Und Ignatz sprach zum Haselstrauch: „Halt die Nüsse fest, jetzt wird geblasen!“ Was folgte, war ein stürmischer Donnerstag, der in Markranstädt seine Spuren hinterließ. Frauen haben die Frisur von Tamara Danz wiederentdeckt, Männer schafften beim Urinieren im Freien satte acht Meter (sofern sie sich in die richtige Richtung gedreht hatten) und auch die Kinder hatten ihren Spaß. Zwei MN-Reporter haben sich während des Infernos unter Verachtung des eigenen Todes nach draußen gewagt und die Lage in einer Fotoreportage zusammengefasst.
Weil der Sturm so viel Staub auf der Schulbaustelle aufgewirbelt hat, gaben die Brandmelder versehentlich Alarm. Könnten sie reden, hätten sie sich bestimmt rausgeredet mit so Floskeln wie „Ich kanns ja nicht riechen.“
Und also wurden die Kids sicherheitshalber gen Stadthalle evakuiert. War dann für sie wie in einer VIP-Lounge. Von dort hatten sie einen erstklassigen Blick auf die Forstarbeiten, die Mutter Natur auf dem Alten Friedhof durchführte.
Selbst die Jakedumas, die sonst sogar schwerstbewaffneten Ordnungskräften trotzig die Stirn bieten, ergriffen angesichts herabfallender Äste unter Zurücklassung ihrer gesamten Habseligkeiten die Flucht. Einen Kondensstreifen hinter sich her ziehend, nahmen sie sogar ganze Bäume, die sich ihnen urplötzlich in den Weg legten, wie ein Hürdenläufer ohne mit ihren ebenso verkümmerten wie nutzlosen Scroten das Totholz zu berühren.
Ähnliches Bild auch ein paar Meter weiter im Stadtforst an der Parkstraße. Hier hat die Natur gezeigt, wie erfolgreiche Kommunalpolitik gemacht wird. Ohne Investitionszulage, Fördermittel oder gar kontrovers diskutierte Stadtratsbeschlüsse wurde der langweilige Sandkasten kurzerhand zum Abenteuerspielplatz. Überleben unterm Klettergerüst – oder wie die Kids heute sagen: No risk, no fun!
Gleiches galt auch für die Besitzer von Pkw, die ihre Lieblinge entlang der Parkstraße unter den schützenden Wipfeln der Bäume abgestellt hatten. Es schien, als würden die Autos ähnlich wie John Carpenters „Christine“ plötzlich ein Eigenleben entwickeln. Gleich reihenweise richteten die Scheinwerfer ihre Blicke ängstlich nach oben.
Die schlimmste Folge der Naturkatastrophe sollte allerdings erst noch kommen. Botanischen Windflüchtern gleich, wandten sich die Satellitenschüsseln von der Sturmseite ab und richteten ihre Antlitze gen Osten. Seit Donnerstag 14 Uhr ist in Markranstädt flächendeckend nur noch das russische Staatsfernsehen zu empfangen. Wohl den Dementen, deren Langzeitgedächtnis noch funktioniert und die zu den Beiträgen „Für Freunde der russischen Sprache“ Beifall klatschen.
Ganz andere Szenen trugen sich in den Ortschaften zu. Da hatte so mancher Grundstücksbesitzer plötzlich ein neues Trampolin im Vorgarten.
Allerdings genau da, wo wenige Minuten zuvor noch stattliche Tannen standen, deren Wipfel nun in Nachbars Teich ein Dasein als Seerosen fristen. Zumindest bis die Kettensäge dieser neobiotischen Versuchsreihe ein Ende setzt.
Zurück zur Kernstadt, wo inzwischen auch der Polittempel unter kreisrundem Haarausfall gelitten hat. Die Innenstadt musste unter den herabfallenden Ziegeln aus der vierten Etage gesperrt werden. Als am Nachmittag wieder einige Tropfen fielen, meinte ein Passant: „Jetzt regnet’s bei den Stadträten aber wirklich rein!“
Aber bei all dem Chaos gilt ein dickes Lob dem städtischen Bauamt. Während sich die Bausubstanz der gesamten Stadt unter den Sturmböen berstend bog, bot das eindrucksvollste und gleichwohl wichtigste Bauwerk Markranstädts den entfesselten Naturgewalten erfolgreich die Stirn. Ein würdiger Beweis für wahre Kompetenz in nachhaltiger Stadtarchitektur.
2 Kommentare
… und die T(D)ach-und (Nacht)decker haben viel zu viel zu tun… Ei Hoch den wenigen Handwerkern die schlimmste Not verhindern (und noch können)! Die Betroffenen haben Freude wenn sie geholfen bekommen können. Danke den vielen Notrettern- ALLEN!
Es gibt ja nur zwei Berufe, die sich mit Dachschäden beschäftigen: die Dachdecker und die Psychologen. Und wenn der Handwerker nicht kann, kommt füher oder später der Nervenarzt zum Zuge. Insofern hat der Handwerker auch für die Entwicklung medizinischer Schadensvorsorge eine hohe Verantwortung.