Reformationstag: Warum wir den Stillstand feiern

Heute vor 502 Jahren wurde ein Mönch zum Handwerker. Erst nagelte Martin Luther im Kloster eine Novizin, danach 95 Thesen an die Wittenberger Schlosskirche. Angeblich. Warum feiern wir heute noch, was vor einem halben Jahrtausend geschah? MN-Chef Claus Narr hat sich mal mit dem Phänomen befasst und ist auf Erstaunliches gestoßen. Wir nageln das Extrakt symbolisch an unsere Kirchentür, auch wenn das Pamphlet eigentlich nicht dorthin gehört. Aber die Türen am Rathaus gingen jedesmal automatisch auf, wenn wir uns dem Portal genähert haben.

Kaum jemand weiß heute noch, was auf dem Zettel stand, den Luther am 31. Oktober 1517 an die Tür der Wittenberger Schlosskirche getackert hat. Kein Wunder: Die 95 Thesen waren in lateinischer Sprache abgefasst.

Das war übrigens auch einer der Gründe, die Luther zu dieser Tat veranlassten. Die katholischen Pfaffen predigten in einer Sprache, die der deutsche Michel nicht verstand.

Trotzdem wurde erwartet, dass er zustimmend nickt zu all dem „lorem ipsum dolor sit amet“, das die Geistlichen von der Kanzel runtergerattert haben. Wer das Nicken vergaß oder das Geseier falsch interpretiert hat, wurde angezündet.

Lorem ipsum dolor sit amet

Im Grunde genommen ist das vergleichbar mit einer Stadtratssitzung in heutigen Tagen. Wenn der Prediger an der Stirnseite was von „Querungshilfen“ erzählt und damit einen Fußgängerüberweg meint oder uns das Fällen eines Baumes mit der „substitutionsfreien Liquidation raumübergreifenden Großgrüns“ schmackhaft machen will, ist das nichts anderes als eine moderne Form spätmittelalterlicher Inquisitionsvorbereitung.

Auch sonst sind die Parallelen frappierend und schreien geradezu nach einem neuen Martin Luther des 21. Jahrhunderts.

Das Spiel mit dem Fegefeuer

Zum Beispiel bei der stetigen Angstmache. Früher wars die Drohung mit dem Fegefeuer, die ganze Nationen zu willfährigen Schäfchen machte. Eine Strategie, die später von Versicherungsvertretern aufgenommen und ins heutige Zeitalter hinübergerettet wurde.

Beim Policenverkauf mit dem Katastrophenpunkt sitzt der Vertreter im Wohnzimmer, klickt ungeduldig mit dem Kugelschreiber und fragt: „Haben sie schon mal darüber nachgedacht, was passiert, wenn sie bei einem Unfall plötzlich ein Bein verlieren?“ Schon wird unterschrieben. Diese Strategie hat sich heute die Politik zu eigen gemacht.

„Wenn wir so weitermachen, dann …“ heißt es und damit sind sämtliche Wege geebnet, dass alles so bleiben kann. Der Deutsche trennt artig seinen Müll, ernährt sich vegan und achtet auf die gentrifizierte Unantastbarkeit seiner neuen Sprache.

Wer nicht spurt … nein, der wird nicht angezündet. Er ist Nazi, Umweltsünder oder Sexist. Aber er kann, wenn er das Geld dazu hat, sich davon freikaufen!

Tu Buße und Du tust Gutes

Auch das hat Luther vor 502 Jahren angeprangert, nachzulesen in seiner 58. These. Der Ablasshandel ist die noch heute erfolgreichste Form rückwirkender Wiedergutmachung, die es je gab.

Von nichtgewaschenen Füßen à 3 Kreuzer bis hin zum Beischlaf mit der eigenen Mutter zu 300 Talern war alles gut genug, um zur Finanzierung von sakralen Prachtbauten herangezogen zu werden.

Politpfaffen pflegen Ablasshandel

Im Umkehrschluss heißt das: Ohne Morde, Vergewaltigungen oder andere Untaten würde in Rom heute statt des Petersdoms eine ärmliche Fischerkate stehen.

Aber es hat funktioniert und deshalb feiern wir den Reformationstag heute noch – weil das mit der Reformation nämlich nicht geklappt hat. Es geht munter weiter mit dem Ablasshandel.

Zahle und Dir wird vergeben

Zum Beispiel beim gefährlichen Kohlendioxid, dem Luzifer des 21. Jahrhunderts, der die gesamte Menschheit bedroht. Welch glückliche Fügung, die es zu erhalten gilt. Man stellt den Ausstoß nicht unter Strafe oder verbietet ihn, sondern legalisiert ihn gegen Zahlung einer Ablassgebühr. Die CO2-Steuer kommt!

