Markranstädt in Feierlaune: Feste, fester, am festlichsten

Was’n Wochenende! Gaaanz viel Kultur und Unterhaltung in Markranstädt. Am eindrucksvollsten aber waren die Kreativität und der Mut, den die Veranstalter an den Tag legten. Nicht nur hinsichtlich der Durchführung unter Corona-Bedingungen, sondern auch sonst so. Kabarett auf dem Friedhof, ein nacktbeiniger Pfarrer auf der Bühne und ein „mit Abstand“ gelungenes OpenAir in Seebenisch: Was will man mehr?

Heiter-besinnliches Theater auf dem Friedhof? Einige Besucher hatten am Samstagabend anfänglich ein kleines Problem damit, haben sich aber von der gleichen Kraft anziehen lassen wie der Rest des Publikums: Neugier.

Spätestens nach den ersten Szenen war klar, dass es für das Stück „Lothars Wohnung“ oder „Was vom Leben übrig bleibt, kann alles weg“ keine geeignetere Bühne geben kann als einen Gottesacker.

Was passiert mit unseren Habseligkeiten, wenn wir dereinst von der Erde gegangen sind? Zum Beispiel mit der Aussteuer, welche die Frau einst mit in die Ehe brachte und die seither unter der Drohung „Wenn du die anrührst, sind wir geschieden“ 56 Jahre unberührt im Schrank lag?

Feinsinniger Humor vor der Friedhofskapelle.

Und was mit dem Fotoalbum, das zwar Familiengeschichte zeigt, aber niemand mehr die Menschen auf den Bildern kennt? Ganz zu schweigen von den Sammeltassen, die einst zu Oma gehörten wie ihr Haarnetz und die Dederon-Schürze. Kann das weg, jetzt wo sie weg ist?

Kann alles weg! Wirklich? Spätestens in solchen Momenten wird den Hinterbliebenen klar, dass jeder Mensch erst wirklich vergangen ist, wenn niemand mehr an ihn denkt. Was also behalten wir?

Rund 50 Besucher, von den Anwohnern toleriert.

„Also das finde ich wirklich etwas gewöhnungsbedürftig“, sagte ein Besucher, als in der Pause zu Getränken und Bratwurst ans Lagerfeuer geladen wurde – mitten auf dem Friedhof! Seine Partnerin, offenbar vom feinsinnigen Humor des Stücks inspiriert, entgegnete: „So lange sich die Anwohner nicht beschweren…“

Mit diesem Dialog schloss sich unbewusst der Bogen zwischen Leben und Tod. Man hatte der Ahn-Wohner gedacht und damit gezeigt, dass sie nicht vergangen sind. Ein feinsinnig-tiefgründiger Abend, den die rund 50 Besucher wohl noch lange schmunzelnd in dankbarer Erinnerung behalten werden.

 

In die Annalen der Stadt wird auch das 23. Seebenischer OpenAir eingehen. Corona und Hygienekonzept hatten dem Veranstalter im Vorfeld schlimm zugesetzt. Konnte ja im März niemand ahnen, wie sich die Rechtslage entwickelt.

Weil auf dem Lande sowieso jeder zweite Stammbaum nur einen Ast hat, hätte man das OpenAir getrost auch als Familienfeier durchgehen lassen und auf das ganze Hygiene-Brimborium verzichten können.

Wie auch immer: Am Ende war es mit rund 500 Besuchern (999 hätten gedurft) das übersichtlichste Event der letzten Jahre. Das lag aber weder an der Maskenpflicht noch an den Abstandsregeln. Die Zielgruppe der Musik liegt altersmäßig irgendwo zwischen Methusalem und Friedhof, also jenseits der 50. Genau die Generation, die Menschenansammlungen in Corona-Zeiten vorzugsweise meidet.

Etwa 500 Fans hatten Spaß beim OpenAir.

Aber die Daheimgebliebenen haben was verpasst! WELLBAD – eigentlich als Vorband gebucht und zwischenzeitlich zum Haupt-Act avanciert, hat mit erdigen Rhythmen restlos überzeugt. Mit geschlossenen Augen hätte man bisweilen an die Reinkarnation von Joe Cocker glauben können.

In der Umbau-Pause holte der KFV kurz den Bürgermeister auf die Bühne, damit die von der Stadt Markranstädt ausgereichte Corona-Hilfe nicht in den Bässen der Lautsprecher untergeht. Dreifacher Hygieneaufwand bei rund 60 Prozent Besucherverlust, da sorgt jeder Euro für tiefste Dankbarkeit.

Freude über Corona-Hilfe von der Stadt.

