Tage der Zuckerfabrik endgültig gezählt

Da werden wohl unter so manchem Markranstädter Dekolleté zwei Herzen schlagen, ein trauriges und eins in freudiger Zuversicht. Mit der alten Zuckerfabrik soll heute Nachmittag eine der letzten Ruinen Markranstädts aus dem Stadtbild verschwinden. Und das nicht etwa in homöopathischen Dosen mit der Abrissbirne, sondern sprichwörtlich mit einem Schlag. Punkt 14 Uhr soll das Hauptgebäude gesprengt werden. Zu sehen sein wird das Spektakel aber voraussichtlich nicht so gut, denn das Areal wird ab 13:45 Uhr weiträumig gesperrt, samt Leipziger Straße. Trotzdem werden natürlich allerhand Schaulustige und Fotografen erwartet.

Die letzten Rüben wurden hier vor 31 Jahren verarbeitet, seitdem wird nur noch ein kleiner Teil des Bauensembles für die Herstellung von Kosmonautenmüsli genutzt. Die restlichen Gemäuer sind so lawede, dass sie sogar von Graffiti-Sprayern ehrfurchtsvoll gemieden werden.

Eigentlich wurde der Weg für die Bereinigung des Grundstücks bereits anno 2010 freigemacht. Seinerzeit beschloss der Stadtrat den Bebauungsplan „Alte Zuckerfabrik“ als Satzung. Aber danach ruhte es erst mal wieder still am See. 

Mit einem Klick auf die Grafik gelangen Sie zum Flächennutzungsplan für das Baugebiet "Alte Zuckerfabrik" auf der Webseite der Stadt Markranstädt.

Mit einem Klick auf die Grafik gelangen Sie zum Flächennutzungsplan für das Baugebiet „Alte Zuckerfabrik“ auf der Webseite der Stadt Markranstädt.

Erst durch den jetzt anstehenden Erweiterungsbau des REWE-Marktes sei wieder Druck in die Sache gekommen, heißt es in einer Mitteilung des für die Devastierung des Areals zuständigen Planungsbüros.

Die Hoffnung, dass der Baukörper mit der Zeit von alleine aufgibt und der Rückbau damit billiger wird, erfüllte sich allerdings nicht. Im Gegenteil. Weil die Ruine inzwischen die statischen Merkmale eines Wasserbetts aufweist, sei ein konventioneller Abriss nicht mehr möglich. Jetzt muss gesprengt werden.

„Die Vorbereitungen dazu laufen schon seit über einem Jahr“, weiß Arjen de Stroy, Sprengmeister der holländischen de Tonation Trust (TnT) GmbH.

Trotz seines gefährlichen Jobs hat der Mann jede Menge Humor. Den beweist er, als er von den Schwierigkeiten berichtet. „Unsere Leute mussten aufpassen, dass das Gebäude nicht schon beim Anbringen der Bohrlöcher über ihnen einstürzt.“

Diese Bresche in der Wand gestattet einen letzten Blick ins Innere des ruinösen Gemäuers.

Diese Bresche in der Wand gestattet einen letzten Blick ins Innere des ruinösen Gemäuers.

Da war höchste Konzentration angesagt, die jedoch immer wieder auf harte Proben gestellt wurde.

Straße der Besten

So sei einmal mitten bei Bohrungen ein altes Schild von der Wand gefallen. „Schon als es noch hing, haben wir gestaunt“, meint de Stroy. Seine Leute hatten bis dahin nicht gewusst, was eine „Straße der Besten“ sei.

Aber als die Ehrentafel dann mit der Front nach unten auf dem Boden lag, gab die Rückseite den Blick auf eine weitere geheimnisvolle Botschaft frei. De Stroys Kollegen entzifferten den Schriftzug „Zuck r für F h er, V lk und Vaterl nd“. Dieser rätselhafte Code hat das Team lange beschäftigt und sorgte für phantasievolle Heiterkeit am Arbeitsplatz.

Aber all das wird heute Nachmittag im Staub der Geschichte untergehen, nachdem die Warnsirene zum dritten und letzten Mal gehupt hat. Viele Markranstädter wollten gestern noch einen letzten Blick auf die alte Zuckerfabrik werfen. „Es waren den ganzen Tag über Menschen da und haben die Ruine aus allen erdenklichen Perspektiven fotografiert“, berichtet Arjen de Stroy.

