Mauerbau in Markranstädt: Handwerk hat Hochkonjunktur

Kalenderblatt 13. August: Da war doch was? Genau, der Mauerbau. Noch heute ist in Westelbien die Überzeugung verbreitet, dass der antifaschistische Schutzwall den Ossi daran hindern sollte, das Land zu verlassen. In Wahrheit hat uns die Mauer über 28 Jahre lang erfolgreich die Wessis vom Hals gehalten, aber lassen wir ihnen ihren Glauben. Nicht ohne Grund hat der Westen aus Angst vor einem Ersatzneubau in den letzten 33 Jahren per Arbeitsmarkt und Bildungspolitik alles dafür getan, dass Ulbrichts kleine Notlüge heute postum wahr wurde: „Niemand ist mehr in der Lage, eine Mauer zu errichten!“ Niemand? Ein von unbeugsamen Räpitzern bewohntes Dorf bei Markranstädt hat seine Kompetenzen in Sachen Mauerbau bis heute bewahrt. Und es geht dabei längst nicht nur um Brauchtumspflege.

Die bemerkenswerte Affinität zu massiven Verteidigungsanlagen ist dem Räpitzer seit Generationen in die Wiege gelegt und somit genetisch fest verankert.

Der Ursprung reicht über 1000 Jahre zurück und noch heute zeugen die Reste der ersten Wallanlage aus dem Jahre des Herrn 933 vom enormen Sicherheitsbedürfnis der an der Furt des Bächleins Räpitz niedergelassenen Siedler. Die historische Hunnenschanze in Schkölen ist damit sozusagen die Mutter aller Räpitzer Mauern.

Schkölener Hunnenschanze - die Mutter aller Räpitzer Mauern.

Schkölener Hunnenschanze – die Mutter aller Räpitzer Mauern.

Im Gegensatz zum 1961 in Berlin errichteten Schutzwall, der sich gegen Eindringlinge aus dem Westen richtete, haben die Räpitzer ihre Feinde allerdings schon immer aus dem Osten erwartet. Anno 933 waren es die aus Ungarn eingefallenen Hunnen, um 1813 der aus Russland heimkehrende Napoleon und 1945 sogar die Russen höchstselbst.

Da war die Sicherheit des Dorfes allerdings schon längst Sache der Preußen, die sich Räpitz bereits im Jahre 1815 bei der Wiener Konferenz einverleibt hatten. Seit an den Ellern der Grenzstein thronte, wähnte man sich in Räpitz zumindest vor den Sachsen, den Sorben und den Karl-Marx-Städtern in Sicherheit.

Letztes Bollwerk gegen Sachsen und Bolschewiken: Der Grenzstein an den Ellern.

Letztes Bollwerk gegen Sachsen und Bolschewiken: Der Grenzstein an den Ellern.

Das änderte sich auch nach der Wende nicht, als der Bau von Mauern plötzlich verpönt war und Kellen nur noch in ausgedienten NVA-Feldküchen geschwungen wurden, um westdeutschen Brummifahrern die Versorgungstransporte in den Osten schmackhaft zu machen.

Die neuen Trutzburgen

Aber die Geschichte lehrt, dass nichts von Dauer ist. Nur wenige, ausnahmslos neu zugezogene Räpitzer haben das früh genug erkannt und beim Bau ihrer neuen Behausungen darauf geachtet, dass diese – uneinnehmbaren Trutzburgen gleich – in ringförmigen Wallanlagen errichtet und mit elektronischen Zugangssicherungen versehen wurden. Der Hauptfeind sitzt im eigenen Land – zumindest die Neu-Schkölener haben aus der Geschichte gelernt.

Dann kam, was sich schon seit Jahrhunderten angedeutet hatte: Im Jahr 2021 wurde das friedliche Stillleben am Nordufer der A38 durch einen terroristischen Anschlag in seinen Grundfesten erschüttert.

Von einem Schläfer am Steuer weggekickt.

