Klimawandel in Markranstädt: Die Rückkehr der Steinzeit

Das Markranstädter Amtsblatt macht den Satirikern vor Ort jetzt scheinbar ernsthaft Konkurrenz. Unter der Rubrik „Oder wie Claus Narr sagen würde…“ ist in der jüngsten Ausgabe ein Text erschienen, der normalerweise auf Plakate gehört und in der ganzen Stadt ausgehängt werden müsste. Nicht wegen seines lustig formulierten Inhaltes, sondern allein des durchaus ernsten Hintergrundes wegen. Es geht um die Vorgärten von Leuten, die offenbar zeigen wollen, wieviel Schotter sie haben.

[Foto: BBirke | CC 4.o]

Der Artikel passt in die Zeit. Immer mehr Eigentümer gestalten ihre Außenanlagen lieber mit Zuschlagstoffen für den Straßenbau als mit Pflanzen aus dem Gartencenter. Das stellt den kreativen Geist vor ungleich größere Herausforderungen als die wahllose Anordnung von Pflanzen.

Unter dem Kürzel GdG, das sinnstiftend für den Begriff „Gärten des Grauens“ steht, haben sich im Internet bereits deutschlandweit über 65.000 Menschen angemeldet und inzwischen mehrere tausend Fotos von Schotterwüsten gepostet, deren landschaftsarchitektonische Strahlkraft den Begriff „Schönheit“ im neuen Jahrtausend definiert.

Damit der Kulturschock beim Betrachten der Bilder nicht in einem dauerhaften Koma mündet, werden die Fotos mit herrlichsten Texten aufgehübscht. Und so wurde die Facebookseite im Laufe der Zeit wirklich zu dem, was deren Protagonisten wollten: Die (wahrscheinlich) erste Gartensatire der Welt!

Interpretationen der Bio-Poeten

Auch in Markranstädt findet man in zunehmendem Maße solche Zeugnisse neokultureller Naturreligion. Diese Vorgärten erinnern eher an archäologische Ausgrabungsstätten steinzeitlicher Siedlungsspuren.

Von den Bio-Poeten der Gärten des Grauens wird sowas dann schon mal als „heidnische Kultstätte aus der prä-apokalyptischen Epoche des 21. Jahrunderts mit regional-typischer Obsoletkeramik“ geadelt, die als „Seelenspiegel einer dem Untergang entgegen fiebernden Endzeit-Gesellschaft“ interpretiert wird.

Diese Lösung ist noch etwas einfallslos. Doch allein schon mit der Installation einer blauen Glaskugel ließe sich dieses naturnahe Ensemble deutlich aufwerten.

Diese Lösung ist noch etwas einfallslos. Doch allein schon mit der Installation einer blauen Glaskugel ließe sich dieses naturnahe Ensemble deutlich aufwerten. [Foto: BBirke | CC 4.o]

Aber ist das nicht normal in unserer Zeit? Wenn es keine Bienen und andere Insekten mehr gibt, wozu dann blühende Pflanzen in den Vorgarten setzen? Die werfen dann irgendwann ihre nutzlosen Blätter ab und schon muss sich der Eigentümer wieder bücken.

Ja gut, er könnte sie auch liegenlassen für Würmer und anderes in der Erde lebende Getier. Aber das würde einen Shit-Storm in der Nachbarschaft provozieren. Von wegen „die faule Sau da drüben“ oder „Der bückt sich nur, wenn der Schlüssel vom Mercedes runtergefallen ist“ und so.

Hinter dem Maschendrahtzaun

Auch Nachbarschaftsklagen sind nicht ausgeschlossen. Wenn der Eigentümer des Nebengrundstücks auf seinem Granit-Beet eine verendete Biene entsorgen muss, die zweifelsfrei von der Grünpflanze des Nachbarn – der einzigen weit und breit – angelockt wurde, liegt der Fall klar auf der Hand. Maschendrahtzaun 2.0!

Und dann sollte man auch das architektonische Gesamtensemble betrachten. In den suburbanen Känguruh-Siedlungen (nichts im Beutel, aber große Sprünge) hat sich in den letzten Jahren ein Baustil etabliert, der in seinem Umfeld schon aus rein ästhetischen Gründen keinerlei Grün duldet. Und schon gar nicht bunte Blütenpracht.

