Neues aus der vierten Etage (3)

Könnte man auf der Steuererklärung den Besuch einer Stadtratssitzung als außergewöhnliche Belastung geltend machen, wären gestern weit mehr als dreieinhalb Stunden Miete ansetzbar gewesen. Im Gegenzug könnte das Finanzamt jedoch den Spitzensatz für Unterhaltungssteuer erheben, sodass für den Besucher der Show trotzdem bestenfalls nur eine schwarze Null bliebe. Man kann es drehen und wenden wie man will, unterm Strich bleibt das Event kostenlos, aber in zunehmendem Maße nicht umsonst.

Es mögen so um die 25 Gästinnen und Gäste gewesen sein, die den Aufstieg in die vierte Etage auf sich nahmen. Gegenüber Zwenkau (im Schnitt 5 Zuschauer), Markkleeberg (2 Besucher) oder Schkeuditz (eine, die in der Regel aber nur deshalb kommt, weils im Saal warm ist), führt die Markranstädter Duma die Hitliste in der Region trotz des völlig verkorksten Raumkonzeptes nach wie vor unangefochten deutlich an.

Dass die Stahlseile des Fahrstuhls gestern wieder mal heiß liefen, lag wohl an der Verheißung einer Neuinszenierung eines altbekannten Dramas. Vor allem in Hinblick auf die Neufestlegung der Grundschulbezirke wurden in der Stadt schon seit Tagen die Zungen bis auf Rasierklingenschärfe gewetzt. Dazu kam noch ein Antrag des Bürgermeisters hinsichtlich der Nutzung des als Flüchtlingsunterkunft umgewidmeten Hotels.

Um es vorweg zu nehmen: Den Beschluss zum Hotel werden wir in einem gesonderten Beitrag am Wochenende beleuchten. Man braucht zwischen beiden Themen eine längere Phase passiver Regeneration, da ansonsten eine Adduktorenzerrung im Zwerchfell droht.

Krankheitserreger mit Verspätung

Als die Erste Beigeordnete das Showprogramm pünktlich um 18:30 Uhr eröffnete, glänzte der eigentliche Stargast des Abends mit Abwesenheit. Nein, gemeint ist nicht der Bürgermeister, der sich per gelbem Schein entschuldigen ließ. Während im Ratssaal noch die Diagnose Radonophobie kursierte, war der vermeintliche Erreger dieser Infektion allerdings nirgends zu sehen. Schon wollten die ersten Gäste über Schadenersatzforderungen für vergeudete Lebenszeit nachdenken, da wurden im Saal die Stellvertreter ausgemacht.

Dort hatten mit Sandra Schuh sowie Judith Heine die Leiterin der Grundschule Großlehna und die Vorsitzende des Elternrates im Publikum Platz genommen. Komplettiert durch die Stadträte Mike Schärschmidt und Matthias Prautzsch (beide CDU) sowie Thomas Busch (SPD) waren die fraktionsübergreifenden Verteidigungslinien Großlehnas strategisch optimal besetzt. Allerdings nützt das beste Heer nichts, wenn es ohne Generalität übers Schlachtfeld irrt. Es fehlte eine kampferprobte Feldherrin.

Und diese kam nicht. Nein. Sie erschien! Als vierzig Minuten nach Beginn der Show plötzlich die Tür knarrte, konnten die im toten Winkel um die Ecke sitzenden Besucher nur ahnen, warum plötzlich alles die Köpfe drehte und sich in den Sitzen aufrichtete. Carina Radon betrat den Saal. Aufatmen im Publikum, das gerade durch die Haushaltszahlen von 2016 betäubt wurde. Es ist angerichtet, lasset die Spiele beginnen.

Es dauerte trotzdem noch weitere 50 Minuten, bis Tagesordnungspunkt 12 aufgerufen und damit die Diskussion um die Neufestlegung der Grundschulbezirke eröffnet wurde.

Nachdem Fachbereichsleiterin Heike Helbig die Situation eingangs noch einmal kurz vorgestellt hatte, ergriff Mike Schärschmidt (CDU) das Wort und warf den Fehde-Handschuh auf die Ratstafel.

Nein, unsolidarisch sei man in Großlehna nicht, meinte Schärschmidt. Vielmehr sei es kein Großlehnaer Problem, sondern ein gesamtstädtisches. „Wir würden gern Kinder aufnehmen, egal woher sie kommen. Aber wir wissen alle, dass unsere Schulen aus allen Nähten platzen. Keiner denkt an die Kinder!“

Während er für den letzten Satz dieses Statements im weiteren Verlauf sogar aus den eigenen Reihen ohne Schaum rasiert wurde, waren die weiteren Argumente nicht so einfach von der Hand zu weisen.

