichen des Wahlkampfes. Aber während sich die breite Aufmerksamkeit auf die Stimmabgabe zur Besetzung des Thrones im Rathaus richtete, fanden auch in der neu zusammengemeindeten Evangelisch-Lutherischen Kirche Wahlen statt. Mit viel weniger Brimborium und Tamtam nach außen, aber nicht minder richtungsweisend nach innen. Ein neuer Kirchenvorstand wurde gewählt. Er ist am Sonntag in der St. Laurentiuskirche eingeführt worden und das war nicht das einzige Bemerkenswerte in diesem außergewöhnlichen Gottesdienst.

Respekt nötigte bereits vor Beginn der Handlung die Disziplin der Teilnehmer ab. Akribisch wurde auf die Einhaltung der Abstände geachtet, die Masken wurden bereits vor der Kirche aufgesetzt und so musste auch kein einziger mahnender Hinweis erfolgen.

Manche Besucher nahmen es mit den Regelungen sogar so genau, dass man jeden Moment damit rechnen wollte, sie würden gleich einen Zollstock aus der Handtasche zaubern und nachmessen.

Wenn man also trotz der zahllosen leeren Plätze an diesem Sonntagmorgen von einer bis auf den letzten verfügbaren Platz gefüllten Kirche spricht, so liegt das an der spezifischen Dichte des Elementes Mensch in diesen Tagen.

Im Gesang der Gedanken

Gottesdienst unter Masken, das hat Vor- und Nachteile. Der Nachteil für den ungeübten Christen besteht darin, dass beim Ausatmen die Brille anläuft und man den Text des aktuellen Liedes nicht mehr erkennen kann. Von den Noten ganz zu schweigen.

Dieses Manko wiegt allerdings ein Kaugummi schnell wieder auf. Man muss nur halbwegs im Takt kauen, schon wackelt die Maske und man ist zumindest optisch in den Kreis der singenden Gemeinde integriert.

Die geheime Hommage

Einleitend wurde sowieso nicht gesungen. Frank Lehmann spielte auf der Orgel das, was man in der weltlichen Musik ein Medley nennt. Nur dem ganz aufmerksamen Zuhörer offenbarte sich dabei, dass sich auch ein paar Noten aus dem Volkslied „Muss i denn zum Städtele hinaus“ in die weihnachtlichen Weisen verirrt hatten.

Wer den Kantor kennt, der ahnt, dass es sich um seine ganz persönliche Hommage an die scheidenden Mitglieder des alten Kirchenvorstandes gehandelt haben könnte. Wenn’s so war, dann war das eine mehr als bewegende Geste mit Gänsehaut-Bildung, bei der auch das eine oder andere Auge feucht wurde.

Etappe geschafft!

Pfarrer Zemmrich und all den Aktiven, die in den letzten Monaten mitunter bis an die Leistungsgrenze am Zusammenschmieden der neuen Kirchgemeinde Markranstädter Land-Rückmarsdorf-Dölzig gearbeitet hatten, wäre die Erleichterung an diesem Vormittag wohl sogar durch FFP3-Masken anzusehen gewesen.

Noch sind zwar ein paar Nachwehen wegzuhecheln, aber die Geburt der neuen Struktur ist gelungen.

Die Geburt des Malarüdö

Dass so eine Drillingsgeburt nicht ganz schmerzfrei ist, werden nicht nur Mütter lebhaft nachvollziehen können. Aber schön, dass man auch dabei den leisen Humor nicht verloren hat. Den sperrigen Namen „Markranstädter Land-Rückmarsdorf-Dölzig“ haben die findigen Eltern schon von sich aus auf den Rufnamen Malarüdö eingekürzt.

Auch Pfarrer Zemmrich selbst bekam von der Gemeinde ordentlich Dank ab. Hat er sich nach den harten Verhandlungswochen aber auch redlich verdient.

Auch Pfarrer Zemmrich selbst bekam von der Gemeinde ordentlich Dank ab. Hat er sich nach den harten Verhandlungswochen aber auch redlich verdient.

Fast zeitgleich mit den Bürgermeisterwahlen in Markranstädt fand auch die Wahl des neuen Kirchenvorstandes statt.

Ohne Plakate, Versprechungen und Brandbriefe anonymer Andersdenkender und auch ohne Selbstdarstellung eigenen Sendungsbewusstseins in Form von ungefragten Meinungsäußerungen, Selbst-Interviews oder ebenso motivierten Pressekonferenzen. Kurzum: Eine zumindest nach außen hin sympathische Wahlprozedur mit Konzentration auf das Wesentliche.

So wurde am Sonntag im Altarraum der alte Kirchenvorstand entpflichtet und danach die neue Besatzung des Gremiums … ähm … ja … das nennt sich nun mal so: eingeführt.

Die mit der Inventarnummer

Pfarrer Michael Zemmrich würdigte das Wirken der bisherigen Vorsteher, die sich durch die Zusammenlegung der einstigen drei Gemeinden teilweise selbst erst vor einiger Zeit gefunden hatten.

