Markranstädter Hindernisfahrt für eine Fichte

Das Nadelgehölz, das den homo marcransis an seinem Standort auf dem Marktplatz durch die Weihnachtszeit begleiten soll, wurde am Donnerstag aufgestellt. Wie in jedem Jahr, handelt es sich um ein aus der Bürgerschaft gespendetes Gewächs, wie in jedem Jahr sind auch die Personalien des Gehölzes festgestellt worden und wie in jedem Jahr erfolgten Fällung, Transport und Aufstellung in Teamarbeit mit dem Technischen Service und dem führenden Logistiker der Stadt. Allerdings lief diesmal trotzdem nicht alles wie in jedem Jahr.

Obwohl sie einen Mörder-Ständer hat, hört sie nach Angaben aus dem Rathaus auf den Namen Fichte und ist deshalb weiblich. Aus diesem Grunde verbietet sich auch jede Frage nach ihrem Alter.

Die attraktive Bäumin ist im Kleingartenverein Ost aufgewachsen und hat vor ihrer Fällung eine Höhe von rund 14 Metern gemessen. Sie trägt ein grünes Kleid, dessen weit ausladender Saum den Blick auf ihren prachtvollen Schenkel lenkt. So viel zu den Personalien, die ohne Verletzung des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte des Gehölzes veröffentlicht werden dürfen.

Da steht sie nun und kann nicht anders- zumindest bis Hochneujahr 2024.

Da steht sie nun und kann nicht anders- zumindest bis Hochneujahr 2024.

Anders verhält es sich mit den Daten jener Fahrerin, die sich in der Hordisstraße mit ihrem Kleinwagen dem Großtransport mutig entgegengestellt hatte. Fast eine Stunde hielt sie den Tieflader auf und dessen Begleiter in Atem. In der Hordisstraße ging nichts mehr. Statt dessen wurde hektisch nach der Fahrerin des verlassenen Automobils gesucht und als die Fahndung erfolglos blieb, sogar ein Abschleppdienst angefordert.

David gegen Goliath: Der Kleinwagen (links) legte den Verkehr in der Hordisstraße fast eine Stunde lang lahm.

David gegen Goliath: Der Kleinwagen (links) legte den Verkehr in der Hordisstraße fast eine Stunde lang lahm.

Derweil eröffnete sich den soeben erwachten Anwohnern in der Hordisstraße beim Blick aus dem Fenster in den kalten Novembermorgen das geradezu märchenhafte Motiv eines Waldpanoramas. Selbst vor den Gucklöchern im zweiten Stock breitete sich dunkler Tann aus, an dem hier und da lustig winkende Zapfen grüßten.

Ganz anders stellte sich die Situation allerdings aus niederer Perspektive dar. Für Passanten auf dem Fußweg wirkte die Szene eher wie eine überirdische Rohrreinigung der Hordisstraße mit einer gigantischen grünen Klobürste.

Wie eine Klobürste durch die Hordisstraße. Ökologisch nachhaltige Straßenreinigung mit Säuberung der Fassaden.

Wie eine Klobürste durch die Hordisstraße. Ökologisch nachhaltige Straßenreinigung mit Säuberung der Fassaden.

Es war perfektes Timing. Just in jenem Moment, als der Abschleppwagen vorm Volkshaus gen Tatort einbog, erschien auch die Besitzerin des Zündschlüssels für das mobile Verkehrshindernis.

Teures Plätzchen

Nach einer kurzen Belehrung über Rolle der Bedeutung des deutschen Schilderwaldes und ausgestattet mit einer Zahlungsaufforderung in Höhe eines mittleren Weihnachtsgeschenkes für die halbe Familie, ließ sie sich schließlich von einer zügigen Abreise überzeugen. Sie kennt jetzt den Preisunterschied zwischen selbst gebackenen Weihnachts- und selbst ausgewiesenen Parkplätzchen.

Einige Passantinnen befiel beim Anblick dieser Situation ein unerklärliches Ziehen im Unterleib.

Einige Passantinnen befiel beim Anblick dieser Situation ein unerklärliches Ziehen im Unterleib.

Zumindest war aber nun der Weg zum Marktplatz frei. Dort angekommen, wurde es allerdings noch einmal eng – und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Das beeindruckende Testikel des Baumes war mit der jungfräuliche Öffnung im Boden des Marktplatzes nicht annähernd kompatibel. Während man beispielsweise bei der Darmspiegelung solchen Problemen mit Vaseline und Druckluft zu Leibe rückt, war hier an Dehnungsversuche jedweder Art natürlich nicht zu denken.