Von einem Schläfer am Steuer weggekickt.

Ein Schläfer hatte sein Fahrzeug zielsicher auf den Grenzstein an den Ellern zugesteuert und damit das letzte Bollwerk gegen sächsische, bolschewistische und von der nahen Balkanroute hereinbrechenden osmanischen Horden zerstört. Quasi über Nacht war Räpitz den geopolitischen Interessen marodierender Rebellenmilizen schutzlos ausgeliefert und drohte zum Spielball autokratischer Herrschaftssysteme zu werden.

Altes Handwerk neu belebt

Da war guter Rat teuer, denn auch in Sachen Wehrkraftzersetzung hatte der Westen in den letzten 30 Jahren ganze Arbeit geleistet. Weil sich die Mehrzahl der wehrfähigen Räpitzer inzwischen in westelbischen Legionen als Wirtschaftssöldner verdingt hatte, war es dem Dorf nicht mehr möglich, eigene Grenztruppen aufzustellen. Also mussten sich die verbliebenen Ureinwohner selbst helfen und sich in mühsamer Kleinarbeit die Grundlagen des Mauerbaus wieder aneignen. Mit Erfolg, wie ein Blick auf das aktuelle Erscheinungsbild des Dorfes beweist.

Neue Mauern braucht das Land

Hier sehen wir eine mustergültig errichtete Verteidigungsanlage im Ortsteil Schkeitbar.

Die eindeutige Architektursprache warnt den Eindringling schon von weitem, dass jeder Versuch eines Grenzübertritts zwecklos ist.

Die eindeutige Architektursprache warnt den Eindringling schon von weitem, dass jeder Versuch eines Grenzübertritts zwecklos ist.

Das beeindruckende Bollwerk ist gegen von Osten einfallende Invasoren gerichtet. In ihrer Länge kann sich die Demarkationslinie scheinbar locker mit ihrem Berliner Vorbild messen. Aufgrund der ingenieurtechnisch meisterhaft ausgeklügelten Bauweise im nach westdeutschen Wertmaßstäben entwickelten „Blender-System“, betrug die Bauzeit der folianten Einhausung allerdings nur einen Bruchteil dessen, was beispielsweise die bedeutend kürzere chinesische Mauer in Anspruch genommen hatte.

Gerüchten zufolge hat der Schkeitbarer Bauherr besonderen Wert darauf gelegt, dass es auf Minifahrrädern eingeschleusten Geheimagenten aus Seebenisch nicht mehr möglich ist, per Blick auf das Treiben im Hinterland aktive Wirtschaftsspionage für das Rathaus im feindlichen Markranstädt zu betreiben.

Abschreckende Wirkung

Viel Kreativität haben auch die Bauherren dieser schützenden Einfriedung rund um den ehemaligen Präsidentenpalast der Republik Räpitz an den Tag gelegt. Noch unmittelbar nach der Wende war der Sitz des Bürgermeisters, das damalige Chauteau Vitz, den Blicken ausländischer Passanten völlig ungeschützt ausgesetzt.

Ein echter Hingucker im ansonsten konservativen Erscheinungsbild des Bauensembles.

Ein echter Hingucker im ansonsten konservativen Erscheinungsbild des Bauensembles.

Jetzt hat die neue Besatzungsmacht einen Schutzwall errichtet, der zwar jegliche physische Widerstandskraft vermissen lässt, dieses Manko jedoch allein durch die visuell abschreckende Wirkung mehr als ausgleicht.

Gutes muss nicht teuer sein. Durchziehende Transitreisende loben vor allem die farblich-künstlerische Aussagekraft des Planengemäuers, das sich harmonisch ins bauliche Ensemble des ortsbildprägenden Dorfkerns einfügt.

Architektonischer Glanzpunkt

Der Höhepunkt ländlicher Verteidigungsarchitektur erwartet den Passanten allerdings in Schkölen. Jeglicher Gedanke an eine Überwindung der in lebensbejahendem Grau gehaltenen Zinnen wird beim Anblick dieser Festung schon im Keim erstickt.

