Neues aus der vierten Etage (40): Ein Fall für den Scherzschrittmacher

In der vierten Etage geht es im Prinzip nur noch um die Quadratur des Kreises. Also die Neuwahl eines Beigeordneten oder die Ursachenforschung für deren Scheitern, bei der gebetsmühlenartig die Genesis des Vorgangs wiederholt wird. Aber kurz vor dem Einnicken gibt es fernab der Rolle der Bedeutung trotzdem immer mal wieder einen Lichtblick, der das Herz des Satirikers höher schlagen lässt. Das war auch am Donnerstag letzter Woche wieder der Fall. Zur 40. Sitzung des Stadtrates hatte das Kulturensemble der vierten Etage einige herrliche Pointen auf die Bühne gebracht.

Diese 40. Sitzung des Stadtrates war ein klarer Kandidat für die Auszeichnung mit dem „Scherzschrittmacher des Jahres 2023“.

Seine ersten humoristischen Züge erfuhr das Lustspiel bereits bei der Ouvertüre. Da wunderte sich der Methusalem mit sozialdemokratischem Politikhintergrund, warum Regisseurin Nadine Stitterich gleich ganz oben auf der Set-Liste des Tages einen Punkt angebracht hat, den er und die Seinen vom Ältestenrat zuvor eigentlich abgewählt hatten.

Alternativlos: Freizeit am Stammtisch in der vierten Etage

Wenn die Festlegungen des Senats so ignoriert werden, könne er sich die in diesem Gremium geopferte Lebenszeit künftig sparen und sie statt dessen mit Freunden bei einem Bierchen in der Kneipe verbringen, klagte Meißner.

Aber holla! Da ist dem Chef der Sozialdemokraten offenbar entgangen, dass die gastronomische Landschaft in Markranstädt inzwischen den ausgedörrten Weiten der Sahel-Zone gleicht. Kaum noch Vegetation und das letzte Grün, das noch irgendwie an Hopfen erinnert, riecht auch schon schal.

Willkommen bei der Aktuellen Kamera

Daraus folgt die Erkenntnis, dass die Bürgermeisterin ihre Schäfchen in der Hand hat. Wenn die Stadträte Abwechslung und Unterhaltung wollen, müssen sie mangels Kneipen zwangsläufig in die vierte Etage kommen. Ist wie früher, wenn das Westfernsehen mal weg war – da hat man sich notgedrungen eben doch mal die Aktuelle Kamera reingezogen.

Und dort erfährt der erstaunte Zuschauer dann beispielsweise auch, welche Stadträtin sich angesichts eines fehlenden Stellvertreters jetzt plötzlich Sorgen um die Gesundheit der Bürgermeisterin macht. Und das, obwohl eben diese Volksvertreterin mit ihrem Abstimmungsverhalten seinerzeit selbst dazu beigetragen hat, dass es heute keine Beigeordnete gibt. Es war auch hier wie damals in der Aktuellen Kamera: Man muss es nicht einmal verstehen, um darüber lachen zu können.

Der lange Weg einer Straße

Als es später um die geplante Umgehungsstraße ging, hatte der CDU-Leibarzt seine satirische Sternstunde. „Ich habe 1990 gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister Micha Woitschek den entsprechenden Antrag dazu ausgearbeitet, das war vor 33 Jahren“, blickte Volker Kirschner weit in die Antike zurück. Dann adelte er die jetzt in Dresden ausgearbeiteten Planungen zur Umsetzung des Vorhabens mit der Pointe: „Ich freue mich, dass wir mal wieder darüber sprechen. Es wird aber noch 60 Jahre dauern, ehe es los geht.“

Zeit für einen Treppenwitz

Am Ende der Sitzung schloss sich dann sogar noch einmal der Kreis zur eingangs angeführten Kneipenlandschaft. Im Treppenhaus zeigte sich, wie Markranstädts Gastronomen sprichwörtlich in die Knie gezwungen werden. Denn dort musste ein Gastwirt warten, weil sein Thema in nichtöffentlicher Sitzung behandelt wurde. Bislang befanden sich auf dem Treppenabsatz eigens dafür ein paar Stühle. Irgendwem muss aber irgendwann aufgefallen sein, dass dieses Ensemble öffentlicher Sitzmöbel offenbar dem Brandschutz widerspricht und so wurden die Stühle weggeräumt.

