Neues aus der vierten Etage (9)

Die Sitzung der Markranstädter Duma am Donnerstag war eine wahre Herausforderung für sämtliche Organe des menschlichen Körpers. Am Ende konzentrierten sich alle auf Auge, Ohr, (manchmal auch) Nase und den Verdauungstrakt wirkenden Reize auf die Gesäßmuskulatur. Als nach knapp zwei Stunden noch nicht mal der Haupt-Tagesordnungspunkt abgeschlossen war, gingen die ersten von Arschbackenkrampf gezeichneten Besucher schon nach Hause, bevor der eigentliche Höhepunkt ausgerufen wurde.

Zwei Stunden Stadtbad-Planung, inklusive zahlreicher Wiederholungen einzelner Szenen in Zeitlupe, das war mehr als genug um zu verstehen, was verstanden werden sollte.

Zwar wusste mancher der zur Entscheidung aufgerufenen Volksvertreter noch nicht einmal, wo sich die Toiletten und Umkleiden befinden, aber mit so einem Stadtrat ist es zum Glück wie mit einem Chor: Am Ende wird auch der atonale Stimmbrüchige unauffällig mitgezogen.

Und so geht’s jetzt an die Entwurfsplanung für ein Stadtbad mit einem Planschbecken, einem Sprungbecken und einem kombinierten Becken mit Schwimmer- und Nichtschwimmerbereich. Alles aus Edelstahl. Costa quanta: voraussichtlich rund 3,48 Millionen Euro.

Geburt eines neuen Divchens

Dass das Projekt trotz der Deckelung auf 1,5 Millionen Euro zustande kommen kann, war nicht einfach und hat einem sichtlich unter Stress stehenden Bürgermeister trotzdem ein paar Sorgenfalten aus dem Gesicht gebügelt. Obwohl es für Investitionen wie Stadtbäder keine Fördermittel gibt, hat das Markranstädter Rathaus welche generieren können.

Hoch her ging es dann bei Tagesordnungspunkt 11. Mit einer neuen Satzung sollte nächtlicher Ruhestörung und Vandalismus im Bereich öffentlicher Parkanlagen und Spielplätze begegnet werden. Nachdem das Papier bereits den Verwaltungsausschuss einstimmig passiert hatte, schien das nur noch eine Formsache zu sein.

War’s aber nicht. Zum Glück! Selbst für den Normalbürger ohne juristischen Bildungshintergrund war der Satzungsentwurf bestenfalls eine kommunalpolitische Willenserklärung. Die darin zur Ahndung ausgesetzten Tatbestände (Drogenkonsum, Ruhestörung, Vandalismus, Vermüllung etc.) sind Delikte, die auch ohne eine solche Satzung schon verfolgbar sind.

Von daher war bestenfalls die Frage interessant, ob das Dokument einer juristischen Prüfung standhalten könnte.

Wäre das alles vielleicht noch durchgewunken worden, hat eine Frage dann zumindest die Fraktionsspitzen von CDU/BfM und SPD/Grüne geweckt.

Inhalt der Satzung sollte quasi die Schließung von sechs öffentlichen Parks ab 22 Uhr und 25 allgemein zugänglichen Spielplätzen ab 20 Uhr sein. Ab da bis 6 Uhr morgens sollte man dort nicht mehr verweilen dürfen, lediglich flugs durchgehen.

Verweilen verboten!

Also nix da mit Techtelmechtel auf der Parkbank oder Sternschnuppen beobachten in einer lauen Sommernacht. Geht zwar wegen der Assis schon jetzt nicht, aber gerade diesem Zustand sollte die Satzung ja Abhilfe schaffen. Also irgendwie hat das alles nicht zusammengepasst.

Frank Meißner (SPD) gab gleich eingangs der Diskussion zu bedenken, dass diese Einschränkung der Rechte der Allgemeinheit Durchflussprobleme in seinem Verdauungstrakt erzeugt.

Da war die Sättigungsbeilage bei Micha Unverricht (CDU) längst durch und schon so weit, dass sich der Druck entladen musste.

Er sehe in dieser Einschränkung der Rechte der Allgemeinheit ein Einknicken der öffentlichen Hand vor einer Minderheit von Vandalen, wetterte er und kündigte seine Ablehnung an.

Vielleicht hatte er dabei auch das noch druckfrische Gleichnis der Hortkinder im Gedächtnis, die um ihrer Freiheit Willen hinter einen Zaun gesperrt werden?

Da man die Einhaltung der Satzung nur durch einen verstärkten Streifendienst kontrollieren kann, könne man diesen doch auch erst mal ohne Satzung in die Spur schicken, sinnierte Unverricht.

Währen sich dem Satiriker das Gleichnis aufdrängte, wonach die Industie mit der Herstellung von Fahrrädern aufhört, weil die eh nur geklaut werden, sprang die AfD dem Antragsteller überraschend zur Seite und verteidigte die Maßnahme.

Bianca Juhnke glaubte gar zu wissen, dass verstärkte Streifengänge bislang nichts gebracht hätten und deshalb solche Maßnahmen, unter denen auch die Allgemeinheit leide, angebracht wären.

