Patenbrigade reloaded: Oberschule hat jetzt ihre „Wall of Fame“!

Was macht man, wenn an einer Schule Tag der offenen Tür ist und man dazu eingeladen wurde? Klar: Man regelt seine persönlichen Dinge, schreibt noch ein paar letzte Zeilen an Frau und Kinder, zieht sich dann eine kugelsichere Weste über und auf geht’s in die Apokalypse. So zumindest könnte man denken, wenn man sich zuvor eine Reportage des RTL-Bildungsfernsehens über die Zustände an deutschen Schulen reingezogen hat. Aber die waren noch nicht in Markranstädt.

Großer Bahnhof gestern auf dem Markranstädter Campus! Während Oma nach ihrem Motorradsturz im Hühnerstall noch an einem offenen Bein laboriert, gabs in der Parkstraße den Tag der offenen Tür sowohl in der Oberschule als auch im Gymnasium.

Den Alltag in einer deutschen Schule stellt sich der Laie ungefähr so vor: Da hängen lauter übermüdete Gestalten in einem Raum ab. Ungekämmt, in seltsamen Klamotten steckend, wortlos auf die Handys starrend, mit Mundgeruch und null Motivation. Und wenn es dann irgendwann klingelt, müssen sie sich auch noch erheben und das Lehrerzimmer verlassen…

Popcorn statt Schwarzpulver

Wer gestern mit dieser Vorstellung zum Tag der offenen Tür in die Parkstraße kam, muss wohl sowas wie einen Kulturschock erlebt haben. Gute Laune, strahlende Gesichter, aufgeregtes Gewusel in allen Räumen.

Nicht wenige Schüler grüßten sogar oder hielten Gästen die Tür auf. Und statt nach Schwarzpulver duftete es gleich am Eingang nach karamellisiertem Zucker, weil das Knallen nicht aus Schusswaffen, sondern aus dem Popcorn-Automaten kam, der von Schülern bedient wurde.

Old School – es gibt sie noch!

Und was da so alles präsentiert wurde, versetzte so manchen ’89-er Revolutionär in pures Erstaunen. Von wegen Abstiegsplatz in der PISA-Liga. Man muss die Tabelle nur von der richtigen Seite aus betrachten…

Blick auf einen Wandabschnitt, auf dem hauptsächlich Schüler des Abschlussjahrgangs 2019 ihren kreativen Stempel gedrückt und damit nachhaltige Spuren hinterlassen haben. Dar Grat ist schmal bei „AK 19“. Nur ein K mehr, und schon wäre eine politische Botschaft interpretierbar.

Das DDR-Bildungssystem kommt zurück! Langsam freilich und unter anderen Begriffen, aber die ältere Besuchergeneration sieht nach diesem denkwürdigen Freitag der offenen Tür im Geiste schon wieder die drei Buchstaben POS am Gemäuer prangen. Es ist sozusagen die viel zitierte „alte Schule“, die da als föderalistisches Bildungswesen getarnt über unsere Kinder kommt.

Die Messe der Meister von Morgen läuft heute unter der Bezeichnung „Jugend forscht“, der einstige Gruppenratsvorsitzende nennt sich zeitgemäß Klassensprecher und wenn montags die Großen in ihren Stühlen gähnen, versprühen sie damit im reinsten Wortsinn einen Hauch von Fahnenappell.

Auch die Hans-Beimler-Wettkämfe sind unter dem Deckmantel des Geocaching längst in unsere Tage zurückgekehrt. Nur den Tafeldienst braucht man heute nicht mehr. Da reicht ein Touch auf den Lösch-Button.

The Patenbrigade is back!

Einmal auf den Trichter gekommen, dass nicht alles schlecht war in Margots Bildungsrepublik, sind damit auch die Wege für die Rückkehr weiterer Traditionen geebnet. Und da marschiert Markranstädt sogar in der ersten Reihe. Beispiel gefällig? The Patenbrigade is back!

