Stammtischler: Balkon-Loge hoch über Hofkonzertsaal

An diesen legendären Montagabend wird man nicht nur in der Albertstraße noch lange zurückdenken. Die Markranstädter Stammtischler haben aus ihrer ersten Probe nach der Corona-Zwangspause kurzerhand ein spontanes Hofkonzert gemacht. Angesichts der großartigen Stimmung hatten da sogar die Jakedumas auf dem angrenzenden Alten Friedhof mal kurz andächtig innegehalten.

Es gab in den letzten Wochen schon ein paar musikalische Vorführungen in Markranstädt, meist vor Seniorenheimen. Die symphonischen Akteure kamen oft von weit her und das dargebotene Repertoire war auch nicht immer geeignet, pure Lebensfreude zu versprühen.

Kein Scherz: Ein zufällig vorbeikommender älterer Herr fragte während des Auftrittes eines Bläserensembles, das sein gerontes Publikum an den Fenstern gerade mit Heidschi Bumbeidschi beglückte, wer denn hier gestorben sei. Na gut, geklatscht wurde trotzdem.

Ganz anders die Stammtischler am Montagabend in der Albertstraße. Das waren wirklich lustige Weisen, fröhliche Rhythmen und tolle Stimmung, womit die Anwohner überrascht wurden.

Logenplatz mit ausreichend Abstand beim Open-Air-Probenkonzert der Stammtischler am Montagabend.

Und nicht nur die fragten sich am Ende dieses unterhaltsamen Abends, warum man eigentlich Orchesterteile aus Leipzig oder noch weiter entfernten Orten nach Markranstädt holen muss, wenn doch die Propheten quasi schon am eigenen Berge wohnen?

Natürlich hätten die Stammtischler warten können, bis auch sie vielleicht mal von einem Verteiler von Corona-Hilfen fürs Überleben kultureller Werte engagiert werden. Vielleicht um vor einem Seniorenheim irgendwo im Kohrener Land singen zu können. Aber wo wir schon mal beim Propheten sind: Man weiß, was die im eigenen Lande gelten.

In der Dämmerung standen zwei Zuschauern sogar Tränen in den Augen, als es bei „Hohe Tannen“ erklang: „Komm zu uns an das flackernde Feu-heu- er…“.

Und so haben die Stammtischler einfach Eigeninitiative ergriffen. Die Idee dazu hatte Stammtisch-Urgestein Frank Stierke. Weil es endlich wieder losgehen konnte mit der Proberei und das Ensemble noch kein Domizil dafür im Auge hatte, lud er die Truppe einfach zu sich in den Hof ein.

„Werbung haben wir dafür natürlich nicht gemacht“, gibt Stierke zu. Noch gelten ja die Corona-Beschränkungen. Also blieb es bei der Version einer privaten Probe, allerdings unter freiem Himmel und damit für alle Ohren, die sich dafür öffnen wollten.

Und genauso kam es dann auch. Die Balkone wurden zu Logenplätzen, Passanten blieben stehen und spitzten ihre Lauscher, während der Kulturkonsum weniger zutraulicher Bevölkerungsteile lediglich an wackelnden Gardinen hinter geöffneten Fenstern wahrnehmbar war.

Obwohl es sich um die erste Probe nach vielen Wochen handelte, waren die Stammtischler und ihr Publikum restlos zufrieden. „Ich habe gestaunt, wie das geklappt hat und dass das ganze Repertoire noch sitzt“, freute sich Stierke.

Stammtischler Michael Zucht fügte hinzu: „Es hätte ja nichts schief gehen können. Der schlimmste Fall ist immer der, dass das Publikum nach Hause geht. Das ging ja hier nicht, sie waren ja schon daheim.“

Was in Politik und Wirtschaft regelmäßig für Konflikte sorgt, ist in der Kultur ein probates Mittel, um trotz Corona-Beschränkungen sein Publikum zu erreichen. Die Stammtischler haben ein Leck! Irgendein Maulwurf im Team hat im Vorfeld die Kunde vom Geheim-Auftritt verbreitet und so haben auch die Markranstädter Nachtschichten Wind von der Sache bekommen.