Der geschulte DDR-Bürger könnte mitunter dem Verdacht erliegen, dass da ehemalige Transformatorenhäuschen des VEB Kombinat Energieversorgung Leipzig zu Wohnzwecken ertüchtigt wurden. Aber das ist ein Trugschluss.

Es sind keine umfunktionierten Lüftungsschlitze einstiger Umspannanlagen, von denen die weißen Fassaden der modernen Wohnbunker unterbrochen werden, sondern in der Tat Fenster. Sie werden von den Architekten dieser entemotionalisierten Kunst sogar als solche angepriesen!

Dezent reduzierte Farbenspiele aus unterschiedlichsten Grau-Schattierungen bringen Lebensfreude in den Alltag. Eventuell noch nicht ganz verkümmerte Reste des natürlichen Instinkts lassen sich durch Lebensbäume kultivieren, die garantiert kein Laub abwerfen. [Foto: BBirke | CC 4.o]

Wer einen solch modernen Baukörper mit einem derart reduzierten Lichtkonzept sein Eigen nennt, hat folgerichtig nur eine begrenzte Sicht nach außen. Wozu also einen natürlichen Vorgarten anlegen, wenn man ihn nicht mal sehen kann? Das muss jedem noch so standhaften Kritiker einleuchten.

Zeit ist Gnade

Man hält sich doch keine Pflanzen, die man nur dann sieht, wenn man sie pflegen muss. Es reicht ja schon, wenn der Hund wegen Hundeschule, Hundepediküre, Hundefriseur und Tierarzt so viel Zeit in Anspruch nimmt, dass man kaum noch ein paar Minuten für das eigene Kind hat. Und diese kostbaren Momente soll man dann vielleicht noch einem Lebensbäumchen im Vorgarten widmen? Wie krank ist das denn?

Vorgarten oder Ausgrabungsstätte steinzeitlicher Siedlungskultur? Auf alle Fälle braucht man sich in den langen Phasen der Trockenheit keine Gedanken mehr über die Gartenbewässerung zu machen. Auch das ist Freiheit.

Früher war das anders. Da hatten beispielsweise Rentner noch Zeit, sich um Blumenbeete und Gärten zu kümmern. Heute müssen sie ihre reichlich bemessenen Stunden zwischen den Mahlzeiten mit aufwändigen Gerichtsverfahren füllen, damit wenigstens der Grünstreifen gegenüber gerettet werden kann.

Es soll Leute geben, die ernsthaft lachen, wenn sie unmittelbar neben einer landschaftsarchitektonisch ausgeklügelten Topografie mit der auf ein privates Schieferbergwerk reduzierten Aura das Plakat mit der Aufschrift „Wir kämpfen für den Erhalt des Grünstreifens“ entdecken. Man kann aber auch darüber nachdenken. Vor allem darüber, wer mit „wir“ gemeint sein könnte.

Das Umfeld des Transparents mit seinem siechen Farbenspiel aus hellem Kies und grauem Schotter (Farbname: Depressiv 2000) könnte den Betrachter des Stilllebens zumindest instinktiv vermuten lassen, dass hinter dieser Kampfansage eher der Adressat als das „wir“ wohnt.

Deutlicher kann man kaum in Szene setzen, wofür es sich zu kämpfen lohnt.

Warum auch das Team der Markranstädter Nachtschichten selbstbewusst zur modernen Gartenarchitektur aus Schotter steht, lässt sich ganz einfach ausdrücken: Es ist nicht mehr zu ändern! Man kann sich nicht gegen den Zeitgeist auflehnen. Wer Grün will, kann mit seinem SUV in ein entlegenes Waldstück fahren und dort tief durchatmen. Und das mit den Bienen … na ja. Honig gibt’s im Supermarkt, das weiß heute jedes Kind.

Und zum Schluss noch ein Gestaltungstipp für all jene, die ihren Vorgarten noch nicht auf digital umgestellt haben. Für den Vorgarten „Nachtschichten-Basic“ sind nur wenige Handgriffe nötig und es erfordert keinerlei Fachwissen. Einfach die im Carport gelagerten Glyphosat-Reste anrühren und das Areal damit für den folgenden Schotter-Anbau urbar machen.

