Nach Wunderheilung in Markranstädt: Millionen Pilger erwartet

Nicht alles, was in Markranstädt abhanden kommt, muss auch gleich geklaut worden sein. Manche Dinge werden einfach irgendwo liegengelassen oder verloren. Wer sie findet, muss sie abgeben und manche tun das auch. Allerdings macht man sich bei einigen dieser Fundsachen schon mal so seine Gedanken über die Geschichte, wie oder warum sie abhanden kamen. In Markranstädt sorgt seit letztem Wochenende ein ganz besonderer Gegenstand für Aufsehen.

Eins gleich vorweg: Fahrräder findet man in Markranstädt eher selten. Laut einschlägigen Medienberichten gehen Fundstücke dieser Art im Raum Leipzig ohne Umschweife als Dienstfahrzeuge in den privaten Fuhrpark der Polizei über.

Aber ansonsten ist das Spektrum der Fundsachen breit gefächert. Im Fundbüro der Dresdener Verkehrsbetriebe wurde vor einiger Zeit sogar ein BH abgegeben. Laut § 971 BGB beträgt der dafür fällige Finderlohn fünf Prozent „von dem Werte der Sache“. Da kann man jetzt natürlich drüber streiten, was der Eigentümerin die stützende Funktion ihres Textils einst wert gewesen sein könnte.

Wertsteigerung durch effektivere Nutzung.

Die Palette reicht hier von Null (weil sie sich angesichts der Verspätung des Zuges so aufgeplustert hat, dass das Ding einfach geplatzt ist) bis hin zum Jahresgehalt „Ost“ einer Sekretärin, wenn ihr selbiges unter der Last von Doppel-E auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch widerfuhr.

Auch wenn in der Stellenausschreibung was von offenherzig stand, ist dieser Dresscode nicht in jeder Branche ein vorteilhaftes Einstellungskriterium.

Sensationeller Tresen-Fund!

Auf dem Tresen einer beliebten Markranstädter Kneipe stießen die letzten Gäste in den frühen Morgenstunden des vergangenen Samstag auf einen besonders mysteriösen Fund. Ohne dass es zuvor zu Raufhändel oder anderen körperlichen Auseinandersetzungen kam, lagen dort plötzlich, sauber geparkt in einem künstlichen Gaumen, neun Zähne auf dem Schanktisch.

Um festzustellen, ob der Besitzer noch da ist, ließ die Wirtin erst mal einen zünftigen Witz los. Allerdings blieb ihr Blick in die vor Lachen weit aufgerissenen Schlunde ergebnislos. Keiner dabei, dessen Zahnbürste am nächsten Morgen ins Leere zu fahren droht. Auch die Kontrolle der mitgeführten Bonushefte blieb ohne Beanstandung.

Schon im nächsten Augenblick machten die ersten kriminalistischen Verschwörungstheorien die Runde. Die Ermittlungen der Tresen-SOKO „Bares für Rares“ führten im Rahmen eines reinen Indizienprozesses zu Rätselraten bis in den frühen Morgen.

Eine aus sicherem Abstand erstellte forensische Expertise ergab zunächst, dass dieses antike Mundmöbel zweifelsfrei der Epoche des Neo-Dentalismus (ab 2010 n.Chr.) zuzuordnen ist.

Keine Händlerkarte

Ein erstes Frohlocken angesichts der silbrig glänzenden Gaumenplatte hielt den Erwartungen dann jedoch nicht stand. Das Fehlen jeglicher Punzen ist ein deutlicher Hinweis, dass es sich nicht um ein handwerklich gefertigtes Unikat aus kostbarem Edelmetall handelt.

Das Fundstück entpuppte sich lediglich als AOK-Nachbildung einer echten Kauleiste. Dafür gibt’s natürlich keine Händlerkarte und damit nicht mal 80 Euro vom Waldi, womit „der Prüjel juut bezahlt“ wäre.

Während Archäologen jahrzehntelang den Erdball nach Reliquien umgraben, liegen die Heiligtümer in Markranstädt quasi vor der Nase. Da wird der Kneipenbesuch zur Pilgerreise.

