So viel Heimlichkeit und trotzdem solch ein Gewusel in dieser Woche hinter den Türen der Stadtkirche. Während das Team um Jürgen Wummel die Generalprobe für das wieder mal mit Spannung erwartete Krippenspiel am Heiligabend über die Bühne brachte, schleppte jemand ein Artefakt durch das Kirchenschiff, bei dessen Anblick selbst Horst Lichter in „Bares für Rares“ die ondulierten Bartspitzen erschlafft auf den Kragen fallen würden.
Die froheste aller frohen Botschaften vorweg: Markranstädt darf sich am Heiligabend um 22 Uhr auf ein Krippenspiel freuen, das selbst in den von chinesischen Kunstklappen gesteuerten Herzen eingefleischtester Atheisten wieder einmal tiefste Dankbarkeit erzeugen wird.
Chef-Autor Jürgen Wummel und seinen neun Mitstreitern ist es auch in diesem Jahr gelungen, den zweitausend Jahre alten Staub von der Mutter aller Weihnachtsgeschichten runterzublasen, die antiquierte Grammatik in allgemeinverständliches Neusprech zu übersetzen und das Geschehen rund um die Geburt des händeringend gesuchten Nachwuchses in unsere Tage zu datieren.
„Aber gespoilert wird nicht, sonst…“, drohte Jürgen Wummel mit einem durchgeladenen Kugelschreiber, als er mitten in der Generalprobe des MN-Schriftführers ansichtig wurde. Das geschah gerade in jener Szene, als der Engel seine Botschaft „Fürchtet euch nicht“ von der Kanzel hinab auf die Markranstädter Muttererde gesandt hatte.
Ein unbekanntes Nachthemd als Klimakleber?
Angesichts heiß laufender Klimakrise, sich überschlagender Inflation und wütender Kriege haben die Darsteller auf der Bühne allerdings alles andere vor, als sich nicht zu fürchten. Außerdem: Wer würde dem „unbekannten Nachthemd da oben“ heute schon Glauben schenken?
Die Szene endet mit der unmissverständlichen Aufforderung eines modernen Glühwein-Hirten: „Kann mal jemand die Spinnerin da oben runterholen oder hat die sich dort festgeklebt?“
Das „Krippenspiel für Erwachsene“ ist in den zurückliegenden Jahren eine Institution geworden. Fast schon neidisch blicken sogar die allein den DAX anbetenden Ungläubigen aus dem gesamten Landkreis am Heiligabend nach Markranstädt, weil es das eben nur hier bei uns gibt. Wo sonst kann beim Krippenspiel, wie am Heilig Abend 2017, schon mal eine Schaufensterscheibe eingeworfen werden und das Anrücken einer neuzeitlichen Pretorianer-Garde mit Blaulicht provozieren?
Gesellschaftskritische Besinnlichkeit mit einer Prise Humor und allerhand Gaben zum Nachdenken auf dem Weg zurück in die heimischen Wohnzimmer – der Kirchengang gen St. Laurentius in der Heiligen Nacht um 22 Uhr ist nicht die schlechteste Alternative, um im Schatten des Tannenbaumes einer Runde Mensch-ärgere-Dich-nicht mit der Schwiegermutter zu entsagen.
Wer es nicht ganz so spirituell mag, kann in der Kirche allerdings auch ganz andere Entdeckungen machen. So gibt es in deren Innerem eine Nische in der Mauer, die aus jener Zeit stammt, als Christen noch einen katholischen Glaubenshintergrund hatten und mit Frauen zündelten. In dieser Vertiefung wurde einst die Monstranz aufbewahrt. Also ein Behältnis, in dem Reliquien wie Knochen, Schnürsenkel oder abgebrochene Fingernägel verblichener Heiliger gehütet wurden.
Doch weil die Strickjacke von Helmut Kohl im Keller des Hauses der Geschichte in Bonn liegt und Nadine Stitterich nun wahrscheinlich doch erst im kommenden Jahr vom Landrat endgültig heilig gesprochen wird, mangelt es in Markranstädt an neuzeitlichen Reliquien. Da kam Burkhard Schmidt eine Idee!
Versteckt in einer Mauernische: Wahres statt Bares
Der Chef des Fördervereins St. Laurentiuskirche wusste in der Asservatenkammer des Gotteshauses noch ein historisches Relikt, das auch die Herzen der Ungläubigen mit Freude zu füllen vermag.
Wer seinen Blick aufmerksam durch die Kirche gleiten lässt, wird hinter dem schmiedeeisernen Gitter in der Mauernische ein Lichtlein entdecken. Dessen elektrische Quelle ist das einzig neuzeitliche Accessoire im Ensemble der über 100 Jahre alten, im Originalzustand befindlichen Krippendarstellung. Astreine Schnitzkunst und historische Farbfassungen, in Würde gereift unter dem Staub des 19. Jahrhunderts und vor allem „made in markranstädt“.
In diesem Sinne soll auch der Weihnachtssegen „urbi et marcranes“ der Markranstädter Nachtschichten in die Welt hallen.
Allen Lesern sei ein frohes, gesegnetes Weihnachtsfest beschieden und vielleicht sieht man sich ja beim Krippenspiel am Heilig Abend um 22 Uhr in der Stadtkirche.
3 Kommentare
Markranstädt mit den Gegenkönig Kurt.
Als Gegenkönig bezeichnet man einen König, der – aufgrund zerrütteter, instabiler oder unklarer Machtverhältnisse oder nicht geregelter oder umstrittener Thronfolge – gegen einen noch amtierenden König aufgestellt wurde, um diesen zu stürzen.
Stimmt, und Hamster sind nachtaktiv, Tomaten sind rot und beim LKW geht die Tür nach außen auf.
Dem Verfasser der vorstehenden Zeilen auch von mir beste Wünsche für ein besinnliches Weihnachtsfest!