OpenAir Seebenisch: Trotz Maskenball besser als Wacken 2021

Das war mal eine Hausnummer! Das Seebenischer OpenAir hat in diesem Jahr sogar erstmals seine große Schwester aus Wacken getoppt. Über 1500 Fans waren zur 25. Auflage an die Berggrube gepilgert, um mit KARAT die unangefochtene Nummer eins der noch aktuellen Ostrock-Bands zu feiern. Neben reichlich Stoff für die satirisch geprägte Berichterstattung fielen allerdings auch ein paar melancholische Akkorde des Abschieds ab. Aber der Reihe nach.

Noch am Vorabend verriet ein Blick in die Gesichter der OpenAir-Macher vom Kultur- und Faschingsverein Seebenisch alles andere als optimistische Feierstimmung.

Dauerregen, technische Probleme mit der Bühne, Sorgen bei der Realisierung üppiger Vertragsbedingungen – unter den Sorgenfalten wollte einfach kein vorfreudiges Grinsen entstehen.

Die Bühne, sonst allen Anforderungen zwischen Electra und City gewachsen, erwies sich für die Technik einer Spitzen-Band wie Karat als nicht tragfähig. Also musste kurzfristig die Traversenkonstruktion her, die 2007 schon Manfred Manns Earth-Band zum Beben brachte. Die ist natürlich auch etwas schwerer, was dazu führte, dass der Sattelschlepper auf der Wiese im Schlamm versank.

Handarbeit im Schlamm

Zum Glück war der Weg zu Landwirt Erik Munkelt nicht weit, der mit leistungsfähiger Technik helfen konnte. Das Equipment der Band wurde dann vorsichtshalber gleich auf der Straße abgeladen und von den zu Roadies mutierten KFV-Mitgliedern auf die Bühne geschleppt. Manche Bands haben dafür extra sogenannte Runner im Gefolge. Und immer wieder der sorgenvolle Blick gen Himmel.

Ausverkauft war das Seebenischer OpenAir zwar schon immer, aber noch nie so sehr wie diesmal.

Ausverkauft war das Seebenischer OpenAir zwar schon immer, aber noch nie so sehr wie diesmal.

Speziell für Satiriker gemacht war das Hygienekonzept, das dem KFV von den Behörden auf die Hühneraugen gedrückt wurde.

Maskenball für Behörden

Auf die Wiese kam man nur mit Maske. Hatte man einen Platz vor der Bühne gefunden, durfte sie wieder abgenommen werden, bevor man sie für den Gang zu einem der Bierwagen oder anderen Versorgungsständen wieder anlegen musste, um sie dann beim Verzehr erneut abnehmen zu können, bevor sie wieder aufgesetzt werden musste, um an seinem Platz zurückzugehen, wo sie wieder abgenommen werden konnte.

Erinnerte irgendwie an das Spiel „Schraps hat den Hut verloren“. Wehe dem, der da durcheinander kommt und die Maske beim Biss in die Roster noch im Gesicht hat.

Trockener Gewitterregen

Zum Wetter: Der Himmel klarte dann exakt vier Stunden vor Beginn des Konzerts auf und lockte damit über 1500 erwartungsschwangere Fans aus den Wohnzimmern. Karat-Frontmann Claudius Dreilich beruhigte das begeisterte Publikum dann zusätzlich, indem er versprach, dass „es heute Abend nicht mehr regnen wird.“

Leiser und leiser die Töne, bis das letzte Licht im Gesang verglüht...

Leiser und leiser die Töne, bis das letzte Licht im Gesang verglüht…

Als sich Dreilichs Verheißung wie durch ein Wunder zu erfüllen drohte, wurde er sogar leichtsinnig und kündigte an: „Dann können wir das folgende Lied jetzt trotzdem spielen.“ Daraufhin erklangen die ersten Akkorde des Hits „Gewitterregen“.

Ungegendertes Liedgut

Wie fast bei jedem der Lieder an diesem Abend, stimmte das Publikum sofort ein. Deutschsprachiges Liedgut ist eben immer noch am geeignetsten für gute Stimmung. Allerdings stand das A hier für Albatros und nicht für Alte Kameraden. Und auch dass (noch) nicht eine Albatrössin das Versmaß zerstört hat, ist einfach wohltuend und kommt an.

