So manche Person, die gestern am Ratstisch in der vierten Etage Platz nahm, könnte sich tatsächlich so gefühlt haben, als hätte es sich um ihr letztes Abendmahl gehandelt. Und das, obwohl die mit 12 Punkten (darunter die fünf Obligaten wie Eröffnung, Protokollkontrolle etc.) ohnehin schon überschaubare Tagesordnung gleich zu Beginn um die vermeintlich interessantesten Punkte gekürzt wurde.
Die Punkte zur Finanzierung überplanmäßiger Auszahlungen für den Kita-Neubau fielen der Kastration ebenso zum Opfer wie die Vergabe von Leistungen zur Baufeldfreimachung und für den Rohbau. Spiske begründete das mit neuen Erkenntnissen, die es letzte Woche bei der Zusammenkunft der Vergabe-Jury gab.
Worum es bei diesen Erkenntnissen ging, wollte er nicht sagen. In einem Nebensatz war unter seinem Barte das Stoßgebet zu hören, dass sie das Preisniveau „hoffentlich nicht nach oben, sondern nach unten“ bewegen.
Angesichts der Eile, die man einst bei der Beschlussfassung zum Kita-Bau hatte, klang die Aussage des Stadtoberhauptes hinsichtlich der Verschiebung beider Punkte auf einen späteren Sitzungstermin mit „Wir laufen auch dem Zeitrahmen nicht davon.“ schon recht ambitioniert für das nicht involvierte Ohr.
Codierte Funksprüche
Danach folgte das übliche Spiel, das zwar Transparenz verheißt, aber für das zuhörende Bürgertum den Informationsgehalt einer Dunkelkammer hat. Für den Laien, der sich sowas aus gutem Grund nicht antut, sei angemerkt: Beschlüsse aus nichtöffentlichen Sitzungen werden als Nummern verlesen. Das klingt dann ungefähr so: „0815 – 4711 – XXL – 75E“ und so weiter. Wir kennen das noch von den codierten Funksprüchen während des Kalten Krieges.
Dann kam Tagesordnungspunkt 6 und der war mehr als nur Ersatz für das ausgefallene Gemetzel wegen der Kita. Birgit Riedel verlas den Abschlussbericht des Ausschusses auf Akteneinsicht in die Unterlagen des Anbaus der Grundschule. Der war bekanntlich 43 Prozent teurer geworden als geplant.
Wort gewordener Offenbarungseid
Um es vorweg zu nehmen: Das war kein Bericht, sondern Wort gewordene Anklage zur Abgabe eines sowohl kommunalpolitischen als auch verwaltungstechnischen Offenbarungseides.
In 17 Sitzungen, jeweils mittwochs von 18:30 bis 21 Uhr, hat sich der Ausschuss zwischen 16. März und 7. Juli durch sieben fette Ordner zum Grundschulanbau gefressen. Dabei konnte man, so Riedel, den zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht einmal das Prädikat „vollständig“ attestieren.
Zu viele Unterlagen fehlten, wurden nicht zur Verfügung gestellt oder waren möglicherweise nie vorhanden. So habe der Ausschuss beispielsweise ohne einen Blick in die Entwurfsplanung auskommen müssen.
Der Abschlussbericht war mit gut acht Seiten quantitativ zwar überschaubar, sein Gewicht aber stellt wohl selbst die friesische Verfassung in den Schatten.
Was da zur Sprache kam, ließ die an diesem Abend zu dritt aufgelaufenen MN-Spione zwischenzeitlich sogar mit dem Gedanken liebäugeln, das Dokument kommentarlos als eigenständigen Beitrag in den Markranstädter Nachtschichten einzustellen. Besser kann man Satire nicht machen.
Angesichts dessen, was da so angeprangert wurde, wäre es wahrscheinlich einfacher gewesen, all das, was bei dem Schulanbau geklappt hat, in zwei Sätzen darzustellen. „Keine Überwachung“ oder „Regularien grob fahrlässig missachtet“ waren noch die zärtlichsten Ausdrücke, die der Ausschuss für das kommunalpolitische Desaster fand.
Das satirische Fazit lautet: Wenn Väter bei der Betrachtung der Lego-Konstruktionen ihrer Kinder auch nur annähernd solche Worte finden müssten, wäre die Prügelstrafe bis heute nicht aus den deutschen Gesetzbüchern getilgt.