Wer also nun zum Warten außerhalb des Ratssaales verdammt ist, kann nur noch auf einer Treppenstufe Platz nehmen. Gastfreundschaft „made in markranstädt“ – da kann man sogar als Kneiper noch was lernen.

Allerdings hat auch diese Form des kommunalpolitischen Abchillens so ihre Tücken. Denn im Zuge des Gas-Embargos gegen Putin erlischt nach nur wenigen Umdrehungen des Minutenzeigers die Treppenhausbeleuchtung. Um diese wieder anzufachen, muss sich das wartende Individuum erheben und auf seiner Treppenstufe akrobatische Übungen vollziehen [markranst: Figugchen machen].

Wenn sie drinnen heimlich munkeln, turnt auf der Treppe man im Dunkeln.

Bewegungssensoren in einem Rathaus, das klingt per se schon wie ein antagonistischer Widerspruch in sich selbst. Aber dass man in absoluter Finsternis auf einer bedenklich knarrenden Treppe aus dem vorigen Jahrhundert auch noch Elemente akrobatischer Leibesertüchtigung vollführen muss, um diese auszulösen, ist dann wirklich kaum noch zu toppen.

Gut, einige jüngst in den Markranstädter Gerüchteküchen servierte Personalien lassen zumindest erkennen, dass der Brandschutz im Rathaus tatsächlich so enorm hohe Priorität genießt, dass man dafür auch Opfer zu erbringen bereit ist. Da müssen eben auch mal Aspekte wie der Gesundheitsschutz und die Sicherheit von Proleten, die sich nachts in Treppenhäusern rumtreiben, ein Stück weit zurücktreten. Außerdem kann man ja auch im Fahrstuhl warten. Der verfügt zwar ebenfalls nicht über Sitze, aber wenigstens brennt da drin immer Licht. Warum sollte nur Putin davon profitieren?

16 Kommentare

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    • toni lenk auf 22. Oktober 2023 bei 22:29
    • Antworten

    „Ein Fall für den Scherzschrittmacher“ – FAST alles Volltreffer
    Nur der lange Weg einer Straße ging ein bisschen anders. 1990 hat kein S…. äh, Mensch die Nord-Süd Umgehung geplant, aber eine andere. Napoleons Trasse von Ost nach West sollte Entlastung bringen. In dem Fall grob eingenordet von Friedhof zu Friedhof. Miltitz nördlich am Markranstädter Piependorf vorbei mit Varianten via Quesitz. Warum es dann nichts wurde, und nun vielleicht doch angedacht ab 2000, nur anders, würde hier zu weit führen. Für Satire wäre einiges dabei. Egal welche Himmelsrichtung, 1990, 2000 oder 2030, Hauptsache Umgehung.

    1. So oder so führen alle Wege nach Rom. Oder anders gesagt: Egal ob Madrid oder Mailand: Hauptsache Frankreich. Außerdem können wir ab Dezember 2026 S-Bahn fahren, wer braucht da noch eine Umgehungsstraße?

  1. 2 Fragen: Muss man unten erst einen Benutzungsschein mit Nummer für die „Nutzung einer städtischen Wartetreppenstufe mit Zeitbeschränkung mehrerer Lichtintervallzyklus-(schreib t man die Mehrheit mit hinten : ..se…?) der modernen Beleuchtungsanlage “ ziehen? Kostet das virtuelles oder echtes GeldGeld?

    1. Einzig gültiges Zahlungsmittel ist die Ranstädter Mark (RM).

    • Xt'Tapalatakettle auf 16. Oktober 2023 bei 8:17
    • Antworten

    „Gut, einige jüngst in den Markranstädter Gerüchteküchen servierte Personalien lassen zumindest erkennen, dass der Brandschutz im Rathaus tatsächlich so enorm hohe Priorität genießt, dass man dafür auch Opfer zu erbringen bereit ist.“

    Ganz schön gewichtige Aussage. Klingt schwer nach verspäteter Einlösung alter Versprechen.

