Mancher gibt sich viele Müh‘ mit dem lieben Federvieh…

Deutschland sei kein Land, in dem einem gebratene Tauben in den Mund fliegen, hört man in letzter Zeit öfter. In Markranstädt ist das anders. Zwar handelt es sich nicht um Tauben, sondern um Hähnchen, aber die zählen dafür zu den Besten in der Region. Allerdings ist das nicht Teil einer viel beschworenen Willkommenskultur, sondern eine Verkettung günstiger Umstände. Wie „Max & Moritz“ nach Markranstädt kamen, ist eine besondere Geschichte mit einer wirklich satirischen Note.

Es wird gegenwärtig viel erzählt über die „Wende“ und die Wiederbereinigung. Für Jörg Tetzner (Foto oben, links) war dies die Zeit, da sich sein Leben veränderte. Bis dato stand der in Röcken wohnhafte junge Mann als Tankwart an einer kleinen Lützener Tankstelle, die einzig zur Wendezeit einen wahren Hype erlebte, weil ohne Benzin der Schalter fürs Begrüßungsgeld nicht erreichbar war.

Als die Mauer fiel, wollte jeder irgendwie durchstarten. Joint venture war das Zauberwort, das in vielen Fällen nichts anderes bedeutete, als dass ein Vertreter aus den gebrauchten Bundesländern einem Bewohner eines neuen Bundeslandes etwas Geld gab, ihn mit klugen Weisheiten ausstattete und ihn dann für sich arbeiten ließ.

Tetzner hatte Glück. Er wurde im Münsterland fündig und baute mit einem Partner, der diese Bezeichnung wirklich verdient, in Röcken bei Lützen einen florierenden Handel mit Brathähnchen auf. Im Laufe der Jahre wurde nicht nur die Zahl der Fahrzeuge und der Mitarbeiter größer, sondern auch das Leistungsspektrum.

Von ganzen Puten über Enten, halbe Party-Hähnchen, knusprig gegrillte Hähnchenschenkel oder Braten aus Putenoberkeule reicht die Palette bis hin zu überbackener Putenbrust und Party-Grillplatten für Familienfeiern oder größere Feste, die aus Hähnchenkeulen, Hähnchenflügeln, Hähnchenschnitzeln, Kasslerkeulen, Schaschlikspießen, Hähnchen-Nuggets, gegrilltem Spießbraten und Riesen Oktoberfest-Haxen bestehen.

Der Laden „brummt“!

Das Grillhähnchen-Team aus Markranstädts Nachbarstadt Lützen, zu der die Ortschaft Röcken gehört, zählt heute annähernd 30 Mitarbeiter und eine eindrucksvolle Flotte aus 18 Fahrzeugen. Die rund 20.000 Euro Gewerbesteuer, die Max & Moritz jährlich in die Lützener Stadtkasse spült, kann man dort eigentlich gut gebrauchen, auch wenn sich der Betrag gegenüber der mitunter zweistelligen Millionensumme, die ein im Hinterzimmer einer Lützener Ortsfeuerwehr ansässiger Ableger der Deutschen Bank in guten Jahren überweisen musste, eher wie eine gemeinnützige Spende liest.

Ein seltsames Umlageverfahren, das davon ausgeht, dass eine Kommune im Land Sachsen-Armut keine schwarzen Zahlen schreiben kann, führte jedoch dazu, dass Lützen sozusagen auf der finanziellen Felge kaut und auch einen Hähnchen-Brater gut im wirtschaftlichen Portfolio gebrauchen könnte.

Lützen hat auch ein Gewerbegebiet, auf dem es noch reichlich freie Flächen gibt. Darunter ein lange Zeit als Erdbeerfeld genutztes Areal (Foto).

erdbeerfeld

Um die Expansion eines im Gewerbegebiet ansässigen Kunststoff-Produzenten zu ermöglichen, hat man sogar in einem finanziellen Kraftakt einen Flächentausch mit der Kirche vollzogen und hat seither ausreichend Platz für Neuansiedlungen.

Tetzners Zweigniederlassung hatte ihren Sitz bislang in Sichtweite dieses Gewerbegebietes. Den im Zuge der strategischen Neuaufstellung des Unternehmens erforderlichen Umzug hätte man daher gern sozusagen „über die Straße“ vollzogen. Aber in Lützen tun sich Dinge, die mitunter schwer zu verstehen sind.