Das funktioniert in allen gesellschaftlichen Bereichen. Wozu Massentierhaltung abschaffen, wenn sich damit Geld verdienen lässt? Also dann: Fleischsteuer rauf für Produkte aus Tierkonzentrationslagern! Nur nicht verbieten, damit dreht man sich den Geldhahn selber ab.

Die Reinigung des Gewissens

Wer ein Auto fährt, bei dem der Feinstaub nach dem Kaltstart in Briketts aus dem Auspuff fällt, kann zumindest sein Gewissen per Ablasszahlung an den Staat reinigen. Dafür werden dann Flughäfen gebaut, die nie fertig werden oder Diäten erhöht.

Lediglich in Bezug auf die freie Meinungsäußerung – vor allem in sozialen Netzwerken – geht man mit dem erfolgreichen Ablass-System ziemlich fahrlässig um.

Im Gegensatz zu Klimawandel, Kohlendioxid & Co., welche den Fortbestand der gesamten Menschheit gefährden und die dennoch geduldet werden, gehen die Mächtigen unserer Tage hier ungewohnt unkreativ zu Werke.

Hasskommentare und ähnlich unverständliches Zeugs sollen verboten, vernichtet und hart geahndet werden. Das kann nur daran liegen, dass die mittelalterlich geprägte Nomenklatura in Berlin vor lauter Schreck die sich aus dem Neuland Internet ergebenden Möglichkeiten noch nicht erkannt hat.

Kein Umsatz mit dem Internet?

Wenn man sich aus globalen Bedrohungen wie dem Klimawandel freikaufen kann, dann doch wohl erst recht für solche Kleinigkeiten wie nicht gesellschaftskonforme Äußerungen?

So ein Ablass-Katalog für ungeliebte Zitate kann doch nicht schwer zu erstellen sein. Für „Deutschland erwache“ sagen wir mal 10 Euro pro Facebookeintrag oder für „Ausländer raus“ 25 Euronen.

Alles eine Frage des Preises

Wer genug Geld hat und sich den Spaß leisten will, kann dann auch mal Luthers Judensau viral gehen lassen. Glaubt man den Umfrageergebnissen zum angeblichen Aufblühen des Antisemitismus in Deutschland, kämen da bestimmt ganz schnell ein paar Millionen für den Bau neuer Synagogen zusammen.

Aber irgendwie trauen sie sich da noch nicht so richtig ran, die politischen Pfaffen unserer Neuzeit. Ausgerechnet hier versuchen sie es mit Verboten und verschwenden keinen Gedanken daran, damit Geld zu verdienen.

Zeit für neue Reformation

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht ist es nur ein erster, mutiger Schritt hin zu einer neuen Reformation? Der Beginn eines Zeitalters, in dem Untaten verboten und unter Strafe gestellt werden, statt sich deren Fortbestand durch die Täter weiter finanzieren zu lassen?

Die Zeit ist zumindest da für solche Strategien. Es bräuchte jetzt noch einen Martin Luther, der den Funken rechtzeitig zum Glühen bringt, bevor Europa wieder in einem Glaubenskrieg versinkt. Die Schlacht bei Lützen, vor den Toren Markranstädts, sollte an einem Tag wie heute Mahnung sein.

 

11 Kommentare

Zum Kommentar-Formular springen

    • Minium auf 16. November 2019 bei 18:08
    • Antworten

    Sehr guter Beitrag! Einen „Luther 2.0“ wünsche ich mir auch, vor allem auch für die evangelische Kirche. Wobei in Markranstädt von der Kanzel noch das Wort Gottes klar und deutlich verkündigt wird – Gott sei Dank! Aber der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopfe her. Was EKD-Chef Bedford-Strohm und seine „rot-grünen Genossen“ so von sich geben, ist Blasphemie in Reinkultur!
    Einen Führer 2.0 a la „Volksgenosse Schicklgruber“ will ich aber auf gar keinen Fall!
    Ich wünsche mir einen Kanzler wie Helmut Schmidt. Er hat selbst unter schwersten Gewissensnöten erfolgreich der RAF getrotzt und nicht dem neobolschewistischen Terror klein bei gegeben hat. Auch mit den „weichgespülten RAF-Epigonen“ – den Grünen – wußte er richtig umzugehen. Als die Grünen von Visionen redeten, entgenete er Ihnen (sinngemäß): „Da kann ich Ihnen auch nicht helfen. Ich empfehle Ihnen diesbezüglich einen Arzt aufzusuchen. Ehre seinem Andenken!