Tennis mit Argumenten

Hier kritisierte Schärschmidt das Fehlen einer generellen Lösung für ganz Markranstädt. Es bringe nichts, wenn die Kinder immer nur weiter in den vorhandenen Räumen zusammengedrängt würden. „Warum finden wir nicht eine Lösung, welche die Kinder nicht belastet?“, fragte er und brachte als Beispiel das Aufstellen mobiler Schulcontainer ins Spiel. Platz dafür sei in Großlehna reichlich vorhanden.

Damit stellte er zwar die Argumente von Sandra Schuh in Frage, denn mobile Klassenzimmer würden die von ihr ins Feld geführten Kapazitätsprobleme hinsichtlich Toiletten, Garderoben, Speiseraum und Küche auch nicht lösen. Aber als Gast hatte die Schulleiterin zunächst einmal sowieso keine Möglichkeit, sich zu artikulieren.

Klartext ohne Mikro

Dafür erhielt nun Carina Radon als Ortsvorsteherin das Rederecht. „Ein Mikrofon brauche ich nicht“, lehnte sie den ihr dargereichten Stimmenverstärker ab und lockerte die Zuhörerschaft mit der Bemerkung auf: „Ich rede laut genug“. Die dann von ihr dargelegten Argumente hatten im Ohr des Laien einen durchaus verständlichen Nachklang.

Vor allem die ans Rathaus gerichtete Kritik am Stolz über eine kostenlose Lösung fiel hier und da auf fruchtbare Parzellen. Und dass das Umverteilen und Komprimieren von Schülern keine erstrebenswerte Ideallösung ist, die zudem das pädagogische Konzept der Grundschule Großlehna vorübergehend auf eine harte Probe stellt, konnte sie ebenfalls eindrucksvoll darlegen.

Zwischen Glaskugel und Kaffeesatz

Allerdings verließ die Ortsvorsteherin dann das auf zwei Jahrgänge befristete Spielfeld und bemühte weiterführende Erkenntnisse aus der Glaskugel.

Demnach könnte sich die angespannte Situation in der Grundschule Großlehna nicht nur bis ins Jahr 2026 erstrecken, in dem die letzten aus Markranstädt eingeschulten Jahrgänge die Einrichtung verlassen.

Vielmehr befürchte sie eine Fortsetzung bis hinein ins Jahr 2030. Dann nämlich, wenn wieder irgendwo Kapazitätsgrenzen erreicht würden und man angesichts zeitraubender Planungen, Anträge und Baumaßnahmen erneut unter Druck stünde.

Das alles kann durchaus passieren, hat aber mit der gegenwärtigen Situation und dem akuten Bedarf an Hilfe für die Markranstädter Grundschule ursächlich wenig zu tun. Wie abenteuerlich solch Leserei im Kaffeesatz sein kann, hatte erst Minuten zuvor der Vortrag eines Vertreters der Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft gezeigt.

Der große Weise präsentierte darin die prognostizierte Zahl der Kita-Besucher bis hinein ins Jahr 2038. Alle Wetter! Schon aus Gründen des Jugendschutzes dürften die für deren Zeugung in Frage kommenden Eltern Stand heute noch nicht einmal Willensbekundungen zum erforderlichen Deckakt abgeben. Aber das nur nebenbei.

In der Realität ist man hingegen sogar kurzfristig noch nicht einmal in der Lage, selbst halbwegs belastbare Prognosen zu bereits geborenen Kindern abzugeben. So informierte die Erste Beigeordnete über Angaben des Einwohnermeldeamtes aus dem Monat Mai, wonach 98 Kinder eingeschult werden müssten. In der Realität warens drei Monate später dann plötzlich 112.

Druckmanometer am Anschlag

Kurzum: Der Blick in die Zukunft samt möglicher Szenarien erzielte wenig Wirkung. Stärker waren die gegenwärtig greifbaren Argumente. Dem gemeinen homo marcransis, der traditionell nicht einmal den Beschlusstext kennt – von der Verwaltungserläuterung ganz zu schweigen – erschlossen sich die tieferen Hintergründe sowieso ebensowenig wie den in der gleichen Sitzreihe niedergelassenen Satirikern.

Allein dass die Debatte zwar von Emotionen getrieben war, aber von allen Seiten sehr sachlich und ruhig geführt wurde, nahm das Bürgertum wohlwollend zur Kenntnis. Das war die Streitkultur, die man sich wünscht.

Nach knapp einer Stunde intensiven Austauschs von Argumenten schritt das hohe Haus dann zur Abstimmung. Mit vier Gegenstimmen und zwei Enthaltungen wurden die Grundschulbezirke für die zwei kommenden Schuljahre neu festgelegt. Was nicht beschlossen wurde, aber allen Abgeordneten im Rahmen der Diskussion aufgegangen sein müsste: Das war erst eine Etappe. Die Nötigste bestenfalls. Es muss vor allem vorausschauend richtig was getan werden, um künftig Situationen wie diese zu vermeiden.