Worauf diese Erfahrungen aus verstärkter Bestreifung beruhen, bleibt rätselhaft. Aus Markranstädt jedenfalls können sie nicht herrühren, da es hier kaum normale Streifengänge gibt, von verstärkten ganz zu schweigen. Wenn überhaupt regelmäßig, dann bis 22 Uhr, was mit einem Jäger vergleichbar ist, der am hellichten Tage Eulen jagen will.

(Zu) viele offene Fragen

Ebenso wenig ist dem Beobachter erklärbar, warum der Bereich des Kulki in der Satzung ausgespart werden sollte. Wenn es stimmt, dass dies deshalb erfolgte, weil das Terrain im Verantwortungsbereich des Zweckverbandes liegt, wäre dann zumindest die Frage erlaubt, warum die Stadt sich jetzt einen Security-Dienst leistet, der dort spazieren fährt.

Aber Ende gut, alles gut. Auf Grundlage einer fraktionsübergreifenden Initiative von CDU und SPD wurde das Papier in den Verwaltungsausschuss zurückgeschickt und wird dort wohl bis zum endgültigen Herzstillstand austherapiert.

Mit dieser Abstimmung war dann auch das Sitzungsgeld des satirischen Beobachters abgelaufen. Nach fast zweieinhalb Stunden und erst der Hälfte der Tagesordnung begann die daheim weiterlaufende Miete, den Ertrag aus dem Unterhaltungswert des Events aufzufressen. Den Rest muss die Qualitätspresse abarbeiten. Notizblock, Kuli, Lesebrille – alles klar, Dankeschön und auf Wiedersehen zur 10. Folge der aktuellen Staffel „Neues aus der vierten Etage“

 

5 Kommentare

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  1. Achja, die mangelnde Textsicherheit der Chorknaben (und -maiden) … das erinnert mich an meine Zeit als Berichterstatter im Stadtrat. Ich fand es stets sehr beglückend, stets den selben Abgeordneten beim erstmaligen Öffnen der Umschläge mit den Beschlussvorlagen zuschauen zu dürfen. Entsprechend dümmlich waren auch die gestellten Fragen.

    • Einer, der mitdenkt. auf 7. September 2020 bei 8:34
    • Antworten

    Es geht, beziehungsweise ging, nicht ums „Wegsperren“ sondern darum Initiative zu ergreifen und dem wilden Treiben einiger, nicht gesellschaftsfähiger Mitmenschen, Einhalt zu gebieten.
    Deshalb auch der Versuch eine entsprechende Satzung auf den Weg zu bringen. Übrigens andernorts völlig normal.
    Die ganze Diskussion verkennt eines: Wieder wird nicht über den Kern des Übels geredet, sondern die verurteilt und abgewatscht, die versuchen etwas gegen die nächtlichen Ruhestörungen und den Vandalismus zu tun. Verkehrte Welt!

    • Echter Markranster auf 7. September 2020 bei 7:57
    • Antworten

    Bravo Stadtrat, Ihr seid Eurem Motto „Wir schaffen das (wieder nicht)“ treu geblieben. Und das war den Jakedumas gleich eine lautstarke und ertragreiche Jubelfeier wert. Und dem Bestreifer ein Foto. Wie wäre es, wenn Ihr Euch am Streifengang mal beteiligt. Ihr kostet nichts und wisst dann, worüber Ihr abstimmt. Und gleich das Schild am Spielplatz an der Krakauer beseitigen. Denn es gilt: Gleiches Recht für Alle!

    • Aufmerksamer Bürger Nr. 2 auf 4. September 2020 bei 22:40
    • Antworten

    Der Stadtrat legt eine bisher ungeahnte Dynamik an den Tag. Da kann der aufmerksame Bürger Nr.2 nur staunen. Im Verwaltungsausschuss einhellige Zustimmung zur Verbotssatzung über das nächtliche Lustwandeln und eine Woche später sehr unterschiedliche Gedanken, sogar innerhalb einer Fraktion. Während sich Herr Busch von der SPD wünscht, dass in Großlehna die Bänke allerorts hochgeklappt werden sollen, zeigt sich der Fraktionsvorsitzende Meissner lebensfroh und -nah. Obwohl er selbst auf öffentliche Parks nicht angewiesen ist, um eine laue Sommernacht zu geniessen, denn er hat einen eigenen Garten, solidarisiert er sich mit 2/3 der Markranster, die über keinen solchen verfügen. Bravo! Welch Glück, dass ihm der stellvertretende Bürgermeister Unverricht (CDU) noch zur Seite gesprungen ist.

    Schade,dass man nicht die an der Sitzung teilnehmenden neuen Bürgermeisterkandidaten zu ihre Meinung befragen konnte. Meine Stimme bekommt keiner, der uns wegsperren möchte. Jetzt bin ich gespannt, ob sich die beiden Bewerber an dieser Stelle äussern. Wär doch toll!

    1. Die Kandidaten werden sich hier aus dem gleichen Grunde nicht äußern wie der Amtsinhaber. Wer sich hier äußert gibt damit zu, dass er das liest und somit von den hier beschriebenen Vorgängen Kenntnis hat. Viel einfacher ist es hingegen, sich bei der Konfrontation mit unliebsamen Entwicklungen erst mal unwissend stellen zu können. Das schafft Zeit, um eine wirksame Ausrede zu erfinden.

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