Was nicht passt, wird passend gemacht. Am Ende kopulierte der Stamm mit dem Beckenboden des Marktplatzes nahezu saugend.

Was nicht passt, wird passend gemacht. Am Ende kopulierte der Stamm mit dem Beckenboden des Marktplatzes nahezu saugend.

Also musste am Stamm der Fichte eine Art Rückbildungsgymnastik durchgeführt werden. Und weil die Kettensäge nun schon mal angeworfen war, wurde auch gleich noch ein guter Meter vom Unterleib des Gewächses amputiert.

Erstmal einen Meter stutzen, damit's im Büro der Bürgermeisterin nicht gar zu dunkel wird.

Erstmal einen Meter stutzen, damit’s im Büro der Bürgermeisterin nicht gar zu dunkel wird.

Dass damit ausgerechnet der Blick aus dem Fenster der Bürgermeisterin auf das vorweihnachtliche Treiben in der Stadt quasi freigeschnitten wurde, ist den Holzschaffenden offenbar erst aufgefallen, als es zu spät war. Also nix, von wegen während der Arbeitszeit ohne auszustechen mal kurz auf ein Fischbrötchen oder eine Tüte gebrannte Mandeln rüber gehen. Die Rute liegt schon auf dem Fensterbrett.

Zum Glück ist man in Lallendorf immun gegen neue Technologien. Wer weiß, was herausgekommen wäre, wenn man sich der ingenieurtechnischen Lösung bedient hätte, mit der im Frühjahr in Meißen ein Maibaum aufgestellt wurde. Schauen Sie mal:

10 Kommentare

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    • Evelyn auf 30. November 2023 bei 8:23
    • Antworten

    Einfach köstlich diese Morgenlektüre! Gibt es davon öfters oder verpasste ich da schon einiges? Weiter so!

    1. Wenn Sie sich anmelden (auf der Startseite ganz unten), verpassen Sie nichts mehr. Garantiert!

    • hpchen auf 25. November 2023 bei 22:18
    • Antworten

    Da waren anscheinend, wenigstens, Schilder aufgestellt. In Altranstädt ist man mit der Mördertanne, durch die Rosa-Luxemburg-Straße gegondelt ohne, dass irgendwer davon wusste. Man hätte ja eventuell die Autos dann wegfahren können. Zwischen parkende Autos und fahrende Tanne wurde sich heldenhaft als menschliches Schutzschild gestellt und die Äste mutig weggetreten. Diverse Zäune wurden einfach mal mit neuen Mustern versehen. Wenigstens, wurden Anwohner, von anderen Anwohnern drauf aufmerksam gemacht, dass ein fahrender Weihnachtsbaum eventuell ihr Auto rasieren könnte, dass hielt nämlich das Transportunternehmen nicht für nötig. Aber, wenigstens wurde mit dem Bäumchen die Straße gekehrt, dass hat nämlich das zuständige Unternehmen mal wieder vergessen.

    1. Wie jetzt: Auch bei den Zäunen gibt es schon Diverse? Wo soll das noch hinführen? Kein Wunder, dass Thomas Gottschalk zu Hause anders sprechen muss als im Fernsehen.

    • Heidi auf 25. November 2023 bei 10:56
    • Antworten

    Herrlich eure Texte… Aber hätte man das Auto im Rahmen der Rohrreinigung der Hordisstraße nicht einfach bis zum Markt mit durchziehen können? Soviel Ignoranz müsste doch belohnt werden mit einem Parkplatz am Markt.

    1. Dann hätte die Besitzerin ihr Auto allerdings als Forstfahrzeug ummelden müssen. Das wollte man ihr wohl ersparen.

    • Schulle auf 25. November 2023 bei 10:22
    • Antworten

    Eine amüsante Morgenlektüre, vielen Dank.

    1. So sind wir. Selbstlos, mutig, investigativ – und immer das Ohr an der Masse.

    • MN-Leserin auf 25. November 2023 bei 9:19
    • Antworten

    Liebe MN-Redaktion, dieser Beitrag ist euch wieder mal sehr gelungen. Immer, wenn ich jetzt am Markt vorbei komme und den Weihnachtsbaum sehe, muss ich an die Klobürste in der Hordisstraße denken. Wenn es anderen auch so geht, habt ihr dazu beigetragen, dass die Markranstädter alle mit einem Dauergrinsen über den Marktplatz schlendern.

    1. Für lächelnde Gesichert zu sorgen, sind wir einst eigentlich angetreten. Zu schön, wenn sich das endlich mal erfüllt und die Menschen ihre Klobürsten zu Hause auch so liebevoll schmücken.

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