Neues von den Drehbänken

Die Berichte über die geheimnisvollen Bankdreher sind noch nicht vergoren, da gibt es schon Gerüchte um das Aus der Missetäter. Ein mysteriöser Zeuge der Drehkunst, ein gewisser Mister X, wollte uns dazu konspirativ treffen. Wir bekamen Ort und Uhrzeit – „ohne Stasi und nur unter vier Augen“ – und schickten unseren neuen Reporter Eugen Artig hin. Sein Bericht ist ein Paradebeispiel für investigative Recherchearbeit:

Als neuestes und somit entbehrlichstes Mitglied der Nachtschichten wurde ich auserkoren den Mann zu treffen. Markranstädt, eine regnerische Nacht in der vergangenen Woche.

Bleiern schwer liegen zwielichtige Wolken über der Stadt, der nasskalte Wind peitscht Regentropfen so groß wie Kartoffeln durch die verlassenen Straßen. Nur ein einsames Auto dann und wann trägt seinen Besitzer in den tristen Feierabend hinein. Die Lichter der Ampel spiegeln sich schimmernd im Asphalt.

Der ominöse Mister X wartet in einer dunklen Gasse auf mich, gerade außerhalb des Laternenscheins. Nur zwei gläserne, angsterfüllte Augen funkeln mich durch das Dunkel an. Wir geben uns das vereinbarte Zeichen und identifizieren uns somit.

Ich war auf einiges gefasst, doch was der arme Teufel mir erzählt, lässt mir den Atem stocken. Schon vier mal habe er die Bankdreher gesehen, sagt er. Er will mich an den Ort des Geschehens führen.

Konspirativ und mysteriös

Nach einigen Minuten kommen wir in einer Kneipe an, er bestellt umgehend Getränke. Auf meine ungeduldige Nachfrage, wo den nun der Tatort sei und wo er die Täter gesehen habe, bekomme ich nur ein Glas Bier in die Hand und obendrein einen verschwörerischen Blick. Wir setzen uns in ein Separee der dunklen Mundschenke.

Mysteriös: Hier weiß man nicht einmal, ob die Bänke nur um 180 oder gar um 360 Grad gedreht wurden.

Dann bricht Mister X sein Schweigen. „Also die Leide selbor habsch nisch gesähn“ murmelte er in landestypischem Hochdeutsch leise. „Awwor die Bänge, wie se sisch gedrehd ham!“ Er nimmt einen großen Schluck aus seinem Krug, ich tue ihm gleich.

„Jeden Middwoch binsch hier, und jeden Middwoch schlachn sä zu, dä Drehor. Un das wärd immor schlümmor! Am Anfang warns scha bloß die Bänge, awwor schjedse….“

X schaut vorsichtig über die Schulter und senkt die Stimme erneut: „Schjedse drehnse fast alles um! Und du gannst disch droff vorlassn, dasses heide widdor bassiert!“

In erhöhter Alarmbereitschaft

Mein Journalistischer Scharfsinn versetzt mich in Alarmbereitschaft. Meine Kamera hat vollen Akku, der Finger rutscht nervös auf dem Auslöser hin und her. Wir besprechen bei einigen Kräuterlikören und zwei weiteren Bier unser Vorgehen. Ich will wenigstens ein Foto von den Übeltätern erhaschen.

Auf frischer Tat ertappt

Gegen halb zwei Uhr Nachts treten wir auf die Straße und gehen in Richtung Park. Mister X hat noch zwei Weg-Biere in seinem Rucksack und so legten wir uns auf die Lauer. Und tatsächlich, wie vorausgesagt erwischten wir die Täter auf frischer Tat. Eine Bank dreht sich! Wir springen auf, verlassen unser Versteck, um die Missetäter zur Rede zu stellen. Doch niemand ist zu sehen.

Diese Aufnahme stammt aus der ersten Etappe, als die Bänke zu Übungszwecken nur zur Hälfte gedreht wurden.

„Darnanzieche“ keucht Mister X, „die vorgleiden sich Ahmds nadiehrlich“ Er holt zur Beruhigung zwei kleine Wodka aus seiner Tasche. Mein Blick schweift in Rund. Auch mit dem Rest hat mein rätselhafter Informant Recht.