    1. Na ja … nicht gleich von der Kanzel. Die Zeiten sind Dank Luther 1.0 (das Original) zum Glück vorbei. Aber ansonsten kann ganz Markranstädt (auch die Atheisten) heilfroh sein, so einen Pfarrer zu haben. Hoffentlich hat er in seiner Kindheit nicht irgendwann mal was ins Poesie-Album einer Klassenkameradin geschrieben, wofür er heute gerentzingt werden könnte.

      Aber was Helmut Schmidt angeht, das war ja ein Erzkatholik vorm Herrn! Jedesmal wenn der sein Wohnzimmerfenster geöffnet hat, riefen die wartenden Journalisten „habemus papam“!

        • Minium auf 17. November 2019 bei 19:31
        • Antworten

        Falsch!!! Helmut Schmidt war Protestant!

        1. Richtig! Und wir sind Satiriker 🙂

    • Wiki1302 auf 1. November 2019 bei 22:01
    • Antworten

    Also Leute, das ist wieder ein sehr guter Artikel! Bin richtig begeistert von den Brücken von 1517 zur heutigen Zeit. Wie sich das doch alles gleicht! Es heißt nur heute anders. Sehr interessant!
    Allerdings sehe ich in der heutigen Zeit auch Ähnlichkeiten mit den 1920er Jahren. Wenn man so sieht und hört, wie sich im Bundestag verbal auf die Fr…e gekloppt wird, sehe ich Parallelen zum Reichstag der 20er Jahre. Und diese 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts dauerten nur 10 Jahre und was danach kam wissen wir ja alle. Sofern nicht die kognitive Suboptimierung noch nicht ausladend fortgeschritten ist.
    Beide Punkte stimmen mich allerdings nachdenklich.
    Ein Reformator wird notwendig. Nur ist mir noch nicht klar ob der Reformator ein Luther 2.0 wird oder ein Führer 2.0 wird. Hoffen tue ich auf eine friedliche Reformation, aber die hatten wir ja schon. Und mit fast 30 Jahren Abstand betrachtet ist die, jedenfalls für uns im „Osten“, schief gegangen.
    Unsere derzeitigen Politiker kommen mir vor wie schlechte Ärzte. Sie behandeln Symptome aber nicht die Ursachen. Und wenn man mit seinem Arzt nicht mehr zufrieden ist, wechselt man ihn.
    In Thüringen ist ein Arztwechsel schon zu erkennen. In Sachsen und Brandenburg auch. Nach den Wahlen.
    Aber wenn Wahlen was ändern, würden wären sie verboten, soll mal ein kluge Kopf namens Kurt Tucholsky gesagt haben.
    Es bleibt spannend.

    1. Welchen Tucholski meinst Du? Den Sohn vom Fußballtrainer Tuchel oder diesen Maler, von dem alle reden? Oder doch den, der mal gesagt hat, dass Satire alles darf?

    • Ulrich NASER auf 1. November 2019 bei 18:37
    • Antworten

    Der Film „Zwingli – Der Reformator,“ er läuft zur Zeit in den Passage – Kinos in Leipzig, ist beeindruckend und soll all jenen empfohlen werden, die nicht nur manchmal nachdenken, ob sie am Althergebrachten festhalten, oder sich für’s Verändern und neu gestalten einsetzen wollen. Auch gibt es sicher ausreichend Stoff für witzige künstlerische Darstellung menschlicher Schwächen von Markranstädtern, denke ich.

    1. Genau! Wir fahren deshalb nicht nach Leipzig in die Kinos, sondern beantworten die reformatorischen Fragen hier vor Ort! Vielleicht läuft der Streifen ja mal im Filmriss?

    • Bernd Hollwitz auf 1. November 2019 bei 9:40
    • Antworten

    Meine Damen und Herren, das sind ja richtige Denkanstöße,
    aber ihr habt Recht: Es gibt ihn immer noch, den Ablasshandel!

    Interessanter Artikel.

    Zum Thema Hasskommentare: Einfach mal ausmachen, das elektronische Spielzeug. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. FERTIG.

    1. Sehr gute Idee, die auch wir hier zunehmend zelebrieren. Aber ist das Ablassen von sozialen Netzwerken nicht auch ein Ablasshandel?

    • Paule auf 31. Oktober 2019 bei 18:47
    • Antworten

    Luther war der beste Satiriker vor dem Herrn,
    ich schwör‘! Der Zeit weit voraus, lest den Stoff mal wieder, Du lachst ab!
    Zum Beispiel genial: Strafen dürfen nicht für die Zeit nach dem Tod ausgesprochen werden.
    Dafür gibts glatt 2x Lebenslänglich.
    Und solche Kracher stehen hat der hintereinander gereiht! Kannste glatt ausdrucken und in Brüssel ans Atomium kleben.

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.