Markranstädt erntet eine halbe Tonne Wörldgliehnabb-Tee

Weil beim FDJ-Projekt „Schöner unsere Städte und Gemeinden“ schon lange keiner mehr mitmacht, wurde es in „World-Clean-Up-Day“ (WCUD) umbenannt. Sprich: Wörldgliehnabb-Tee. Es ist wie mit diesen hässlichen Handtaschen, die keiner haben will und dann doch alle kaufen, seit sie „Must-Have“ heißen. Und siehe: Man muss dem Ding nur einen klangvollen Namen geben, schon klappt das. (Fotos: Zwennie)

Weil es einem Satiriker im Leben nicht einfallen würde, anderen Leuten den Dreck nachzuräumen, hat sich unser MN-Kriegsberichterstatter am Samstag einem der WCUD-Aktivisten an die Fersen geheftet und eine Reportage entbunden.

Noch grinsen sie, die 19 selbstlosen Aktivisten, die sich an diesem frühen Morgen auf dem Parkplatz an der Oststraße treffen. Allerdings ist dieser Frohsinn nicht den Aufgaben geschuldet, die vor ihnen stehen. Eher liegt dieser Freude der Umstand zugrunde, dass sie dort noch immer kostenfrei parken dürfen.

Dann teilt sich der Trupp auf. Ich folge einem Erwachsenen, weil der ebenso alt erscheint wie ich und ich mir daher bessere Chancen ausrechne, ihm in dessen Windschatten konditionell folgen zu können. Klappt easy, weil der Suchende, den sie hier Zwennie nennen, alle paar Meter anhält, um sich nach irgendwas zu bücken.

Mit Quizfragen wurden die teilnehmenden Kids ganz spielerisch bei Laune gehalten. Welche Maske muss der prähistorischen ersten Welle zugeordnet werden?

Mit Quizfragen wurden die teilnehmenden Kids ganz spielerisch bei Laune gehalten. Welche Maske muss der prähistorischen ersten Welle zugeordnet werden?

Nach zwei Minuten hat sich Zwennies Engagement finanziell schon amortisiert. Auf dem Weg zwischen dem Kreisel und Miltitz landen auf den ersten zwölf Metern zehn Pfandflaschen in seinem Beutel. Dann plötzlich ein Aufschrei! Triumphierend reckt er zwei Red-Bull-Dosen in die Höhe.

…und sie fliegen doch!

Weil in unserer von Vernunft geprägten Gesellschaftsordnung niemand auf die Idee kommen würde, leere Getränkedosen einfach aus dem Auto zu werfen, gebe es für diesen sensationellen Fund nur eine Erklärung, sagt Zwennie überzeugt. „Die Dinger sind von alleine aus dem Auto geflogen und das ist der wissenschaftliche Beweis, dass Red Bull wirklich Flügel hat“, strahlt er.

Jetzt ist Zwennie nicht nur reich, sondern auch berühmt. Müll suchen lohnt sich, denke ich noch, während mich die nächste Situation eines Besseren belehrt.

Aus dem Gebüsch ertönt ein angestrengtes Ächzen und Stöhnen. Noch während ich einen unbekannten Manager beschuldigen will, dass er ausgerechnet am WCUD seine Sekretärin ins Gebüsch gelockt hat und sie dort vergenusswurzelt, wird der Strauch von Zwennies Hintern geteilt, der sich rückwärts aus dem Unterholz quält.

Stillleben mit Müll: Zwennies Matratze (links) ist am zentralen Sammelort angelangt.

Stillleben mit Müll: Zwennies Matratze (links) ist am zentralen Sammelort angelangt.

Sekunden später kommt auch der Rest seines Körpers ans Licht. Zwennies Hände haben sich wie die Fänge eines Raubvogels in eine Matratze verkrallt, die irgendwann mal aus einem vorbeifahrenden Kinderbett rausgefallen sein muss.

Und wie das so ist, wenn man eine Strähne hat, lauert nicht weit davon schon der nächste Jackpot. Material, Gewicht und Aussehen des mondänen Fundstücks erinnern an einen prähistorischen Anker. Andere WCUD-Aktivisten gesellen sich hinzu und man rätselt gemeinsam, welchem Zweck das Relikt einst gedient haben möge.

Ende der Glückssträhne

Man beschließt, es erst einmal zum zentralen Sammelplatz zu schleppen und an dieser Stelle endet Zwennies Glückssträhne. Er ist es, der mit dieser logistischen Herausforderung beauftragt wird und damit hat er jetzt die Arschkarte.

