Sprengstoffanschlag auf dem Bahnhof

In den gestrigen Morgenstunden wurde in Markranstädt ein Sprengstoffanschlag verübt. So zumindest lautet das in die Öffentlichkeit kolportierte Vokabular, das für einen explodierten Fahrkartenschalter vielleicht etwas zu spektakulär ist.

Ein Bekennerschreiben liegt noch nicht vor, deshalb kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Islamische Staat (IS) dahinter steckt. Vielleicht aber handelt es sich auch nur um die Tat eines überforderten Mitglieds der „Generation 50plus“? Verständlich wärs.

Am Montag früh um 3:35 Uhr wurde nach Polizeiangaben auf dem Markranstädter Bahnhof ein Fahrkartenautomat zerstört. In der Meldung hieß es: „Auch hier könnte, wie in ähnlichen Fällen in Leipzig, Gas eingeleitet worden sein.“ Tränen der Rührung kommen dem Leser dann spätestens in Anbetracht der Sorge um Gesundheit und Wohlergehen der Täter. So ist zu lesen: „Diese Art der Sprengung ist auch für die Täter sehr gefährlich, da sich die Zündung des Gases kaum kontrollieren lässt.“

Nicht immer muss unbedingt blinde Zerstörungswut hinter einer solchen Tat stecken. Manchmal könnte man auch nur Verständnis für eine besondere Ausdrucksform tiefer Frustration haben, weil man selbst nicht in der Lage ist, der komplizierten Gedankenwelt eines solchen Automaten zu folgen. Der soll ja angeblich dazu da sein, das Leben zu vereinfachen. Aber der letzte Automat, der diese Zielstellung erfüllte, stammte aus dem Jahr 1951 und wurde 1990 im Klo der Leipziger Kongresshalle abgebaut, weil der gegen Westgeld keine Kondome mehr ausspuckte.

Die Zeiten, da man auf jedem Provinzbahnhof eine Schalterangestellte belöffeln konnte, sind längst vorbei. Dafür hängen jetzt Automaten herum und wie sich das gehört, versteht man bei der Auseinandersetzung mit diesem Gerät auch wirklich nur Bahnhof. Aber weil das effizient ist und Kosten spart, will man von diesem Schritt in die Zukunft nicht zurücktreten.

Schon bietet die Deutsche Bahn für die „Generation 50 plus“ (ja, so werden alte Menschen heute political correct bezeichnet) Lehrgänge an, damit die vom demografischen Wandel gezeichnete Gesellschaft den Umgang mit den lebenserleichternden Automaten lernen kann.

Tarifstreit am Automaten

Bei dem Irrsinn an Tarifen und Tarifbezeichnungen fehlt eigentlich nur noch, dass sich der Fahrgast auch den Anbieter für den Fahrleitungsstrom aussuchen muss. „Super-Flat-Gruppentarif für Einzelreisende ohne Begleitperson in Tarifgruppe IV des Nahverkehrsverbundes Mitteldeutschland mit Stromtarif ÖkoPlus der Stadtwerke Wiesbaden“ könnte es dann heißen.

Bevor man das allerdings ordnungsgemäß eingegeben hat, ist der Zug bereits abgefahren. Da kann es schon mal passieren, dass man von Zorn getrieben gegen die Maschine schlägt und die sich explosionsartig auf dem Bahnsteig verteilt.

Wesentlich einfacher hat man es da, wenn man gar nicht erst mitfahren kann. In folgendem Video hat der Lokführer – aus Richtung Markranstädt kommend – das Anhalten am Weißenfelser Bahnhof gleich mal abgehakt.

Möglicherweise hat er schon bei der Einfahrt erkannt, dass die Passagiere noch mit dem Automaten beschäftigt waren und mangels gültigem Fahrschein nicht zusteigen durften. Nicht auszuschließen, dass er aus lauter diebischer Freude dann erst recht aufs Gaspedal trat. Denn wer das Umfeld des Weißenfelser Bahnhofs kennt (das ist prädestiniert als Drehort für Filme über die Schlacht von Stalingrad), der weiß, dass man da besser im Schritttempo durchfährt, damit die Ruinen vom Fahrtwind nicht zum Einsturz gebracht werden.

