S-Bahn kommt: Ringelpiez mit Anfassen auf Markranstädter Gleisbett

Wenn das in diesem unserem Lande so weitergeht, sind die Tage der Markranstädter Nachtschichten bald gezählt. Der im Alltag präsentierten Realsatire gibt es kaum noch was entgegenzusetzen. Als Bühne für den jüngsten Lacher mussten jetzt sogar die Markranstädter Gleise herhalten. Die Bahnbetreiber als Humoristen: Gegen diese Form kultureller Aneignung kann man nichts mehr machen. Außer vielleicht, sich auf die Schenkel zu klopfen und kräftig mitzulachen.

Zum Einstieg ein kurzer Blick in die Genesis: Im April 2019 wurde mit feierlichen Tönen angekündigt, dass Markranstädt anno 2022 an das S-Bahn-Netz angeschlossen wird.

Seither wird der Startschuss mit geradezu kalendarischer Präzision von Jahr zu Jahr in die Zukunft verschoben. Zuletzt musste der Ukraine-Krieg dafür herhalten, dass es auch 2025 nichts wird. Wahrscheinlich haben die Russen im Donbas die unterirdischen Fahrgstell-Lagerstätten für die erforderlichen Waggons besetzt.

Da kam am Montag die Nachricht vom jetzt aber endgültig wirklich wahren Start des S-Bahn-Betriebes in Markranstädt ab Dezember 2026 (klingt phonetisch besser als als das noch wahrere „Anfang 2027“) fast schon überraschend. Dass die S 6, wie die Verbindung genannt wird, nur stündlich verkehren soll, schränkte die Freude darüber erstmal nicht ein.

Bahnwalzer im Einstundentakt

Denn es gibt ja immerhin noch die Regionalbahn der Abellio, die ebenfalls stündlich verkehrt und mit der man genauso schnell am Leipziger Hauptbahnhof ist. Wenn man die Fahrzeiten beider Linien geschickt taktet, fährt also alle halbe Stunde ein Zug in die weite Welt und Markranstädt wird zur transeuropäischen Verkehrsdrehscheibe.

So viel zur Logik, mit der man aber in Deutschland bekanntlich nicht weit kommt. Denn noch während die Profiteure dieser Lösung an freudesprudelnden Pressemeldungen häkelten, gab Abellio bekannt, dass man mit dem Start der S 6 sein Regionalbahn-Engagement in Markranstädt einstellen werde.

Heißt also konkret: Mit Ausnahme der Beschriftung an den Waggons ändert sich für Markranstädter Fahrgäste gar nichts. Okay, das überrascht nicht wirklich in einem Lande, in dem es auch sonst nur noch um Etiketten und Symbole geht. Bunte Binden im Sport, Schänderung der Sprache oder die Umbenennung einer Bahnverbindung – bestenfalls viel Geld für neue Schläuche, durch die dann doch nur alter Wein fließt.

Wenigstens Sekt und Häppchen

Apropos Geld: Landrat Graichen rechtfertigte das schon beim ersten S-Bahn-Anlauf 2019 mit den Worten: „Nur über schnelle und komfortable Verbindungen gelingt der Umstieg vom Auto auf die Bahn. Investitionen in den Schienenverkehr zahlen sich auf vielen Ebenen aus.“ Die Ebene der Fahrgäste auf dem Bahnsteig kann er damit zumindest nicht gemeint haben.

Die Taktzeiten von einer Stunde zwischen zwei S-Bahnen sind wichtig, damit zwischendurch auch verspätete Züge in Markranstädt halten können. Erst kürzlich fuhr hier der seit 1951 als verschollen gemeldete D 4711 mit Urlaubern aus dem Spreewald ein..

Die Taktzeiten von einer Stunde zwischen zwei S-Bahnen sind wichtig, damit zwischendurch auch verspätete Züge in Markranstädt halten können. Erst kürzlich fuhr hier der seit 1951 als verschollen gemeldete D 4711 mit Urlaubern aus dem Spreewald ein.

Mit dem Anschluss Markranstädts an das S-Bahn-Netz verhält es sich wohl eher so wie mit dem Sondervermögen des Kanzlers: ein faustdicker Etikettenschwindel. Aber wenigstens droht damit bei der Jungfernfahrt der S-Bahn im Dezember 2026 wieder eine feierliche Einweihung mit reichlich Raum für Selbstdarstellungen bei Sekt und Häppchen.