Was folgt, ist ein Gleichnis wahrhaft biblischen Ausmaßes. Zwennie von Markranstädt schultert das schwere Kreuz und schleppt es, unter den Anfeuerungsrufen der an 14 Stationen zu Zuschauergruppen formierten WCUD-Jünger, hin zum zentralen Müllberg.

Dort stapeln sich am Ende des Tages 184,5 Kilogramm Exkremente gesellschaftlichen Daseins. Klingt viel, ist aber nur ein Fliegenschiss im Vergleich zu dem, was ein anderer Trupp in der gleichen Zeit am Göhrenzer Ufer des Kulki aus den Büschen gezerrt hat. Dort waren es 460 Kilo! Insgesamt haben 47 Markranstädter über eine halbe Tonne Müll gesammelt.

Darum an dieser Stelle auch ein aufrichtiger Dank all jenen Umweltverschmutzerinnen und -verschmutzern (sorry, aber diesen Begriff zu gendern, macht einen Heiden-Spaß), die durch ihr tägliches Engagement dazu beitragen, immer wieder für Nachschub zu sorgen. Was würden wir an Tagen wie diesen ohne sie tun?

Nachhaltiger Lerneffekt

Nicht zu vergessen die pädagogischen Früchte dieses Erntetages. Um die zu überprüfen, hat die Bürgermeisterin hübsch eingewickelte Schokolade mitgebracht, um sie an die jüngsten Müllsucher zu verteilen. Eine Win-Win-Situation. Während die Kids neue Energie aus den Schokostücken lutschen, beobachtet die Lieferantin aufmerksam, wo sie das Papier entsorgen.

Das Schokoladenmädchen verteilt Hilfsgüter an junge Weltreinigungskräfte.

Das Schokoladenmädchen verteilt Hilfsgüter an junge Weltreinigungskräfte.

Nein, es landet nicht im Pappelwald. Die Kids legen es sorgsam zu Füßen jenes Berges ab, auf dessen Gipfel Zwennies Kreuz thront. Die Botschaft hat gewirkt. INRI: In Natur Restmüllentsorgung idiotisch.

Ein paar Selfies noch, damit die Leute 2000 Jahre später wenigstens diesmal glauben, dass das wirklich geschehen ist und dann geht’s ab nach Hause. So lange sich diese Religion nicht überall durchgesetzt hat, kommt der nächste Wörldgliehnabb-Tee ganz bestimmt.

6 Kommentare

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    • Bernhard auf 22. September 2021 bei 16:42
    • Antworten

    Es ist vollbracht! Ein sehr unterhaltsamer Artikel über einen Kreuzigungsweg der Moderne! Fehlt eigentlich nur noch die Erwähnung der Via dolorosa in Form des Hagebuttengebüschs aus dem die ausgedienten Wohlstands-Reliquien gezerrt wurden.
    Chapeau!

    1. Gelle? Sogar Veronika war mit von der Partie. Nur musste diesmal niemand mit Steinen nach ihr werfen, sondern sie schmiss mit Showkolade um sich 😉

    • Biker auf 21. September 2021 bei 9:55
    • Antworten

    Ich habe mich schon gewundert, als ich die Müllsammler in der Nähe vom Kreisel nach Frankenheim gesehen habe. Respekt vor dem Engagement der Beteiligten, welches überflüssig wäre, wenn jeder sich etwas an die Regeln im Umgang mit Müll halten würde.

    1. Was Sie gesehen haben, könnten aber auch Mitarbeiter aus dem Rathaus gewesen sein, die auf der Suche nach Resten der Schlagbäume waren, weils mit den Kassenautomaten scheinbar nun doch nichts wird.

      • Sonne auf 23. September 2021 bei 9:30
      • Antworten

      Ich gebe Ihnen vollkommen recht. Es sollte jeder darauf achten, seinen Müll mitzunehmen und auch nicht alles was im eigenen Heim anfällt im Wald oder Gebüsch zu versenken. Damit wäre für die Umwelt auch schon etwas getan.

      1. Sowas macht doch heute niemand mehr absichtlich. Was kann jemand dafür, wenn er beim Nordic-Walking so schnell läuft, dass die Fliehkraft in der Kurve den Müllbeutel aus der Hosentasche treibt?

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