Der eigentliche Brüller kommt aber erst nach der Durchfahrt. Legen Sie dazu bitte eine Packung Tempo-Taschentücher bereit und achten Sie dann auf die Durchsage der Stadionsprecherin. Sie geht offenbar davon aus, dass es einigen Fahrgästen gelungen sein könnte, rechtzeitig abzuspringen.

 

6 Kommentare

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    • Burkhard Schmidt auf 6. Januar 2015 bei 10:36
    • Antworten

    Hallo !
    auch Satiere sollte Gewalt nicht verharmlosen und diese als Frustration über Pleiten, Pech und Pannen in Zusammenhang bringen, die in keinerlei Beziehung mit dieser kriminellen Tat stehen.
    Egal wo, ob Brandstiftung oder Automatenexplosion: Kriminell ist KRIMINELL!
    Da gibt es kein Verständnis und auch keine Frustationsausrede.

    Übrigens:
    Ich bin „Generation 50 plus 20“ und habe den Fahrkartenautomaten stets ohne Probleme bedient. Natürlich gibt es auch Leute,sogar unter 50 Jahre, die denkfaul und zu ungeduldig für ein positives Ergebnis sind. Na,ja, so ist das Leben, es ist nicht alles idiotensicher! Nun haben wir keinen Fahrkartenautomaten mehr und sicherlich geschieht bald eine neue „Frustrations-Tat“ …………………………….
    Viele Grüße

    Burkhard Schmidt
    und zu ungeduldig sind.

    1. Ihre Ansicht ist korrekt. Doch ebenso wie man es nicht verharmlosen sollte, ist es wohl nicht angebracht, es zu übertreiben und eine Terroraktion daraus zu machen. Die von Polizei und Presse verwendete Terminologie „Sprengstoffanschlag“ ist doch wohl wirklich fragwürdig. Wir haben gestern in der Tat darüber diskutiert, ob der Bogen von der Zerstörung des Automaten bis zu dessen eigentlichem Sinn gespannt werden kann. Die Entscheidung wurde erleichtert durch die Tatsache, dass in Sachen Kriminalitätsentwicklung in Markranstädt ein Status erreicht ist, an dem man beim besten Willen nichts mehr verharmlosen kann. Die Lage hier ist prekär. Und die Stimmung in der Bevölkerung wird auch dadurch nicht entspannt, wenn Polizeistreifen im Stundentakt durch die Dörfer fahren und deren Einwohner (scheinbar aus Langeweile) zum Alkoholtest anhalten, während längst überführte Täter nebenan wieder auf freiem Fuß sind.

      Ja, die Verfasserin des Beitrages ist Vertreterin der Generation „40 plus 6“ und ihr gelang es Anfang Dezember trotz blühender Jugend nicht, mit der Straßenbahn auf legalem Wege von Grünau zum Hauptbahnhof zu fahren. Allein der Versuch herauszufinden, wo es Fahrscheine gibt, endete in einem Fiasko. Im Straßenbahnwagen angekommen, brauchte sie drei Stationen um herauszufinden, in welcher Tarifzone sie sich bewegt, wieviele Haltestellen es bis zum Ziel sind und was sie dafür zu zahlen hat. Wenn in der Zwischenzeit eine Kontrolle gekommen wäre… Nun ja, das sind sicher lediglich marginale Probleme, die nur Autofahrer haben, die einmal in 20 Jahren auf den ÖPNV umsteigen, aber auch das sind in diesem Falle Kunden.

      Eine Frage noch: Dass Sie in der Lage sind, eine Bahnkarte für beispielsweise eine Reise nach Berlin zu lösen, steht außer Frage. Aber sind Sie sich sicher, dass Sie da auch immer den günstigsten bzw. besten Tarif wählen? Den wissen oftmals nicht einmal die Schalterangestellten im Hauptbahnhof. Auch da haben wir hier einschlägige Erfahrungen. Eine Fahrkartenverkäuferin bot einer Bekannten jüngst das günstigste IC-Ticket für eine Fahrt von Leipzig nach Köln für 24 Euro über dem wirklich günstigsten Tarif an. Das Video oben im Beitrag (NDR) macht sicher deutlich, dass eine Mehrheit der Bevölkerung große Probleme mit dem Tarifdschungel hat.