Schraps hat den Hut verlor’n
Ausschussmitglied Dr. Ingrid Barche ließ es sich anschließend nicht nehmen, das bauamtliche Wunder der Kostenvermehrung anhand eines Beispiels zur Mittelfreigabe zu veranschaulichen. Wenn also für einen Bereich des Baus Mittel freigegeben waren, diese dann aber vielleicht oder wahrscheinlich nicht nicht benötigt wurden, konnten diese einem anderen Bereich zugeführt werden.
Das ist wie bei einem Crash an der Börse. Das Geld ist nie weg, es hat nur ein Anderer. Nun kann es aber passieren, dass das Geld im ursprünglichen Gewerk etwas später doch noch benötigt wird. Da muss man dann halt nachschießen. Schön, wenn man Taschen hat, in die man greifen kann.
Noch traumatisiert von diesem Diktat bedingungsloser Kapitulation, sollten die Stadträte dann einer außerplanmäßigen Auszahlung zur Schaffung des erforderlichen Planungsvorlaufs für die Errichtung von Klassenräumen im Gymnasium zustimmen. Das gerade überstandene Erdbeben noch in den Knochen, waren die Sinne nun geschärft, wenn der Begriff „außerplanmäßige Auszahlungen“ fällt. Und genau so kam es dann auch.
Die Beschlussvorlage wurde sprichwörtlich in ihre Einzelteile zerlegt, gemischt, neu zusammengefügt und mit erforderlichen Inhalten versehen. Erst als klar war, was da und vor allem wo geplant werden sollte, gingen die erfurchtsvoll zitternden Hände in die Höhe.
Sehnsucht nach Harry Plotter
Den Brandbrief aus dem Bauamt noch in Erinnerung, in dem auch planerische Kompetenzen des Fachbereichs offeriert wurden, fragte Dr. Kirschner nach, wer die Klassenzimmer-Planungen durchführen solle und warum nicht das eigene Bauamt dafür in Frage käme.
Spiske überraschte mit der Auskunft, dass der Fachbereich keine Plotter habe. Die ehrwürdigen Ratsdamen und -herren schienen ob dieser Aussage so verblüfft, dass sie glatt die Nachfrage vergaßen, warum man dabei nicht vorübergehend (also bis man bei eBay einen guten Gebrauchten geschossen hat) auf die Leistungen eines Plotterstudios, eines geneigten Architekten oder anderen Anbieters zurückgreift.
Auf einen USB-Stick schieben, hinbringen (wenn man Internet hat, kann man es sogar mailen), plotten lassen und wieder zurück fahren. Zu einfach?
Kinderfest-Analyse
Kurz vor Ultimo informierte Heike Helbig über die Auswertung der Bürgerbefragung zum Markranstädter Kinderfest. Von über 14.000 ausgereichten Fragebögen sind ganze 40 zurückgekommen. Zu einigen Fragen gab es nicht einmal zehn Antworten.
Aus dieser gesellschaftlichen Neige Statistiken, Diagramme und Tabellen zu erstellen, muss die hohe Kunst sein. Hoffnung machte, dass bei einem zu diesem Thema einberufenen Workshop 30 Bürgerinnen und Bürger anwesend waren.
Herr, bin ich’s?
Und ganz zum Schluss bewahrheitete sich dann auch das eingangs strapazierte Gleichnis vom letzten Abendmahl. Zwar pfiffen es die Spatzen schon seit dem Frühjahr von Markranstädts Dächern, aber am Donnerstag wurde es in der vierten Etage auch offiziell: Dr. Volker Kirschner hat den Fraktionsvorsitz bei der CDU an Michael Unverricht abgegeben. Ein Vierteljahrhundert hat er die Geschicke der Christdemokraten im Stadtrat mitgelenkt, nun war es seine letzte Sitzung als Chef auf der rechten Seite.
Aber auch künftig muss der Bürgermeister nicht auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Kirschner verzichten. Der Doktor sitzt jetzt gemeinsam mit Jens Schwertfeger als Stellvertreter sozusagen in der zweiten Reihe und selbstverständlich auch weiterhin am Ratstisch.
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