Die Wortführer aus Großlehna hinterließen beim Verlassen des Saales den Eindruck, dass sie sich mit der Mehrheitsentscheidung des Stadtrats wohl noch nicht abgefunden haben. Das Lächeln schien eher den Charakter eines Manometers am Überdruckventil einer Dampfturbine zu tragen. Latente Explosionsgefahr in besinnlicher Adventszeit..

 

8 Kommentare

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    • kleiner Beobachter auf 8. Februar 2020 bei 21:57
    • Antworten

    Sorry aber für mich hat damit der Wahlkampf für den 20. September 2020 angefangen. Denn Hallo die heutigen Probleme im Bereich Schule wie auch so manch anderer liegen allein in der Verantwortung der damaligen Bürgermeisterin C.R.
    Denn vor lauter für sich bauende Denkmäler, war Sie wahrscheinlicher der Meinung dass wie eben nun geschehen manche Probleme erst viel später nach Ihrer Zeit aufkommen.
    Pustekuchen Fr. R. das Flagschiff fährt erstmal in das Trockendock und dem echten Markranster muß ich voll zupflichten. Man kann nicht immer nur meckern wenn es einem gerade passt, aber selbst nicht viel dazu beitragen.

  1. Als die Radon den Theatersaal betrat wurde mir flau und im Magen, ich fühlte mich in alte diktatorische Zeiten zurückversetzt. Sie kann sich bei der lieben guten Frau Lehmann bedanken, so viel Redezeit bekommen zu haben. Jens Spiske hätte das so nicht zugelassen. In der Diskussion konnte ich den Gedanken „nur das Beste für unsere Kinder“ nicht erkennen – nur Selbstdarsteller und egoistisches Denken aus Grosslehna.

    • Nachbar auf 7. Dezember 2019 bei 11:40
    • Antworten

    Das Schulthema birgt wahrlich reichlich Sprengstoff, nicht nur für Großlehna. Die Stadträte schienen mehrheitlich die Fakten nicht zu kennen. In Markranstädt gibt es eine Ganztagsschule (Grundschule) aber nur Di, Mi, Do, Montag & Freitags nicht. Also eher Teilzeit- Ganztagsschule, oder wie soll man das nennen? Die Leiterin der Schule trug vor, alles klappt prima, trotz Raumnot.
    Alles andere hätte sie ja auch persönlich in Frage gestellt. Die Tatsache, das die Schule eher eine Dauerbaustelle ist, wurde komplett ignoriert ebenso die baulichen Möglichkeiten, sollten diese nicht die Bauvorschriften verletzen, was nicht zum ersten mal der Fall wäre. Die Unkenntnis über viele Tatsachen und die vorgetragenen Zahlen- und Wortverdrehungen waren, wären sie nicht so ernst, wahrhaftig komisch und als Entscheidungsgrundlage reichlich ungeeignet. Aber der Hoffnungsschimmer einer neuen,2. Grundschule in der Kernstadt hellt die besinnliche Zeit doch ein wenig auf.
    Danke an Euch, für die investierte Zeit, man kann nur hoffen, dass der Stadtrat sich bei der Sitzungsdauer an der Bundesregierung kein Beispiel nimmt.

      • Echter Markranster auf 7. Dezember 2019 bei 18:28
      • Antworten

      Hätte, hätte- Fahrradkette! Die Schulleiterin kann ja nichts für die baulichen Tatsachen. Hätte man damals nicht einen Design- Anbau (viel Bausubstanz und wenig Raum) und einen unpraktischen Hortraum geplant und realisiert, wären heute weniger Sorgen da. Darauf hätte Frau R. verweisen können, immerhin lag es in Ihrer Verantwortung.

    • Echter Markranster auf 7. Dezember 2019 bei 11:31
    • Antworten

    Der Autor hat gut aufgepasst und die Situation wiedergegeben.
    Der gemeine Homo Macransis mit etwas Moos auf dem Buckel, könnte meinen:“ Das ist doch Jammern auf hohem Niveau. Wir waren 36 in der Klasse und konnten am Ende der Schulzeit ordentlich Lesen, Schreiben und Rechnen.“ Außerdem hätten die Kinder aus Quesitz und Döhlen die Schulen in Sichtweite. Vielleicht sollte man sich mittelfristig mal Gedanken machen, wie man die Nörgel-Dörfer wieder los wird, damit in der Kernstadt wieder Ruhe einkehrt. Wir haben eigene ungelöste Probleme.

    1. Ich stimme dem Markranster zu. Wir waren 1969 in der 1.Klasse 32 Schüler,mit Halstuch und FDJ-Hemd und ich habe 1981 das Abitur in Lützen – heute Sachsen-anhalt als Markranstädter bestanden. Grosslehna denkt darüber nach

        • Holzauge auf 9. Dezember 2019 bei 13:58
        • Antworten

        Schon in der 1.Klasse ein FDJ-Hemd unter dem Halstuch, mein lieber Scholli…

        1. Der Verfasser des Kommentars hat sein Abi mit 1,0 gemacht, echt jetzt!

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