Auch sie freuen sich, dass der Flur ein wahres Schmuckstück geworden ist: Schulleiterin Gabriele Reißmann, Patenbrigadist Michael Föster, Kunstlehrerin Christiane Nestler und Patenbrigadeleiter Holger Freyer (v.l.n.r.) bei der offiziellen Einweihung der Wall of Fame.

Die firmiert im wahren Leben unter Heinrich Schmid GmbH & Co.KG und ist in der Hordisstraße ansässig. Schon im vergangenen Jahr haben die Markranstädter Oberschüler damit begonnen, gemeinsam mit den farbschaffenden Patenbrigadisten die Flure neu zu gestalten.

Keine Motive aus dem Spraywald

Die Anleitung der Profis war dabei nur rein technischer Natur. Die Motive und deren Ausführung waren ausschließlich Sache der Schüler. Auch Kunstlehrerin Christiane Nestler hat sich da nicht eingemischt, stand lediglich beratend zur Seite. Sie betreute das Projekt von der ersten Begehung des Flurs über die Ideenfindung bis hin zur Ausführung.

Jede Klasse hat ein Stück dazu beigetragen, dass der Korridor jetzt ein Unikat ist, dessen Motive es kein zweites Mal gibt. Und obwohl den Teenagern freie Hand bei der Motivgestaltung gewährt wurde, findet man an den Wänden keinerlei Fuck-Parolen oder andere Runen aus dem Markranstädter Spraywald. Sehr sympathisch!

Insgesamt fünf Unterrichtsstunden standen für so ein Fresko durchschnittlich zur Verfügung, zwei waren für die eigentliche Ausführung vorgesehen. Da alle Klassen daran beteiligt waren und jeder Schüler sich auf diese Weise an den Wänden des Flurs verewigen konnte, entstand eine Art „Wall of Fame“ der Oberschule.

Die nächste Etappe ruft

Die Patenbrigade „Heinrich Schmid“ betrat mit dieser pädagogischen Leistung allerdings längst kein Neuland. Bereits vor zwei Jahren hat sie zusammen mit Hortkindern das Treppenhaus der Grundschule auf die gleiche Weise malermäßig ertüchtigt.

Kein Wunder also, dass noch größere Aufgaben ihre Schatten voraus werfen. Das nächste Projekt der Patenbrigade soll im Gymnasium starten. Dort sollen in einem Raum Akustik-Segel unter der Decke angebracht werden. Bevor sich die Gymnasiasten an deren künstlerische Gestaltung machen können, sollen sie aber noch die physikalischen Effekte wissenschaftlich untersuchen.

Die Messe der Meister von Morgen läuft heute unter „Jugend forscht“. Im Physik-Kabinett des Gymnasiums präsentieren Jann und Johannes aus der 10-2 Versuche auf dem Gebiet der Elektrizitätslehre.

Dann wahrscheinlich nicht nur die unterschiedliche Intensität und Ausbreitung des Schalls vor- und nachher. Interessant dürfte beispielsweise auch sein, ob man am Schluss den Lehrer vorn auch noch hören oder dieser umgekehrt das Schnarchen der Hinterbänkler wahrnehmen kann.

Es bleibt also spannend am Campus. Auch wenn das kontraproduktive Konkurrenzdenken zwischen Oberschule und Gymnasium eher zum Lebensinhalt einiger Erwachsener als der Teenager zu zählen scheint, haben die Oberschüler mit ihrer Wall of Fame schon mal eindrucksvolle Maßstäbe gesetzt.

Übrigens: Am Campus in der Parkstraße werden an POS und EOS zusammen rund 1190 Schüler in 50 Klassen unterrichtet. Da sage noch einer, in den Schlafzimmern zwischen Floßgraben und Zschampert würde Langeweile herrschen. Auch die Ehrfurcht vorm Lehrkörper dürfte von der Vorstellung genährt werden, dass so mancher schon mit einem Kinde überfordert ist.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.