Über 5 Hektar seien im Gewerbegebiet Lützen noch verfügbar. Doch die Vermarktung erfolgt geradezu lieblos. Allein die Argumentation mit den harten Standortfaktoren ist nahezu einmalig in Deutschland. Werden Entfernungsangaben im Interesse der Attraktivität des Standorts beispielsweise gern mal etwas heruntergeschwindelt, ist der in 600 Metern vom Lützner Gewerbegebiet entfernte Autobahnanschluss an die A 38 im Exposé beispielsweise mit einem Kilometer angegeben. Lange Zeit waren dort sogar völlig überholte Daten zu lesen, bis hin zu der Angabe, dass das Gewerbegebiet voll sei.

Broiler für Gustav Adolf

Statt dessen wirbt man mit der für Wirtschaftsansiedlungen eher zweitrangigen Aussage: „Weit über die Region hinaus bekannt ist Lützen durch die Schlacht im Dreißigjährigen Krieg, in welcher der Schwedische König und Heerführer Gustav II. Adolf den Tod fand. In Erinnerung an ihn wurde später die Gustav-Adolf-Gedenkstätte errichtet.“

Der absolute Clou: Als „zentraler Ansprechpartner“ fungiert die in Magdeburg ansässige IMG – Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH. Böse Zungen behaupten, dass diese es als ihre primäre Aufgabe ansieht, die vom Land favorisierten Gewerbegebiete zu füllen. Wer also dort nach einem Fleckchen in Lützen nachfragt, dem könnte demnach das in der Nähe gelegene interkommunale Gewerbegebiet Weißenfels schmackhaft gemacht werden.

hähnchen

Im Fall „Max & Moritz“ war es dem Vernehmen nach so, dass Tetzner trotzdem den kurzen Dienstweg bevorzugte und einfach mal in seiner Heimatstadt Lützen anfragte. Dort sei allerdings für den umsiedlungswilligen Gewerbebetrieb ein Preis von 45 Euro pro Quadratmeter aufgerufen worden. Zu viel, um das Argument, man habe ein Herz für ansässiges Gewerbe, irgendwie glaubhaft darstellen zu können.

Im Nachbarort Tollwitz wollte man nur 25 Euro. Später sollte der Bürgermeister Lützens gegenüber der Presse sagen, dass er erst davon erfahren habe, als das Unternehmen für Lützen bereits verloren war. Lützen könne ebensolche Preise für Gewerbeflächen wie Markranstädt anbieten, doch offenbar habe Tetzner nach einem Grundstück eines privaten Anbieters im Gewerbegebiet gefragt, das teurer angeboten wird.

Private Anbieter in einem kommunalen Gewerbegebiet, das von einer landeseigenen Gesellschaft vermarktet wird … irgendwie klingt das nicht gerade vertrauensfördernd. Und selbst wenn es nur ein Missverständnis gewesen sein sollte, muss man sich in der Nachbarstadt der Tatsache bewusst sein, dass dieses teuer war und ein fatales Signal gesetzt hat.

verkauf

Denn als Jörg Tetzner (Foto, links) schließlich im Markranstädter Rathaus einkehrte, wurde ihm klar, was Wirtschaftsförderung eigentlich ist. „Ich wurde wirklich mit offenen Armen empfangen. Das war richtig angenehm. Und Frau Weber hat mich erst wieder weggelassen, als alle Fragen geklärt waren und die Entscheidung fest stand: Wir ziehen hierher!“ Jörg Tetzner habe in jeder Sekunde das Gefühl gehabt, dass sowohl er als auch seine Familie und sein Unternehmen hier willkommen sind.

Rund 6000 Quadratmeter habe Max & Moritz in der Marie-Curie-Straße gekauft, die Kinder der Tetzners besuchen schon die Markranstädter Schule und bei der zurückliegenden MUM hat das Unternehmen bereits um junge Auszubildende geworben. Genug Platz für Lagerflächen, Kühl- und Vorbereitungsräume, Stellplätze für die Fahrzeuge und expansive Entwicklungen ist also vorhanden.

Die irgendwie originelle Geschichte hat damit ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Geschichte von einem, der herkam, obwohl hier nicht gebratene Hähnchen in den Mund fliegen und der sie deshalb einfach mitgebracht hat. Einziger Wermutstropfen: Während das über die Wiedervereinigung gerettete Ampelmännchen weiter so heißen darf, ist aus dem guten, alten Goldbroiler jetzt das Grillhähnchen geworden. Es war trotzdem oder eben deshalb nicht alles schlecht.

bein

1 Kommentar

    • Heimatloser auf 12. Oktober 2015 bei 10:03
    • Antworten

    refugees welcome

    Ein Punkt sollte an dieser Stelle nicht vergessen werden zu erwähnen. Markranstädt hat den großen Standortvorteil, dass das Damoklesschwert Braunkohlenabbau (http://dom01.bplaced.net/sr/) noch nicht über der Region schwebt.

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