Was*n Abend an den Klippen der Berggrube. Uns hilft kein Gott, dieses Fest zu erhalten...

Was*n Abend an den Klippen der Berggrube. Uns hilft kein Gott, dieses Fest zu erhalten…

Die grandiose Stimmung färbte auch auf jene Gäste ab, die ob der guten Versorgungslage gar nicht mehr verstanden, worüber da eigentlich so gesungen wurde.

Als Dreilich nach fast zwei Stunden meinte, dass man nun langsam zum Ende käme, lallte ein Wankelmütiger an einem der Bierstände unter seinem Barte hervor: „Ändä Alljändä“. Wenigstens die Hopfenkaltschale schien seine Erwartungen erfüllt zu haben.

Kurz vorm Finale fiel Dreilich plötzlich ein, dass noch ein Lied fehlt. „Alt wie ein Baum?“, fragte er, bevor ihm aufging, dass „das ja von den anderen ist, die es auch schon nicht mehr gibt.“ Also dann doch über die sieben Brücken. Und da kochten die Emotionen endgültig über.

Über sieben Brücken: "Komm in meine Arme, Mutti. Weißt du noch...damals?"

Über sieben Brücken: „Komm in meine Arme, Mutti. Weißt du noch?“

Hunderte Handys kreisten im Takt durch die Luft, alles sang mit, als sei es ein in der POS auswendig gelerntes Volkslied, das es noch einmal zurück in die Erinnerungen geschafft hat. Ehepaare, die schon lange nicht mehr wussten, dass sie überhaupt noch zusammen sind, lagen sich in den Armen und schaukelten sich melancholisch verklärt auch über die letzte der sieben Brücken, als habe man sich gerade kennengelernt.

Ein geiles Event! Leider mit einem offenen Ende. Gut möglich, dass dieses 25. OpenAir auch das letzte war. Sein Geburtshelfer und in 25 Jahren ermüdeter Motor Stephan Schreiber macht Schluss. Ohne den KFV-Motivationskünstler wird’s schwer, die Tradition fortzusetzen, zumal die handvoll anderer Aktiven auch schon auf die Rente zusteuern.

Mit 25 in die Rente

Am OpenAir-Standort Seebenisch war es aber auf alle Fälle die letzte Sause. Der Eigentümer braucht das Grundstück künftig dauerhaft und damit war Karats letzte Zugabe zugleich der Schlussakkord am Ufer der Berggrube. Zwar liebäugelt der KFV schon mit dem brach liegenden Sportplatz in Döhlen, aber selbst wenn das klappen würde, fehlen noch engagierte Nachwuchskräfte.

Die Zukunft des OpenAir liegt irgendwo zwischen „Manchmal schließ ich alle Türen nach mir zu“ und „Manchmal meint man, dass der Glücksstern fällt“.

13 Kommentare

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    • Samoht auf 30. August 2021 bei 21:49
    • Antworten

    Ich denke leider nicht so optimistisch. Es ist schon bezeichnend, wenn zwar das Publikum hier diskutiert, aber keiner vom Verein. Ich denke, das ist ein sicheres Zeichen, dass der Drops bei ihnen gelutscht ist. Trotzdem schade.

      • Dor Säbenischor auf 31. August 2021 bei 11:56
      • Antworten

      Innerhalb des Vereins wird natürlich intensiv diskutiert (und auch nicht erst seit gestern), schließlich schweben die verschiedenen Schwerter des Damokles (Veranstaltungsort, Alter und Anzahl der Mitmacher, …) schon länger im Seebenischer Open-Air-Himmel.
      Aber solange es nicht irgendwas Handfestes gibt, macht es keinen Sinn, ungelegte Eier hier im Forum öffentlich zu einem Omelett zu verrühren. Und wer das Konzertgeschäft ein bißchen kennt, dem ist klar, dass bis zum Jahresende Termin und Vertrag mit einer Band für das Folgejahr stehen müssen. Das setzt natürlich voraus, bis dahin auch einen Veranstaltungsort unter Dach und Fach zu haben.
      So weit, so trocken…

