Neues aus der vierten Etage (1)

Das Knistern war spürbar – schon lange bevor Jens Spiske die konstituierende Sitzung des neuen Stadtrats eröffnete. Mit fast 40 Gästen und 28 Personen an der Ratstafel war die vierte Etage bis zum Anschlag gefüllt. Unten vorm Fahrstuhl zählte der Hausmeister die Ankommenden schon mit, auf dass es nicht zu statischen Problemen im Gebälk des Obergeschosses kommen mochte und man sich plötzlich im Keller wiederfindet.

Es war nicht nur der Neugier geschuldet, die den Neuen in der Markranstädter Duma entgegengebracht wurde. Auch der Funkturm in der Ranstädter Mark hatte zum Aufstieg in die vierte Etage gelockt und nicht zuletzt kamen auch die Satiriker auf ihre Kosten.

Die Konstellationen der neuen Kräfteverhältnisse versprachen strategische Leckerbissen, wie man sie bisher nur von G 7-Treffen kannte. Was dann in der Lallendorfer Duma jedoch wirklich geschah, stellte sogar die kühnsten Erwartungen in den Schatten. Aber schön der Reihe nach.

An die Sitzordnung muss man sich wohl erst noch gewöhnen. Die Reihe der CDU ist so lang, dass Katrin Haenel neben dem Holzbalken Platz nehmen muss, der sie von ihrer Fraktion trennt. Früher war das kein Problem, weil da die Bürger für Markranstädt (BfM) saßen. Jetzt ist das anders.

Rein optisch irgenwie anders

Rein optisch sitzt Haenel damit im Block der AfD und den nach hinten gerückten Freien Wählern. Damit hat sie zwar einen exponierten Platz für Spionage, kann aber aus den eigenen Reihen per Fußtritt oder anderer Gesten nicht mehr auf Linie gebracht werden, falls mal überraschend eine Geschlossenheit demonstriert werden muss.

Rechterhand des Bürgermeisters sitzen nur noch die beiden Linken da, wo sie sonst auch saßen. Frank Meißner, früher Banknachbar von Ronald Gängel, darf jetzt eine Art politischen Frühling neben der Ersten Beigeordneten erleben. Seine Fraktion rückte samt des angeheirateten Grünen Tommy Penk ganz nach vorn und überholte sozusagen die Linken ohne einzuholen. Meißner sitzt jetzt Aug‘ in Aug‘ mit Volker Kirschner: The heads of grey.

Game of thrones

Eröffnet wurde der Stammtisch mit einer Gedenkminute für die Opfer des Attentats in Halle. Danach stellte der Bürgermeister die neuen Fraktionsvorsitzenden vor, die damit zugleich den Ältestenrat darstellen. Bodo Walther für die AfD, Kirsten Geppert (FWM), Heike Kunzemann (Linke), Frank Meißner (SPD/Grüne) und für die CDU/BfM … Dr. Volker Kirschner.

Das war, zumindest für die politischen Grundschüler im Saal, der erste Paukenschlag! Der Medizinmann der Christdemokraten ist also zurück im Generalstab. Okay, ganz weg war er nie, sonst hätte die CDU jetzt niemals in halbwegs schlagkräftiger Fraktionsstärke am Tisch sitzen können.

Wohl deshalb musste Micha Unverricht auch den Platz räumen. Game of thrones bei den Schwarzen. Unverricht bekam im Gegenzug den Posten des ehrenamtlichen stellvertretenden Bürgermeisters und darf jetzt Jubilaren gratulieren.

Was dann kam, war allerdings so filmreif, dass es bisher noch nie verfilmt wurde. Lallywood in Reinkultur. Es ging um die Besetzung der Ausschüsse, in denen je sechs Plätze zu vergeben waren. Dazu wurde ein Einigungsvorschlag serviert, der drei Kandidaten der CDU/BfM und je einen der AfD, der FWM und der SPD/Grünen vorsah.

So weit, so kompliziert

Der Bürgermeister informierte vorab, dass es nur dann zum Beschluss kommen kann, wenn ausnahmslos alle Abgeordneten für diesen Einigung stimmen. Sei auch nur einer dagegen, müssten die Mitglieder entweder gewählt oder entsprechend der Sitzverteilung im Stadtrat bestimmt werden. Im Falle einer Bestimmung würde die CDU 4 statt bisher 3 Sitze und die AFD sowie die SPD/Grüne je einen erhalten. Die FWM gingen demnach leer aus, womit die Kooperation aus AfD und FWM also einen Platz in den Ausschüssen verlieren und die CDU einen gewinnen würde. So weit, so kompliziert.

Kaum dass Spiskes Frage verhallt war, ob der Einigungsvorschlag Zustimmung finde, kam der Einspruch der CDU. Damit musste also benannt oder gewählt werden. Dr. Kirschner beantragte, die Besetzung nach Benennung durchzuführen, der leidtragende Bodo Walther (AfD) wollte die dahinscheidenden Chancen seiner Frontlinie wenigstens mit einer Wahl retten.

Lehrstunde im Fach Strategie

Spätestens beim Blick auf die Mehrheitsverhältnisse erkannte man nun auch im Saal die Handschrift unter dem Rezept, das da soeben ausgestellt wurde. Allein vor der strategischen Linie mochten sich die, die es begriffen hatten, fast verneigen vor dem Schamanen der CDU. Denn mit ihren sechs Stimmen hatte die AfD/FWM-Kooperation von vornherein nichts entgegenzusetzen und verlor in dieser Sackgasse somit einen Platz in den Ausschüssen. Eine Lehrstunde für Studenten im Fach Politstrategie.