Der digitale Vorgarten „Basic“

Vorher unbedingt einen PVC-Stabmattenzaun setzen und mit einem Sichtschutz aus Latexfolie überziehen (die Grünen haben ihre Augen überall). Wenn Sie die Farbe Grau-Anthrazit wählen, können sie das danach auch gleich so lassen. Der Schutzwall fügt sich dann harmonisch ins spätere Gesamtensemble aus Schieferplatten und Grauwacke ein.

Haben Sie den Schotter dann aufgebracht, ist es Ihrer individuellen Kreativität überlassen, ob Sie mit hellem Zierkies optimistische Kontrastpunkte setzen oder sich im Fachhandel hochwertige Amphorenreste (sogenannte Obsolet-Keramik) kaufen und diese kunstvoll in der Landschaft drapieren. Trauen Sie sich ruhig etwas zu, Sie können nichts falsch machen!

Sie wissen nicht wohin mit dem nützlichen Geschenk Ihrer Schwiegermutter? Wohl dem, der einen modernen Vorgarten hat. Das Fest des Friedens ist gerettet!

Sie wissen nicht wohin mit dem nützlichen Geschenk Ihrer Schwiegermutter? Wohl dem, der einen modernen Vorgarten hat. Das Fest des Friedens ist gerettet!

Und vor allem: Nicht alles auf einmal machen. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Nutzen Sie familiäre Ereignisse und sehen Sie die Vorteile.

Wenn Ihnen die Schwiegermutter zu Weihnachten einen blinkenden LED-Stern schenkt, der auf einer Feder lustig hin und her wippt, müssen Sie den jetzt nicht mehr mit gespielter Dankbarkeit in die Schrankwand stellen und sich den Rest der Feiertage durch dessen Anblick vermiesen lassen. Einfach raus damit in den Vorgarten. Da passt er hin und alle können an Ihren Emotionen teilhaben. Was sollte daran schlecht sein?

2 Kommentare

    • Bienchen Kathrinchen auf 14. Juli 2019 bei 11:00
    • Antworten

    Liebe um mich besorgte Markranstädter,
    Dank des Großkonzerns Lidl, der,(natürlich NUR damit er weiterhin meinen Honig und leckeres Obst verkaufen kann,) Wildblumensamen an Kunden verschenkte, ist mein Überleben gesichert!
    Ein großer Blumenkasten mit der darin ausgesäten Wildblumen-Samenmischung reicht erst mal, um mich und meine Geschwister und Freunde zu ernähren.
    Also, liebe Leute,leitet ruhig weiter euren Kies u. Schotter vom Sparkonto in den friedhofsgleichen Vorgarten um! Dem Kreativwettbewerb sind keine Granzen gesetzt!
    Mir geht es trotzden gut, denn ich habe schon Mini-Wildblumenwiesen im Blumenkasten auf Terrassen und Fensterbrettern entdeckt und bin optimistisch, dass der Wind dafür sorgen wird,dass vielleicht schon im nächsten Jahr die Schottergärten von allein wieder blühen werden.
    Liebe Grüße von Eurem Bienchen Kathrinchen

    1. Liebes Bienchen Kathrinchen, ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass deine Hoffnungen in Erfüllung gehen. Ich wünsche mir dazu, dass die „Grünleute“ der Stadt auch etwas für dich tun. Sie legen zwar keine Pflastergärten an, mähen aber alles was grün aussieht radikal ab. Jedes Stück Grünfläche bekommt monatlich einen Igel-Schnitt verpasst, sobald sich ein Gänseblümchen wagt, die Streichholz-Länge zu überragen. Selbst Hecken werden in der Stadt und im ganzen Umland radikal auf Würfel mit 1m Kantenlänge abgeschnippelt. Den bisher dort nistenden Vöglen geht es wie dir. Und dort, wo einst Vor- oder Hofgärten waren ist man gerade dabei, alles auf Rasen umzustellen. Es wäre natürlich eine große Überraschung, wenn dort Wildblumensamen von LIDL ausgesät worden wären.
      Mal sehen was aufgeht. Wildblumen oder der Stadt ein Licht. Energiesparstadt sind wir ja schon.

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