Der architektonische Höhepunkt ländlicher Verteidigungsarchitektur: Als Vorbild für das Modell "Nordkorea" bietet es sich zur Nachnutzung auf für Wohngebiete wie das am Zwenkauer Hafen an. .

Der architektonische Höhepunkt ländlicher Verteidigungsarchitektur. Einen ähnlichen Entwurf  gibt es jetzt auch im Maßstab 1:87 als Modell „Nordkorea“ für die Spielzeugeisenbahn. .

Sogar ein glyphosatener, etwa zehn Zentimeter breiter Todesstreifen ziert die von einem ausgebildeten Plastemetz in sorgfältiger Industriearbeit als Monolyth-Surrogat gefertigte Grenzanlage. Wie alle großen Bauwerke der Menschheitsgeschichte, ist allerdings auch dieses Monument aktiver Selbstverteidigung noch nicht ganz vollendet. Sobald die Baupreise wieder sinken, kommen sicher noch die fehlenden Wachtürme hinzu.

Retro-Style: Die Mauer kommt wieder

Liebe Leser, es liegt auf der Hand, dass im Antlitz solch mannigfaltigen Engagements zum aktiven Heimatschutz jetzt manch einer von Ihnen mit Sorge auf seine eigene Nachlässigkeit blickt. Sie haben bislang tatsächlich auf die Verteidigungsbereitschaft unseres Staates vertraut und noch keine eigene Mauer errichtet? Und Sie fragen sich jetzt, wie Sie Ihre Sicherheit ohne fundierte Maurer-Kenntnisse noch schnell gewährleisten können, bevor der Russe kommt oder das Hotel in der Kernstadt Ausgangskarten ausgibt?

Eigene Mauer – selbst gebaut

Keine Angst: Die Markranstädter Nachtschichten lassen Sie mit Ihren Sorgen und Ängsten nicht allein. Im Rückmarsdorfer Obi-Baumarkt ist unser Recherche-Team fündig geworden. Nur 24 Stunden vor dem Gedenktag an den Mauerbau wird dort eine Lösung angeboten, die es sogar dem verbeamteten Schreibtisch-Linkshänder erlaubt, in nullkommanichts seine eigene Mauer zu errichten.

Mauer-Bausatz „Limes“

Violá – der Mauer-Bausatz „Limes“: Ein in Draht gefasster Steinhaufen von 2,10 Meter Höhe und 2,30 Meter Breite zum Preis von nur 609,99 Euro.

Wurde erst durch den Fall der Mauer möglich: 23 Meter nagelneue Mauer für nur 6.099,90 Euro!

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Damit haben Sie mit kinderleichter Lego-Bauweise in wenigen Minuten 23 Meter Mauer für gerade mal 6.100 Euro hochgezogen! Das sollte Ihnen Ihre Sicherheit und die Ihrer Familie wert sein.

Obi: Respekt, wer selber denkt!

16 Kommentare

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    • Tilo Lehmann auf 15. August 2023 bei 12:43
    • Antworten

    Unanständige überhebliche 10 Jahre: Jubiläums-Gratulation an MN!

    1. Wir sind schon froh, dass es überhaupt jemand gemerkt hat.Deshalb ein Dank an dieser Stelle für die nachnachnachträglichen Glückwünsche. Die erste Ausgabe erschien am 1. April 2013, was mithin auch der Geburtstag ist 😉

  1. Mensch MN: Wie herrlich ist Euer Wortschatz? Was für ein Feuerwerk von trefflich aneinandergereihten Worten! Und das Thema geht weiter:
    In Frankenheim und Kapstraße vor HVP in M. am Feld: (viele defekte) Straßensperren in Form von Schranken. In Schkölen u. Räpitz: Mauern. In der Kernstadt an der Zwenkauer Str.: Hochblechzaun (mit Architekturpreis-Verdacht). Wurfgeschoß-Schottergärten und umweltfreundlichkeitsabschreckende plastikgeflochtene Drahtzäune (Stachelbewehrung fehlt noch) allerorten. Ist M. und Drumherum schon das wehrhafte Gallien? Wo wohnen Asterix und Obelisk- starke Führer/in (neumodisch auch Sherpa genannte, weil Führer ist Out) braucht das Land…(In Frankenheim wohnt Sie jedenfalls nicht).