Dann legte die Udo Lindenberg-Replik el panico los. Die ganze Palette des „alten Udo“ wurde dargereicht, von Gerhard Gösebrecht bis zur Andrea Doria. Endgeil vor allem die Honky-Tonk-Nummern und die Bühnenszenen, bei denen auch mal eine Krankenschwester ran durfte, um den am Boden liegenden Udo „El Panico“ mit einer ordentlichen Infusion wieder auf die Beine zu helfen.

Auch wenn die Arena an der Berggrube nicht ganz so voll war wie in anderen Jahren, wirkte sie voll und die Stimmung war prächtig. Alles hat reibungslos funktioniert. Und doch war es „nur“ eine Art Generalprobe fürs kommende Jahr. Da gibt’s statt eines Covers mal wieder ein Original. Und was für eins: KARAT kommt nach Seebenisch!

Wer so viel Standvermögen hatte, konnte gleich durchmachen und den Sonntag mit einem Festgottesdienst beginnen. Aber auch für die, die zwischendurch etwas Schlaf gefunden hatten, war 10:30 Uhr noch sehr früh am Tage.

Spätestens bei der Eröffnung des Laurentiusfestes auf dem Markt war auch der Bürgermeister wieder fit, nachdem ihn Augenzeugen noch gegen 1 Uhr nachts auf dem OpenAir gesehen hatten.

St. Laurentius und das Wetter meinten es gut.

Das Fest aus Anlass des 500. Geburtstages unserer Stadtkirche war zwar der gesellschaftliche Höhepunkt, aber lange noch nicht das Ende des Festjahres. Deshalb wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ausführlich sowohl auf dieses Festwochenende als auch den Anlass an sich zurückkommen.

Zum sonntäglichen Treiben nur so viel: Es brauchte sich weder in Sachen Stimmung noch Zuspruch von so beliebten Veranstaltungen wie beispielsweise dem Weihnachtsmarkt zu verstecken. Im Gegenteil: Es war ein voller Erfolg!

Das sah man am Ende auch Pfarrer Zemmrich an, dem ganze Steinblöcke vom Herzen gefallen schienen. Zwischendurch stand er sogar selbst auf der Bühne und präsentierte dort ein geistlich akzentuiertes Theaterstück, von dem wir in Zukunft sicher noch hören und sehen werden. Fakt ist: Wenns nicht so geistlich gewesen wäre und weltliche Zurückhaltung geboten schien, hätte das Publikum auf dem rappelvollen Marktplatz reihenweise Zugaben gefordert.

Johannes meets Laurentius.

Originell: Das eindrucksvolle Stück schrieb Pfarrer Zemmrich im Urlaub und die Requisiten (unter anderem ein Leinensack als Kamelhaar-Mantel) wurden erst Anfang der Woche geschneidert. War nicht ganz bodenlang – und so wurden auch die Waden des Pfarrers gefeiert, derer die Gemeinde erstmals entblößt ansichtig wurde.

Der Höhepunkt des Sommers

Es war ein kulturell ganz starkes Wochenende in Markranstädt, das für viele gesellschaftliche Entbehrungen der letzten Monate entschädigte. Kabarett auf dem Friedhof, Maskenball am Dorfteich und ein buntes, aber dennoch besinnliches Programm am Sonntag. Wahrhaft festlich!

 

1 Kommentar

    • Tilo Lehmann auf 7. September 2020 bei 10:01
    • Antworten

    Feieranlässe mit sinnlichem Hintergrund (500-Jahre Laurentiuskirche), mal wirkliche Kleinkultur mit nachdenkenswertem Sinn (Friedhof) ist eher selten in Markranstädt. Ein unwahrscheinlich (Corona-)gebeutelter aber feiner Veranstalter (Seebenisch) hat als Tradititionbewahrer Sinn für wirkliche Markranstädter Kultur 1x im Jahr: Weniger ist und bleibt eben doch bedeutend Mehr! Die ganzen Eventhascher, Fun-Bespieler und Möchtegern-Fokus-Steher sind dank Corona nicht mehr überbordend. Schlecht für den Einzelnen-tut aber gut! Denn Masse ist nicht Qualität. Danke und Hochachtung Euch die dieses Qualitäts-Kulturwochenende gestemmt haben- für uns und eben auch mit uns Markranstädter. Vieleicht ist es nun an der Zeit das Corona auch was positives in den Köpfen bewirkt. Ständig Feiern und Feuerwerke- braucht kein Mensch. Zusammenkommen und das mit Sinn- das macht wie wir gesehen haben auch Spaß. Mit Abstand kommt man sich eben auch näher.

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