    1. Besser spät als nie.

    • Samoht auf 15. Oktober 2023 bei 14:48
    • Antworten

    Ich befürchte, dass die absolut genialen, zwischen den Zeilen vermittelten Höhepunkte nicht einmal all denen mehr auffallen, die zwischen den Zeilen zu lesen gelernt haben. Allein der letzte Satz – in Verbindung mit der Kurzzeitbeleuchtung im Treppenhaus – ist ganz großes Kino in Verbindung mit haarscharfer Beobachtung der realen Umwelt. Ich bin begeistert, aber zugleich auch traurig, dass auch sowas nicht zu Veränderungen führen wird.

    1. Wenn wir etwas verändern könnten, wären die Markranstädter Nachtschichten schon längst verboten. Seien Sie also lieber froh, dass alles so bleibt wie es ist, sonst müssten Sie sich heute auf Youtube die Aktuelle Kamera vom 15. Oktober 1973 reinziehen. MN-History: Die vierte Etage vor 50 Jahren!

    • Sogehtmarkranst auf 14. Oktober 2023 bei 22:47
    • Antworten

    Wie schön, dass es mit der Markranstädter Kultur wieder aufwärts zu gehen scheint (auch wenn es mit den Kneipen abwärst geht…). Es stand ja zu befürchten, dass die langweiligen Stadtratssitzungen nicht mal mehr die hartgesottensten MN-Schreiberlinge hinter dem Ofen hervorlocken. Danke für den wunderbaren Bericht.
    Man darf wirklich gespannt sein, wie das Thema Umgehung (in jeder Hinsicht ;-)) weitergeht…

    1. Wie es weitergeht, sagt doch schon der Begriff „Umgehung“. Das Thema wird umgangen. Gern auch von Bürgern und Betroffenen, die sich lieber untereinander in sozialen Netzwerken austoben, als der Sache dort Gewicht zu geben, wo es auf jedes Gramm ankommt.

    • ein Frankenheimer auf 14. Oktober 2023 bei 14:04
    • Antworten

    Wenn denn die Planung für die Umgehungsstraße schon einige Jahrzehnte dauert, dann bin ich ja mal gespannt, wie lange die Realisierung der legalen Benutzung der 300m „Schleichweg“ in Frankenheim (der mit den vielen kaputten Schranken) in Anspruch nehmen wird…ich ahne Schlimmes im besten Deutschland aller Zeiten 🙁 Seit dem ‚Machtwechsel‘ in Makrans: ‚Still ruht der See bzw. die Straße‘ – Hauptsache, wir zahlen unsere Steuern und Abgaben pünklich

    1. Steuern zahlen. Ach Sie sind das?

      • Xt'Tapalatakettle auf 16. Oktober 2023 bei 8:12
      • Antworten

      Ist doch schon längst ne Umgehungsstraße.
      Das Befahrungsverbot umgeht die Hautevolée seit Jahr und Tag. Als Vorbeifahrender, der die offiziellen Wege nutzt, kann man da nur täglich mit dem Kopf schütteln, ob der teils haarsträubenden Situationen vor Ort.
      Aber anscheinend denkt „der Markranster“ so: Darf ich nicht? Mir doch egal, wenn ICH das will, fahr ICH da lang. Und zwar so lange, bis ICH das auch offiziell darf.

      1. Man muss das aber auch verstehen. Wir sind im Herbst ’89 nicht auf die Straße gegangen, um uns Westautos kaufen zu können, mit denen wir jetzt nirgendwo lang fahren dürfen. Die Folga davon hat doch System: Weil wir unsere Autos jetzt stehelassen müssen, werden die Parkplätze knapp und wir müssen an die Ordnungshüter unser schwer erkämpftes Westgeld abliefern. Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.

    2. Ich behaupte sie sind ein Lindenaundorfer, benutzen gelegentlich den Schleichweg und haben dafür noch nie einen Obolus bezahlt. Also: immer locker bleiben.

      1. Hach ja – die Schranke. Das waren noch Zeiten. Da kommen Erinnerungen an ein altes friesisches Sprichwort auf: „Leewer schephörd bi a dik üüs bürgermääster bi a Lallendoarp.“ Kann das vielleicht mal jemand übersetzen?

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