Keine Spur von den Tätern

Die Straßenlaternen wurden ebenfalls gedreht. Ein skrupelloses Vorgehen! Ein Blumentopf, ein Verkehrsschild, – schier alles scheint sich zu drehen. Ich renne von Bank zu Bank, von Laterne zu Laterne… doch ich bekomme nicht einmal einen schattenhaften Umriss der Täter vor die Linse.

„Wie viele sin’n das ey“ tue ich lallend meine Überforderung kund, da wird mir ein Stromkasten, gegen den ich mich zum Durchatmen lehnen wollte, direkt vor der Nase weggedreht. Ich falle klatschend in den Schlamm. Mein Begleiter ist mittlerweile verschwunden. Auch ich bekomme es mit der Angst vor einer solchen Überzahl zu tun. Gegen mindestens 30 Dreher kannst du alleine nichts ausrichten, wird mir klar und ich trete den Rückzug an.

Hohe Handwerkskunst in vollendeter Präzision: Schweißnaht per Schweißbrenner gelöst, Bank um 360 Grad gedreht und sauber wieder angeschweißt.

Endlich daheim, liege ich unzufrieden, aber in vermeintlicher Sicherheit darnieder. Von dem ganzen Gedrehe wurde mir scheinbar schwindlig und so versuche ich zu schlafen. Am nächsten Morgen wache ich gegen 15 Uhr mit Haarwurzelkatharr auf. Von Neugier geplagt packe ich meine Sachen und suche den Park auf. Irgendwelche Spuren muss es ja geben!

Auf den ersten Blick scheint alles normal zu sein. Doch bei genauerem Hinsehen wird selbst dem uneingeweihten Passanten sofort klar: Die Bänke waren allesamt gedreht! Auch die Blumenkübel, Laternen und sogar der Stromkasten, alles war säuberlich demontiert, um 360 Grad gewendet und wieder befestigt worden. Die dabei an den Tag gelegten handwerklichen Leistungen sind so perfekt, dass nicht einmal das geschulte Auge feststellen kann, ob sie im Uhrzeigersinn oder entgegen gedreht wurden. Ein unglaublicher Akt des Vandalismus!

Die um 180 Grad gedrehten Bänke in diesem Jahr waren demnach nur die Übung für diese Komplettausführung der Sauerei! Kaum vorzustellen über welche finanziellen Ressourcen und Mittel das Verbrecher-Syndikat verfügen muss, um Infrastruktur, Sitzmöbel und technische Anlagen unbemerkt und in Windeseile ab- und wieder aufzubauen. Wie bewerkstelligen sie das alles, wie viele sind es wirklich, und vor allem – was wollen sie? Es bleiben viele Fragen offen.

4 Kommentare

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    • Bekannt - das Original auf 7. November 2019 bei 10:57
    • Antworten

    Mir dreht es ja schon beim Lesen in der Rübe … wie muss es da erst dem armen neuen Kollegen ergangen sein.
    Ihr solltet das Jungblut unbedingt unter Eure Fittiche nehmen. Schreiben kann er ja schon wirklich gut! KOMPLIMENT
    Aber ein Trainingslager im Nachtschichten-Keller unter Verabreichung hochgeistiger Getränke solltet ihr dem Mann spendieren. Schließlich habt ihr eine Fürsorgepflicht und könnt ihn nicht so abstinent und nüchtern in das Markranstädter Nachtleben schicken …

    1. Kann sein, dass manchen Damen beim Lesen von Begriffen wie „jung“ oder „Nachwuchs“ die Milch einschießt, aber der junge Mann kann inzwischen auch schon auf einen in 34 Lenzen gereiften Erfahrungsschatz bauen. Ist also eher ws in Richtung „Traumschwiegersohn“, auch wenns mit dem Kochen nicht weit her ist.

  1. Grossartig, ich habe ganz alleine laut gelacht am Frühstückstisch beim lesen 🙂
    Tränen in den Augen 🙂

    Spitzenbeitrag!

    1. Beim nächsten Mal einfach anrufen … dann lachen wir gemeinsam.

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