So werden die sich auf vielen Ebenen auszahlenden Investitionen in den Schienenverkehr wenigstens auch fürs gemeine Volk sichtbar.

Aber die eigentliche Pointe kommt erst noch. Auf der Suche nach zumindest einem positiven Aspekt dieser „Alles bleibt anders“-Aktion sind die Strategen des Schienenstrangs auf eine Regionalverbindung mit der Bezeichnung RE 15 gestoßen. Die soll alle zwei Stunden zwischen Leipzig und Saalfeld verkehren und dabei auch in Markranstädt die Bremsen quietschen lassen. Das könnte insofern etwas Entlastung bringen, als damit innerhalb von zwei Stunden aus zwei Bahnverbindungen dann drei würden.

Fahren im Windschatten

Sie erinnern sich an die Sache mit der Logik? Genau! Wie aus satirenahen Kreisen der Fahrplaner jetzt durchgesickert ist, würde der RE 15 nach aktueller Lage der Dinge gute 5 Minuten nach Abfahrt der S-Bahn in Markranstädt einrollen. Sowas kann man sich gar nicht ausdenken – das ist kulturelle Aneignung satirischer Stereotype in Reinkultur!

Oder vielleicht doch Logik? Wenn man die üblichen Verspätungen der Züge zugrundelegt und mit der Ankunft des RE 15 eine halbe Stunde später disponiert, stimmt’s dann wieder mit den Taktfrequenzen. Und falls der RE 15 wider Erwarten doch pünktlich ist, weil er im Windschatten der S-Bahn gut vorankommt, hätten dann wenigstens auch Menschen mit Behinderungen die Chance auf eine Mitfahrgelegenheit. Fünf zusätzliche Minuten sollten reichen, um mit dem Rollstuhl über die Treppenstufen den Bahnsteig zu erklimmen.

14 Kommentare

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    • Tilo Lehmann auf 25. Oktober 2023 bei 13:28
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    Nur mal ein Denkanstoß in vergangene Jahre zurück: Wer wollte den Bahnübergang in der Nordstraße schließen? Antwort: DB. Wer hat 90% Fördermittel kassiert? Antwort: DB. Wer hat der Tunnelquerung mit behindertengerechtem Aufzug nur und ausdrücklich mit 500T€ Betriebskosten durch die Stadt Markranstädt zugestimmt? Antwort: DB. Wer hat hier seine Hausaufgaben verantwortlich mit Steuergeld umzugehen NICHT gemacht, hat sich einlullen lassen? Antwort: NICHT DB, (den Rest der Antwort wisst Ihr Alle)! Bahnnetzeigner DB: Lasse nur 10% Eigenkosten und 500T€ von der Kommune sprudeln und mache Etikettenschwindel für die Zukunft- da braucht’s auch keine pünktlich zuverlässigen Züge mehr… Geld ist schon gerafft!!! Autos sind von der Straße und Alle bleiben im Kaff!

    1. Sie haben den P+R-Parkplatz mit den begehbaren Fahrradtresoren vergessen. Hier drängt sich das Gleichnis mit dem Mann ohne Führerschein auf, der sich eine Garage baut.

    • Doppelrömer auf 25. Oktober 2023 bei 13:08
    • Antworten

    Als optimistischer Pessimist ist da ja doch noch ein evtl. Gewinn: War da nicht was mit S-Bahn Anbindung an Weißenfels? So im Irgendwann wenn keiner mehr Autos wegen Punkten in Flensburg hat. Und weil das Vertrauen in die „Ankündiger“ von Bahn und Politik schafsherdengerecht im vorauseilendem Gehorsam bestraft wurde? Naja- Abellio fährt mit rappelvollen Zügen z. Zt. – auf dem Netzt der DB! Geht ja gar nicht- die Sahne soll bei der DB abgeschöpft werden! Irgendwann…

    1. Die Bahner müssen doch auch von irgendwas leben. Wenn man als Entschuldigung an vespätete Reisende ständig Hörbücher, Sitzkissen oder Rezepte für vegane Fleischgerichte verschenkt, wird’s halt mal knapp in der Kasse.

    • Samoht auf 25. Oktober 2023 bei 9:22
    • Antworten

    Lustig: Ich hatte die gleichen Gedanken wie Lutz. Mit der S-Bahn wird es wohl so werden wie mit der Umgehungsstraße. In 30 Jahren wird sich ein Stadtrat erinnern, dass man schon mal darüber sprach. Aber da wird Markranstädt nach Lage der Dinge schon zu Leipzig gehören – im Augenblick scheint ja alles darauf hinauszulaufen.