      Wer sich einbringen möchte, um die Zukunft des Open Air Seebenisch zu sichern, ist immer gern gesehen. Einfach kurze Mail an „vorstand@kfv-seebenisch.de“.
      Ein paar ungelutschte Dropse liegen hier noch rum…

    • Tilo Lehmann auf 30. August 2021 bei 20:41
    • Antworten

    Bleibt nur: Danke für Eure Aufopferung! Das- was Ihr in Seebenisch 25 mal geschaffen habt ist einmalig. Kaum Jemand wird es außer Euch wissen was da alles an Kraft, Mut und Verzweiflung dran hängt an so einer oft so monetären Hängepartie! Das ist kein Nachruf- einfach nur Danke! Auch und gerade Euch Hofberichterstattern von den MN.

    • Mike Hienzsch auf 29. August 2021 bei 22:41
    • Antworten

    Ich glaube, auch wenn es schön wäre, in Döhlen gibt es keinen Brachliegenden Sportplatz, sondern einen durch den Ortschaftsrat gut entwickelten Freizeitplatz mit Fußball-kleinfeld, Klettergerüst ,Volleyballfeld und Sitzecke mit Grill

  1. Wollte Stephan nicht schön öfter in den Openairruhestand?

    Rockmusik hält doch. Sieht man an den vielen legendären Bands. Deshalb, liebes Openairteam, macht bitte weiter. Denn wer rastet, der rostet. Ihr seid einfach klasse.

    Einen Wunsch hätte ich noch. Ein Wiese im Ort wäre schöner, als in Döhlen.

    1. Das wäre vor 30 Jahren vielleicht noch möglich gewesen. Heute sind die urbanen Siedlungsräume mit Neobioten aus der Großstadt durchsetzt, die im Kaufpreis ihrer Scholle pünktlich ab 21 Uhr ländliche Stille eingepreist glauben. Selbst quakende Frösche und krähende Hähne sind den Schriftsätzen von deren Advokaten ausgesetzt. Da ist kaum noch eine Unplugged-Session am Lagerfeuer möglich. Es ist der Geist der Zeit, dass man lieber mit Stöpseln in den Ohren durch die Gegend rennt als ein Live-Event zu genießen. Man hats ja auch gestern gesehen: Da wurde mehr gefilmt als zugehört. Man musste sich auf dem Weg zu seinem Platz mit seinem Bier ständig unter den Handy-Linsen wegducken. Einfach mal abschalten, zuhören und genießen … die Zeit ist wahrscheinlich vorbei. Aber vielleicht gibts in den Ellern noch ein Stück unbeackerte Wiese?

      1. Ich gebe die Hoffnung trotzdem nicht auf.

        • Ute Weigand-Münzel auf 29. August 2021 bei 21:16
        • Antworten

        Döhlen wäre mega. Die Volksfestfreunde stünden bereit.
        Toller Artikel, Rainer.

      • Der kleine nachdenker auf 30. August 2021 bei 1:33
      • Antworten

      Sorry Elly aber was gefällt Dir nicht an Döhlen? Bin einer und sehr interessiert an deiner Ablehnung

  2. Ganz bestimmt hilft die total taffe Verwaltungschefin, die so tut als wäre sie mega cool mit soviel hab ich lange nicht mehr gelacht. Tolle Berichtserstattung, wie immer.

    1. Hat sie aber schon, echt jetzt. Aber darauf kommt es nicht so sehr an wie auf die Bereitschaft engagierter Markranstädter, sich aktiv einzubringen und mit zu helfen, dass uns das OpenAir erhalten bleibt.

    • Heike Bergström auf 29. August 2021 bei 18:13
    • Antworten

    Es war ein toller Abend. Karat ist und bleibt unschlagbar. Vielen, vielen Dank an alle Organisatoren, Helfer und deren Familien. Es wäre so schade, wenn das legendäre OpenAir in Seebenisch nun nicht mehr stattfinden würde. Darum hoffen wir alle, dass sich doch noch jemand findet, wer dieses großartige Event weiterführt. Vielleicht hilft die Verwaltungschefin mit?

    1. Schön wärs ja, aber auf der anderen Seite steht die Frage: Wer soll jetzt noch kommen? Seit Charlie Watts vorige Woche gestorben ist, ist es sogar für die Stones zu spät 🙂

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