Er hat dafür Verständnis, zumal man von der heutigen Sprengung nicht viel sehen wird. „Das ginge am besten von der gegenüberliegenden Straßenseite aus“, versichert der Sprengmeister aus Venlo, „Doch auch die müssen wir leider sperren.“ Vom REWE-Parkplatz aus könne man vielleicht noch einen Teil der Szenerie beobachten, aber „dazu muss man sich bei dem zu erwartenden Andrang am besten schon ab etwa 13 Uhr auf die Socken machen.“

Mit dieser explosionsgeschützten Spezialkamera (roter Pfeil) wird die Sprengung für die Markranstädter Nachtschichten aufgezeichnet. Das Video können Sie ab Karfreitag sehen.

Mit dieser explosionsgeschützten Spezialkamera (roter Pfeil) wird die Sprengung für die Markranstädter Nachtschichten aufgezeichnet. Das Video können Sie ab Karfreitag sehen.

Allein die Leser der Markranstädter Nachtschichten müssen auf dieses Spektakel nicht verzichten. Zwei Mitarbeiter aus de Stroys Team haben für uns am ehemaligen Pförtnerhäuschen eine Kamera angebracht, mit der wir die Sprengung aufzeichnen und Ihnen morgen als Podcast quasi frei Haus ins Wohnzimmer liefern können.

 

15 Kommentare

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  1. richterhunger@web.de haben eine zuckerdose von 1883 mit stempel von 1039 konnen sie fürs museum bekommen

    1. Danke. Wir leiten das Angebot weiter.

    • EddiKonstantin auf 1. April 2021 bei 16:30
    • Antworten

    Einfach herrlich ,dieser Aprilscherz, wenn es denn so wäre. Wenn ein Investor kommt, wird gleich früh 5.00Uhr abgerissen, die Sache wird nur verschoben. So viel schöne Aufmerksamkeit hätte der alten Zuckerfabrik in früheren Jahren gut getan, ein Arbeits – und Lebensbereich hätte erhalten werden können.

    1. Die meisten Leute haben heute selber Zucker. So ist eben der Lauf der Zeit.

    • ein Frankenheimer auf 1. April 2021 bei 12:00
    • Antworten

    Intelligenter Aprilscherz – viele Grüße auch an den Sprengmeister „Destroy“!

  2. April April ……..

  3. Wird doch wohl kein Aprilscherz sein?
    Gut gelungen. Dieser Kommentar wird erst morgen freigeschaltet. wetten das.

    • EddiKonstantin auf 1. April 2021 bei 9:46
    • Antworten

    Alles nur traurig, die Fabrik hat 45 3/4 der Markranstädter das Überleben mit Rohzucker, Melasse und Rübensaft ermöglicht, dann hat sie 10 weiteren Betrieben und Einrichtungen mit Dampf und Wärme versorgt. Letztendlich hätte ein komplettes Industriedenkmal dieser Art am Rande von Leipzig mit Gastronomie am oberen Plateau, einem höchsten Punkt von Markranstädt außer Kirchturm, als Alleinstaltungsmerkmal erhalten werden können. Das war alles 2008 gegessen, als sich Frau Radon eigenhändig mit Hammer von einer Hebebühne aus, bemühte, etwas von dem „maroden Mauerwerk“, herauszuschlagen. Verkaufsgewerbe, wie auch jetzt, war eigentlich die einzige Kraft hinter dieser Zerstörung, aber eben Trend in diesen Jahren. Auch der Holländische Sprengmeister kann nicht davon ablenken, dass die Klinkerbauten noch weitere 100 Jahre erhalten werden können, wenn man an die Dächer rechtzeitig gedacht hätte.
    Übrigens befinden sich Detailfotos von der ganzen Fabrik und jeder einzelnen ehemaligen Station im Archiv bei der Frau Kämmer, reißerische von der Sprengung können ja jetzt gaffergeil hinzugefügt werden! Die Überschrift „endgültig“ wird dennoch nicht die Erinnerung an das ehemalige Leben in diesen Gemäuern bei vielen auslöschen können, sicher ja auch nicht wollen, weil ja eben für alte Losungen und -Lebensbereiche kein Platz mehr da ist!

      • Südstrasse auf 1. April 2021 bei 21:27
      • Antworten

      Du musst als Bürgermeister kandidieren,so Einen brauchen wir, meine Stimme ist dir sicher.

      1. Ein Bürgermeister sollte aber mehr können als Ruinen verwalten.

  4. Eine Sprengung in Markranst lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Vielleicht schwenkt die Kamera auch auf die Neugierigen. Ich winke dann mal.

    • AK Schwalbe auf 1. April 2021 bei 9:19
    • Antworten

    Arjen deStroy – köstlich! Er gehört unbedingt schnell noch mit mit auf die Straße der Besten

    1. Gleich neben Christian Steifen, Timo Beil, Axel Schweiß, Clair Grube und P. Nies…

  5. True story … 😉

    1. Wird von Tag zu Tag truer.

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