Auch zwei Urgesteine zählten zu den Verabschiedeten. Uwe Lange und Jochen Ritter-Müller waren seit 1984 in diesem Gremium tätig und dürften in den Archiven der Landeskirche bereits mit einer eigenen Inventarnummer geführt werden.

Und auch den vielen Gemeindegliedern, die in der Vergangenheit die Vielzahl ehrenamtlicher Tätigkeiten übernommen haben, dankte der Pfarrer ausführlich.

Uwe Lange (2.v.r.) wird nach 36 Jahren aus dem Kirchenvorstand verabschiedet.

Uwe Lange (2.v.r.) wird nach 36 Jahren aus dem Kirchenvorstand verabschiedet.

Neben Blumen und kleinen Aufmerksamkeiten gab es bei der Entpflichtung des alten Vorstandes dann ausnahmsweise auch mal Applaus, was in einem Gottesdienst selbst dann nicht üblich ist, wenn der Kantor an der Orgel oben zur Höchstform aufläuft.

Der alte Kirchenvorstand wird entpflichtet.

Der alte Kirchenvorstand wird entpflichtet.

Danach wurden die am 13. September gewählten neuen Vorsteher auf die Anhöhe des Altarraumes gebeten. Sie werden jetzt in der Legislatur bis 2026 die Geschicke der Kirchgemeinde leiten.

Gewählt wurden: Sebastian Gatzka, Dr. Cornelia Herzig, Maja Hoffmann, Birgit Schwertfeger, Ernst Waltsgott, Christine Beyer, Franziska Bloyl, Anke Fiebig, Ina Fleischer, Torsten Ifland, Dr. Michael Märker, Dr. René Thiele und Marion Wummel. Komplettiert wird der Vorstand von den berufenen Mitgliedern Nadine Klinge, Jeanette Rüger und Charlotte Thrandorf.

Der neue Vorstand mit je "einem Paket Ermutigung".

Der neue Vorstand mit je „einem Paket Ermutigung“.

Auch hier wurden Blumen überreicht und vom Pfarrer gab es noch „ein Paket Ermutigung für die bevorstehenden Aufgaben“. Die werden sie brauchen, die Neuen an der Spitze und all die, die sich haupt- und ehrenamtlich engagieren. Denn von ihnen wird einiges abverlangt, was „mitunter gegen den Lauf der Welt und manchmal auch gegen den Lauf der Kirche“ zu sein scheint, wie Michael Zemmrich postulierte.

 

8 Kommentare

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    • Tilo Lehmann auf 30. November 2020 bei 10:38
    • Antworten

    Danke den „Vergangenen“, Danke den „Gegenwärtigen“ Ehren- und Hauptamtlichen unserer Kirche und dem Glücksfall dieses Pfarrers. Danke für eine Info durch die MN die man gewiss als Positiv und Lebendig bezeichnen kann (damit haben die Qualitätspresse-Schreiberlinge allgemein ja so Ihre Not damit).

    1. Bitte nicht immer auf den Holzmedien rumhacken. Die haben es ganz schwer mit der Heiligen Dreifaltigkeit. Da ist einmal der Vater (Chefredakteur), dann der Sohn (Ressortleiter) und schließlich der Heilige Geist (der Leser). Will heißen: Wenn du nur zwei Beine hast, kriegst du keinen Spagat in drei Richtungen hin. Da sind die Markranstädter Nachtschichten klar im Vorteil: Hier regiert die Demokratur der weltlichen Einfaltigkeit.

    • H.B. auf 30. November 2020 bei 10:02
    • Antworten

    Auch von mir ein Lob für diesen tollen Artikel. Er bereitete einfach Freude beim Lesen. Dem Kirchenvorstand MALARÜDÖ (welch herrliche Abkürzung) viel Kraft bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Pfarrer Zemmrich bleibt hoffentlich noch lange in Markranstädt. Er ist ein vorbildliches Beispiel für eine gute Kirchengemeinde.

    1. Danke fürs Lob, aber der Ehrlichkeit halber ist an dieser Stelle einzugestehen, dass es in der Tat einfacher ist, sich mit etwas zu beschäftigen, das wirklich zu Deutschland gehört. Wenn der Schuster bei seinen Leisten bleibt, können die Schuhe nicht drücken (Nachtschichten 47.11).

    • Biker auf 30. November 2020 bei 9:46
    • Antworten

    Sehr gut und auch emotional berührend geschriebener Artikel! Danke

    1. „Wer beim Hinsehen lächelt, dem lacht die Wiedergabe“ (Nachtschichten 08.15)

    • Samoht auf 30. November 2020 bei 7:49
    • Antworten

    Mit einem 2000 Jahre alten Wahlprogramm so hoffnungsvoll in eine neue Legislatur zu gehen, ist schon eine respektable Leistung. Aber das dann auch noch so unterhaltsam beschreiben zu können, dass sogar Ungläubige von ihrem Glauben abfallen, das nötigt mir den größten Respekt ab. Kompliment und vielen Dank für die Informationen, die ganz nebenbei auch noch abgefallen sind.

    1. Das war eine Eingebung. „Selig seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen!“ (Lukas 6.21)

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