Da war es dann nur noch ein kleiner Schritt, den TV-Übertragungswagen der MN zu satteln, am Veranstaltungsort aufzuschlagen und das Event für die Nachwelt auf digitales Zelluloid zu bannen. Hier die Zusammenfassung: Acht Minuten für die Ewigkeit von einem Konzert, wie es nur unter einer Corona-Pandemie möglich ist! Einfach draufklicken, zurücklehnen und genießen.

 

7 Kommentare

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  1. Ja, danke, das war ja mal ein sehr schöner Beitrag. Es gibt sie noch, die Stammtischler. Sucht ihr Nachwuchs? Ach, da fällt mir ein, ich wäre ja eine Stammtischlerin oder sowas. Das geht natürlich nicht. Trotzdem ein Riesen- Dankeschön an euch, die Stammtischler. Auch, wenn ich euch nur hier hören konnte. Live ist live. Das wird schon wieder. Und ein großes Dankeschön auch an euch MN-ler, ich genieße jeden Artikel von euch. Die bösen, finsteren, trotzdem leider wahren sowie die freudigen, eben wie diesen letzten. Macht weiter so.Es würde uns hier sonst etwas fehlen.

    1. Damit haben Sie den Finger in eine offene Wunde gelegt! Höchste Zeit, diesen unerträglichen Sexismus des vermeintlich sangeslustigen Haufens mal richtig anzuprangern. Nicht allein, dass mit der ausschließlich männlichen Form längst überholter patriarcher Chauvinismus gepflegt wird. Die singen auch noch deutsch und das kann sich eine offene, moderne Gesellschaft nicht länger bieten lassen. Man müsste die mal nur im Unterhemd auftreten lassen. Wenn die dann die Hände zum Himmel heben, kann man in den Achselhöhlen sicher noch alte Tattoos entdecken…

      Also grämen Sie sich nicht, dass Sie keine Stammtischlerin werden können. Mit Ihren warmherzigen, sympathischen Zeilen haben Sie diese Etappe übersprungen und sind soeben Nachtschichtlerin geworden. Glückwunsch und vielen, lieben Dank für Ihre motivierenden Worte. Willkommen an Bord!

    • Genussmensch auf 8. Juli 2020 bei 22:26
    • Antworten

    Rauf auf das Sofa, ein Sommergetränk neben an und Start. Die Stammtischler- wie schööön. Das Video war ein Wechselbad der Gefühle: Freude, Leichtigkeit, Dankbarkeit gepaart mit Sehnsucht und dem Wunsch nach mehr. Mehr von Euch, mehr von Euren warmen, heimatverbundenen Klängen und mehr Nähe zu Euch und den lieben Vip- Gästen.
    Eine ganz bezaubernde Idee, bleibt fröhlich und gesund!

    1. Vom Sofa aus lässt es sich leicht schwärmen. Wir waren mit der Kamera die ganze Zeit vor Ort und mussten das gefühlte zwei Stunden live aushalten. Wo bleibt das Lob für unsere Leidensfähigkeit?

      1. Also ich finde ja, dass Ihr als verdiente Reporter des Volkes unbedingt in die Straße der Besten gehört! Es steckt ja doch auch einiges an Arbeit bei der Aufzeichnung und Bearbeitung des Videos und des Artikels dahinter!
        Danke dafür, aber natürlich auch für die Stammtischler und die tolle Idee dahinter. Super gemacht! Ich hoffe auf baldige Wiederholung und bis dahin: Bleibt gesund!

    • markranster auf 8. Juli 2020 bei 10:59
    • Antworten

    Da kann ich mir gut vorstellen, daß mein Freund Frank einer von zwei Zuschauern war, der ein Tränchen verdrückt hat…

    1. Stimmt, er musste zeitweise ganz schön zwinkern. Aber andere auch – nicht nur zwei. Bei hartgesottenen Satirikern, die sogar schon Helene-Fischer-Konzerte überlebt haben, äußert sich das im berühmten Erpelpullover (Gänsehaut).

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