Es ist allerdings bei weitem nicht so, dass die AfD das nicht schon vorher geahnt hätte. Fraktionschef Bodo Walther erkannte bereits vor dem Händeheben: „Das hat sich der Doktor schön ausgedacht, damit wir mit unseren Kandidaten hinten runterfallen“ und versprach, „Wir werden prüfen, ob das so geht, wie wir hier über den Tisch gezogen werden.“

Politisch notwendig war diese Kraftprobe nicht. Es war ein Muskelspiel, mit dem die CDU die Duftmarke gesetzt hat, um ihr Revier abzustecken. Aber möglicherweise steckt sogar noch viel mehr hinter dieser genialen strategischen Finte. Die AfD/FWM könnten nämlich durchaus ihre zwei Plätze in den Ausschüssen behalten und der CDU damit den hinzugewonnenen Stuhl wieder wegnehmen.

Dazu müssten sie sich AfD und FWM allerdings in ew’ger Treue zueinander bekennen und ihrem halbgaren Swinger-Dasein ein Ende setzen. Fraktion statt nur Kooperation, damit wärs aufgrund gebündelter Kräfteverhältnisse wohl möglich. Ja, ja – so ist das, wenn man sich mit den Christdemokraten einlässt. Wilde Ehe gibt’s da nicht. Entweder man tritt ordentlich vor den Altar oder kommt ins Fegefeuer.

Der erste Gratulant

Fast schon einen satirischen Anstrich hatte dann das folgende Szenario. Als gefühlte Retourkutsche wollte die AfD Michael Unverricht nicht so ohne weiteres ehrenamtlichen Bürgermeister werden lassen und bestand auf einer Wahl. Im Gegenzug schob Jens Spiske AfD-Chef Bodo Walther den schwarzen Peter zu, die Wahl zu kontrollieren und deren Ergebnis zu verkünden.

Was immer auch das Publikum und der Rest der Abgeordneten erwartet hatten: Walthers Reaktion hatte Stil und zeigte, dass da am anderen Ende der Ratstafel nicht irgendwelche Trotzköpfe sitzen, die nur Stunk machen wollen. Mit den an Spiske gerichteten Worten „Sie haben mich sicher deshalb benannt, damit ich der Erste bin, der Herrn Unverricht gratulieren muss“, sorgte er für Heiterkeit im Saal und zeigte dann auch, dass er damit kein Problem hat. Touchè. Mit nur 12 von 21 Stimmen war Unverrichts Wahl dennoch alles andere als ein Selbstläufer.

Lemminge?

Danach ging es eigentlich nur noch um den BOS-Funkturm in der Ranstädter Mark. Jede Menge Wissensaustausch um Dinge, die noch gar niemand weiß. Fest steht nur, dass noch nichts fest steht. Zu viel für den müden satirischen Geist, der lieber wartet, bis belastbare Fakten zum Ablachen einladen. Sympathisch war allerdings, dass sich ein Vertreter der Aktivisten aus der Ranstädter Mark dafür entschuldigt hat, dass man die letzte Stadtratssitzung nach Erörterung der eigenen Probleme geschlossen verlassen hat. Begründung: Weil einer von ihnen nach Hause musste, seien ihm die anderen einfach gefolgt. Bleibt zu hoffen, dass sie diesmal nicht deshalb da waren, weil einer von ihnen wieder hingegangen ist…

 

3 Kommentare

    • Freudenbote auf 22. Oktober 2019 bei 9:15
    • Antworten

    GLÜCKWUNSCH an die CDU für die Bereitstellung des neuen stellvertretenden Bürgermeisters!
    Die Euronen in der Stadtkasse feiern gerade ein laut klapperndes Freudenfest! WARUM? Na, ganz einfach, weil sie dort bleiben dürfen und sich zukünftig dort vortrefflich vermehren werden.
    WIESO? Na, weil Micha Unverricht vor Zeugen verkündete, dass sein Anspruch an ehrenamtliche Tätigkeit ist, dass man sie absolut unentgeltlich tut, was logischer Weise heißt, dass er großherzig auf die ihm nach Recht und Gesetz für dieses Ehrenamt dennoch zustehende Gage verzichten wird.
    Die kluge Kämmerin sollte ihn beim Wort nehmen!

      • Bernd Hollwitz auf 14. November 2019 bei 14:33
      • Antworten

      Politiker sollten grundsätzlich:

      zunächst an ihren Worten … und zweitens: natürlich auch an ihren Taten gemessen werden!
      Oh je, man ist eben auch selber vergesslich.

      Deshalb ist es wichtig, dass Jemand, wie der „Freudenbote“ das hier mal festgehalten hat.

    • Bin bekannt auf 11. Oktober 2019 bei 12:20
    • Antworten

    Ein dreifacher Wendehals aus Ostfriesland : von links zu den Freien Wählern, und nun Herr Spiske? Ich vermute, er lässt sich nächstes Jahr als Kandidat der CDU aufstellen. Dem Redakteur ist die Bemerkung von SR Walther entgangen: BM im Scheidungs?rieg mit den Freien Wählern.

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