        • Burkhard Schmidt auf 6. Januar 2015 bei 17:20
        • Antworten

        Vielen Dank für die Antwort.
        Es ist nur schade, dass die latente kriminelle Energie einiger Mitmenschen nicht so wichtig ist, wie die individuellen Probleme bei der Beschaffung einer Fahrkarte.
        Trotzdem: Kriminell ist KRIMINELL, mit oder ohne Fahrkarte!
        Nun zu Ihrer Frage:
        Normalerweise bereitet man sich auf eine Fahrt vor und kauft dazu z.B. in Markranstädt für den ÖPNV ein Ticket u.a. im Zeitungsladen Marktarkaden oder man nutzt die Automaten direkt in der Bahn usw.
        Für größere Fahrten, Ausflüge, Reisen etc. gibt es ein System, welches Internet genannt wird und siehe da, man erfährt alle Sparangebote und man kann dort sogar Tickets kaufen! wer hätte dies gedacht? Übrgens,es gibt in Lallendorf auch Reisebüros.
        Aber nun meine Frage.
        Was ist Ihnen wichtiger.. aufregen über kriminelle Taten oder ein Protest gegen Fahrkartenbeschaffungsschwierigkeiten?

        Also dann immer gute Fahrt und viele Grüße!

        1. Super-Antwort, Herr Schmidt. Zwar haben selbst die Mitglieder des Stadtrates zu bedenken gegeben, dass man das Vorhandensein von Internet und eMail nicht voraussetzen könne und schlussendlich müssen die Senioren-Lehrgänge der Deutschen Bahn zum Umgang mit den Fahrkarten-Automaten auch ihre Gründe haben, aber Ihre Argumentation ist so brillant formuliert, dass wir sie allein schon deshalb vollumfänglich gelten lassen. Mit Ausnahme des Vorwurfs, dass uns die kriminelle Energie einiger Mitmenschen nicht so wichtig ist wie die individuellen Probleme bei der Beschaffung einer Fahrkarte. Das stimmt definitiv nicht! Unsere Beiträge vom 24. und 31. Dezember sollten das unterstreichen.

          Zu Ihrer Frage: Nichts von beiden ist uns wichtig oder wichtiger. Diese Vorgänge zu werten ist Aufgabe der zuständigen Presseorgane sowie anderer Medien und dagegen vorzugehen ist Aufgabe der Ermittlungsorgane. Wir haben unsererseits bereits in zahlreichen jüngeren Beiträgen Position bezogen. Das hat scheinbar niemanden so sehr interessiert wie wenn man es nicht oder nicht ausreichend tut. Der nächste logische Schritt wäre, selbst aktiv zu werden. Das haben beispielsweise die Einwohner von Großkorbetha (wir berichteten darüber) getan und sind deshalb von der Polizei geradezu eingeschüchtert und bedroht worden („Sie machen sich strafbar!“).

          Viele Grüße und bleiben Sie uns trotzdem gewogen 😉

            • Burkhard Schmidt auf 6. Januar 2015 bei 21:54

            Liebes MN-Team,
            natürlich bleibe ich Ihnen gewogen und habe auch meistens Respekt und Lob für Ihre Arbeit, aber nicht immer.

            Viele Grüße

            Burkhard Schmidt

            • -st- auf 7. Januar 2015 bei 13:37
              Autor

            Es wäre ja schlimm, wenns immer harmonischen Gleichklang gäbe. Dann ginge es nirgends vorwärts. Ihre Kritiken sind jedenfalls gern gesehen, nicht zuletzt, weil sie konstruktiv sind, anständig formuliert und sachlich dargelegt. Ob es sich sofort wahrnehmbar niederschlägt, sei dahingestellt, aber zumindest haben Sie damit wirklich für eine selbstkritische Auseinandersetzung bei uns gesorgt und die Einsicht gebracht, hier und da doch etwas mehr den Blick zu schärfen. Danke und alles Gute!

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