Freude in Markranstädt über langweiliges Baby im Fressgestell

Es war bereits die 22. Auflage des „etwas anderen Krippenspiels“, die am Heiligabend zwei Stunden vor Mitternacht die St. Laurentiuskirche aus allen Nähten platzen ließ. Das Bühnenspiel mit den feinsinnigen Tönen ist in Markranstädt inzwischen zu einer nicht mehr wegzudenkenden Tradition geworden. Und wer nicht nur für den Heiligen, sondern auch den satirischen Geist offen ist, der hat hier sogar doppelt Freude. Genau darum ging es diesmal auch im Stück „Merry Birthday“: um das Freuen.

Regisseur und Ghostwriter Dr. Jürgen Wummel hatte dazu die Idee aus dem Spiel „Der stumme Hirte“ von Inga und Sebastian von Gehren zur Hand genommen und gentechnisch so verändert, dass aus der Langfassung eine kurzweilige, besinnliche, lustig bis nachdenkliche und durchweg unterhaltsame Aufführung wurde.

Im Grunde genommen handelte es sich in mehrfacher Hinsicht um einen Spiegel. Ja, um so einen, den sich auch Till Eulenspiegel einst vors Gesicht hielt. Denn das Publikum des Krippenspiels sah das Publikum eines Krippenspiels und wurde durch dessen Gespräche mitunter Zeuge der eigenen Gedanken. Es war köstlich!

Das eigentliche Krippenspiel fand gar nicht statt, zumal der stumme Hirte heilfroh war, dass ihm keine Textrolle zukam. Die uralte Geschichte über das Kind im Stall sei ja nach über 2000 Jahren derart abgedroschen, dass es genüge, wenn er mit kultiviertem „Dummrumstehen“ die Riege der Statisten vervollständigt.

Das perfekte Weihnachtsgetue

Auch in den Reihen der schauspielenden „Zuschauer“ war die (Vor)Freude über das Stück von bürgerlichen Erwartungen geprägt. Die Ansprüche reichten hier vom „Weihnachtsgetue“ bis hin zu „mal richtig einen auf Familie machen“. Am Krippenspiel sei sowieso nur die Sache mit der Geburt wahr, der Rest wäre Dichtung im Interesse der Weihnachtsstimmung.

Dann brandete unter den diskutierenden Zuschauern auf der Bühne eine Diskussion darüber auf und die echten Zuschauer auf den Kirchenbänken fühlten sich wohl mehr als nur einmal in den realen Alltag Markranstädts versetzt. So wollte sich eine Dame ihre Freude nicht durch das Gemecker anderer vermiesen lassen, während der Herr in der ersten Reihe alles, was im Krippenspiel und der biblischen Geschichte heute neu interpretiert wird, als Unverschämtheit betrachtete.

Ein anderer Herr hielt gar die Rolle des Joseph für völlig überflüssig, zumal dieser nicht mal der richtige Vater des Kindes sei. Überhaupt wäre die Geschichte ein Fall für Modernisierungsmaßnahmen, denn die Story über ein langweiliges Baby in einem Fressgestell würde heute niemanden mehr von den Sitzen reißen.

Derart von Missmut und Zweifeln vor der reinen, unverfälschten Freude geschützt, wurde das schauspielende Publikum dann Zeuge, wie Maria und Joseph zur Herberge kamen und um Unterkunft baten.

Jetzt erkannten die Zuschauer auf der Bühne plötzlich doch einen Unterhaltungswert. „Fünf Euro drauf, dass sie diesmal abgewiesen werden“, bot der Schwiegervater des stummen Hirten den anderen Gästen eine Wette an. „Ich bitte sie, doch nicht in der Kirche!“, erfuhr er von der neben ihm sitzenden Dame.

Diesmal vom Wirt abgewiesen

Ein anderer Mann erhebt sich, blickt aufmerksam auf die Szene und bemerkt dann enttäuscht: „Er weist sie ab!“ Der Mann in der vorderen Reihe ist empört und kontert mit dem ihm einzig verfügbaren Argument: „Eine Unverschämtheit ist das!“, während die Anderen die Voraussage des Schwiegervaters mit der Daumen-hoch-Geste quittieren. Im realen Publikum auf den Kirchenbänken breitete sich indes ungehemmte Heiterkeit aus.

Für das überzeugende Finale sorgte dann ausgerechnet der stumme Hirte. Da er ohne Textrolle keinen Text zu vergessen hatte, vergaß er kurzerhand, dass er nur „Dummrumstehen“ sollte. Und so begann der fürs Schweigen engagierte Statist, seine Meinung über das Treiben auf der Bühne zu äußern.

Es sei nicht von Bedeutung, ob der Heiland heute oder gestern oder übermorgen oder am 5. August geboren wurde, meinte er. “Wichtig ist, dass er überhaupt geboren wurde und wir deshalb den Geburtstag von Jesus feiern können.“

Von daher sei auch seine Rolle falsch, denn wenn einem der Retter geboren würde, könne man ja gar nicht stumm bleiben. „Da sagt man auch nicht einfach ‚Prima, ab nach Bethlehem‘ als ob es da Würstchen und Glühwein gäbe.“

So arbeiteten sich die Darsteller Stück für Stück dem Finale näher, dessen Aussage schlussendlich lautete: Weihnachten ist mehr als das möglichst perfekte Zelebrieren einer für diese Zeit angesagten Stimmung. Die wahre innere Freude, unabhängig vom Preis der Geschenke oder der Zahl der Lichterketten, macht das Fest zu dem, was man sich selbst wünscht.

Diese innere Freude wird sich auch nach außen zeigen – in der Gelassenheit gegenüber all den Ansprüchen an Perfektion. Sie wird andere Menschen erreichen und sie anstecken, so die abschließende Botschaft.

Die Infektion des stummen Satirikers

Diese Ansteckung ist am Heiligen Abend in der St. Laurentiuskirche gelungen. Die Menschen sind der Einladung Jürgen Wummels allzu gern gefolgt und haben die Kirche danach nicht gleich verlassen. Statt dessen gab es bei Fettbemmen, Tee und Glühwein ein unterhaltsames, völlig unperfektes und entschleunigtes Beisammensein von Menschen.

Auch von Menschen, die in der Vorweihnachtszeit auf der Jagd nach materiellen Zutaten für Freude und Besinnlichkeit oft achtlos aneinander vorbei geeilt sind. Das „etwas andere Krippenspiel“ hatte auch sie infiziert und ihnen die wahre, innere Freude erlebbar gemacht.

Und sie standen noch freudig beieinander, als die Uhr auf dem Kirchturm Mitternacht schlug und die ersten Beschenkten aus den noch nicht infizierten Häusern die aufgefetzten Verpackungsreste weihnachtlicher Besinnlichkeit kiloweise zu ihren blauen Tonnen schleppten. Erfüllt von tiefer innerer Freude registrierte der stumme Satiriker beim Anblick dieser Szene, dass auch er seinen unsichtbaren Platz hat im modernen Krippenspiel unserer Tage.

 

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