Zeitweilig wurde sogar angenommen, dass da angesichts des Stammtisch-Gesprächs über die CDU-Nominierungsveranstaltung vom Mittwoch jemandem die Zähne aus dem Gesicht gefallen sind.

Ein anderer Ermittlungsansatz verfolgte die Theorie, dass sich der Besitzer ganz bewusst seiner Beißwerkzeuge entledigt hat, um seiner Frau am Sonntagsbraten den neuen, leistungsfähigen Pürierstab vom VEB Schwermaschinenbau TAKRAF vorführen zu können.

Aber all diese Theorien wurden im Angesicht der nahenden Sperrstunde zugunsten einer wesentlich werbewirksameren Wahrheit verworfen.

Weil die Stimmung in diesem Wirtshaus vor allem beim freitäglichen Abwöcheln so gemütlich ist, kam bei dem unbekannten Gast demnach ein Prozess oraler Wunderheilung in Gang. Aus seinem morbiden Kiefer muss sich plötzlich ein kompletter Satz nagelneuer Hauer in die Mundhöhle geschoben haben.

Wunderheilung lockt Pilger an

Mit wirtschaftlich ungeahnten Folgen für das Wirtshaus und die Stadt Markranstädt! Weil das Gebiss selbst heute, nach fünf Tagen, nicht vermisst wird, gilt der Unbekannte als dauerhaft geheilt. Da sie wegen Corona sowieso nicht nach Frankreich fahren dürfen, haben Reiseveranstalter ihre Ausflüge nach Lourdes kurzerhand durch Pilgerreisen nach Markranstädt ersetzt.

Funktioniert auch als Berührungsreliquie: Wenn Sie dieses Bild auf Ihrem Display küssen, sind Sie gegen Wurzelbehandlung gefeit. Probieren Sie’s mal!

Ganze Heerscharen Nuschelnder werden erwartet, die nur einmal die am Tresen präsentierte Reliquie des unbekannten Geheilten sehen wollen, die in einem dem Heiligen Cambrinus geweihten Schrein ruht. Das Versprechen nachwachsender Zähne bringt selbst Lahme zum Gehen.

Wenn da wirklich was dran ist an der Sache mit dem Krostitzer Heilwasser aus dem Markranstädter Hahn, werden dort in Kürze nicht nur Gebisse, sondern jede Menge Rollatoren, Brustimplantate und ähnliche Gerätschaften zurückgelassen. Seeleute werden vor dem Auslaufen nach Markranstädt kommen, um sich von der heilbringenden Reliquie Schutz gegen Skorbut zu erbitten.

Der Glaube versetzt Berge

Ähnlich wie die Heilige Lanze, die Otto I. anno 955 bei der Schlacht auf dem Lechfeld den Sieg brachte, zählt das wunderwirkende Gebiss neben dem roten Sofa der Heiligen Carina und dem legendären Bärenklau-Wedel von Ronald dem Bärtigen schon jetzt zu den Reichskleinodien der Stadt Markranstädt.

Eine alte Legende sagt: Wer die dentale Reliquie nur einmal im Mund hatte, ist im Wahlkampf um den Thron des Bürgermeisters unbesiegbar. Es gibt noch Wunder auf dieser Erde. Man muss nur etwas Mut haben und fest daran glauben.

 

2 Kommentare

  1. Ich bin gerade in besagter Lokalität und die Prothese ist noch nicht ausgelöst. Die Wirtin hat das Teil sogar gereinigt. Man vermutet, der Besitzer traut sich nicht das doch nicht ganz billige Stück zurückzunehmen – peinlich.

  2. Wenn da auch nur ein Tropfen Wahrheit im Krostitzer Weihwasser ist, dann können sowohl der alte als auch der kommende Bürgermeister feiern, ohne auch nur einmal an der Reliquie gelutscht zu haben. Alle werden gesund. Bei so viel wundersamer Heilwirkung erübrigt sich ein barrierefreier Bahnhof ebenso wie eine barrierefreie Toilette am Kulki. Und auch die Ex-Bürgermeisterkandidatin sieht ihre Argumente davonschwimmen. Von wegen aussitzen. Es ist die sich lohnende Geduld, die man beim Warten auf ein Wunder braucht. Herr, lasse es geschehen! 🙂 🙂 🙂

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