    1. Asterix und Obelisk .. danke für diese Ergänzung, hat uns den Montag gerettet.

      1. es gibt eben sehr große Obelisken…

  2. Und wie wäre es mit Kilometergeld in Form eines Kraftfrühstücks für Radfahrer als Honorar für die umfangreiche Recherche an so weit voneinander entfernten Fundorten?

    1. Kilometergeld für Radfahrer … so billig kommen Sie uns nicht davon. Wir fahren noch richtig mit Diesel. Beim Kaltstart im Winter hustet der hinten ganze Briketts raus.

      1. Und was da noch mit ausgehustet wird, kann natürlich die bisher übliche grüne Mauer nicht mehr filtern, auch wenn sie 2,50 m hoch ist. Was’n nun? Dieselabgas, Klimawandel, Gießwasserknappheit, Dürresommer, Bienensterben in sozialen Bienenstöcken… In der Nähe von Kötzschau befindet sich das ehemals tiefste Bohrloch der Welt. Vielleicht haben unsere Vorfahren dort ein paar Tipps hinterlassen, wie die Welt noch zu retten ist, falls Radfahren allein dafür nicht reicht?

        1. Sie haben die Diversität vergessen. Bunte Regenbögen sind heute wichtiger als Dieselabgas, Klimawandel, Wasserknappheit und Bienensterben. Lesen Sie keine Zeitung?

            • Heidi auf 16. August 2023 bei 21:36

            Ach ja, die Regenbögen… Wenn die Leute nur die ursprüngliche Bedeutung dieses uralten Zeichens verstünden! … (könnte man aber googeln)

    • Georg Deimler auf 13. August 2023 bei 11:44
    • Antworten

    Das Mauersystem „Limes“ passt auch hervorragend zum Schottervorgarten unserer Bürgermeisterin.
    Es ist furchtbar, dass so viele Menschen an der Berliner Mauer gestorben sind.
    Mit der immer mehr umsichgreifenden „Garten-Stein-Kultur“ wird das Sterben fortgesetzt, das Artensterben.

    1. „Das Gegenteil von Vorbild ist Image.“ (Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger)

    • Ulrich Naser auf 12. August 2023 bei 13:07
    • Antworten

    Als Walter Ulbricht am 15. Juni 1961 sagte: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen,“ sprach er eine Absicht aus, die sich am 13. August 1961 ins Gegenteil verkehrte und deutlich machte, wie fehlbar wir Menschen sind.
    Auch kennt jeder die Feste, auf denen Ehen geschlossen werden, voller Absicht und oft mit dem Versprechen: „Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ (Matthäus 19,4-6). Und dann?
    Deshalb meine ich, wir sollten in der Gottschedstraße 25 in Leipzig ein Hinweisschild am Geburtshaus von Walter Ulbricht anbringen. Darauf müsste auch auf die menschlichen Schwächen – siehe Absicht, tatsächliches Handeln und Scheitern – hingewiesen werden.
    Am Ende bleibt dem schwachen Menschen ja immer noch, sich einzumauern.

    1. Hat Ulbrichts Mutter dort nicht auch einen Puff betrieben? Würde zumindest den Hinweis auf menschliche Schwächen unterstreichen 🙂

    • André Kühn auf 12. August 2023 bei 8:53
    • Antworten

    sooo schön ausformuliert. Dafür müsste es den Pulitzer-Preis geben!

    1. Den kriegt doch heute jeder. Karl-Marx-Orden … das wäre mal ein lohnendes Ziel.

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