    1. 30 Jahre Verspätung sind bei der Bahn keine Verspätung. Aber einen Versuch ist es wert: Beschweren Sie sich im Frühjahr 2063 mal am Info-Schalter im Hauptbahnhof, vielleicht gibt’s ein kostenloses Hörbuch. Wir empfehlen „Thomas, die kleine Lokomotive“.

    • simsalabim auf 25. Oktober 2023 bei 8:01
    • Antworten

    Eine S-Bahn die einen Wagen mehr hinter sich her schleift ist doch wünschenswert. Jede zweite Stunde kann dann das 5 minütige Zeitfenster genutzt werden um alle Menschen, Fahrräder, Kinderwägen und Rollstühle in die SB zu stopfen, die sonst auf dem Bahnsteig zurückbleiben, wenn sie es überhaupt bis dahin geschafft haben. Bei der zu erwartenden Resonanz und maximalen Auslastung kann dann der RE Anschubhilfe leisten. So hat der Homo markransis zu Ferienzeiten und trotz Deutschlandticket die Chance aus seinem Kleinod zu fliehen und in die „große“ Stadt zu reisen.

    1. Mit dieser klug entwickelten Argumentationskette sollten Sie sich als Pressesprecher bei der Bahn bewerben. Die Verspätung als alternative Pünktlichkeit …

  1. Wir haben jetzt 2023 und bis 2026 läuft noch viel Wasser die Elbe herunter. Wer weiß, was bis dahin noch alles passiert (vielleicht ist dann die Sarah schon Bundeskanzlerin?). Aber auch sonst glaube ich nicht, dass 5 Minuten reichen, um mit dem Rollstuhl über die Treppenstufen den Bahnsteig zu erreichen. Aber war da nicht mal was mit einem Aufzug???

      • Xt'Tapalatakettle auf 25. Oktober 2023 bei 10:52
      • Antworten

      So selten, wie da weiterhin ein Personenzug fährt, brauchen wir doch gar keinen Fahrstuhl mehr. Ist ja genug Zeit zwischen den einzelnen Fahrten, um den Bahnsteig rechtzeitig zu erreichen.
      Vielleicht haben wir bis dahin auch endlich Flugtaxis und andere wundervolle Fortbewegungsmittel und brauchen so etwas wie Schienen auch überhaupt nicht mehr.

      1. Da gab es schon vor 60 Jahren erste Entwürfe. Jugendweihlinge der DDR fanden sie im Buch „Weltall, Erde, Mensch“. Die Flugtaxis erwiesen sich für unsere heutige Gesellschaftsform allerdings als zu schnell. Mit denen konnte man überholen ohne einzuholen. Dann doch lieber die gute alte Dampflok.

      • Pessemistischer Optimist auf 25. Oktober 2023 bei 11:06
      • Antworten

      Achja Aufzug. Führungspersonen der DB verkauften die Verbesserung der Anbindung mit der ZUSÄTZLICHEN S-Bahn und erhielten damit die Zusage der Übernahme der Betriebskosten für den Aufzug durch die Stadt, knapp 500 T€. Die Investition des DB wird zu 90 % gefördert. Bei diesem Deal sind die Markranster voll der Verlierer. Ob wir trotzdem die halbe Million der Bahn in den Rachen werfen? Nächste Woche beschliesst der SR über den Haushalt, ob die jährliche Zahlung aufgenommen ist? Die BM, ein Kind des Zweckverbandes Nahverkehr Leipzig, will sich jetzt, also hinterher, mit DB und ZVNL austauschen. Die Messen sind gesungen, so wie der Konsum in Grosslehna geschlossen ist, der Vertrag mit der GU und dem Zweckverband Naherholung Kulkwitzer See verlängert wurden. Vorher am Ball sein, die Schlüsselthemen engmaschig verfolgen und Stadtgestalten, offenbar Fremdworte

      1. Wenn wir Geld hätten, müssten wir das jetzt ausgeben, um Ihnen einen Preis für den besten Kommentar des Jahrzehnts zu beschaffen. Respekt!

    1. Aufzug? Das verwechseln Sie wahrscheinlich mit Umzug. Zum Kinderfest. Der ist Dank Gema und Straßensperrgebühren inzwischen auch schon so teuer wie ein Lift zum Bahnsteig.

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