Transparenz in der Änderungsfleischerei am Markt

Eigentlich heißt es ja Willkommen und Abschied. Als Satiriker sieht man die Welt aber immer aus der anderen Richtung und deshalb heißt es bei uns „Abschied und Willkommen“. Für Jens Spiske ist die Dienstzeit als Bürgermeister mit dem heutigen Tage vorüber, am Montag beginnt die Legislatur seiner Nachfolgerin. Wir haben mit beiden über ihre neuen Lebensabschnitte gesprochen. Lesen Sie heute, zum Abschied sozusagen, zuerst das Interview mit Jens Spiske.

Es war eine schwere Geburt. Das Büro ist bereits für die Übergabe vorbereitet, die Kneipen haben zu und über den Gärten hängen dichte Regenwolken. Wo will man sich da mal treffen? Klar: Im Altranstädter Home-Office, zwischen Babybrei, Küchenherd und Ehebett. 

Erstmal herzlich willkommen im Kreis der Soloselbstständigen! Wie isses so als Normalbürger, also ohne das hinten drangehängte Meisterprädikat?

Für mich ‚isses‘ nicht viel anders als vorher. Ich habe mich schon immer als Normalbürger empfunden.

Und die Nachbarn? Sind Sie für die immer noch adlig oder dürfen die schon Du sagen? Also „de Spiske“ oder dor Tschännsie …

Darüber habe ich mir noch nie wirklich Gedanken gemacht. Auf’m Dorf gibt’s eh so ne unausgesprochene Du-Sie-Regel. Und bei nem netten Plausch, möglichst noch mit einem kühlen Blonden klärt sich das mit dem Tschännsie von ganz alleine.

Und umgedreht? Wie trösten Sie alle die, die bisher in vorauseilendem Gehorsam ihre Nähe gesucht haben und die sich jetzt eifrigst neu orientieren müssen?

Gar nicht.

Ihre Amtszeit klingt mit fast vier Wochen Urlaub aus. Nicht nur Ehefrauen reagieren mit der Zeit mürrisch, wenn ihnen der Alte daheim permanent auf den Senkeln steht. Auch umgekehrt kann einem Mann bei dem femininen Kommunikationsbedürfnis mal der Schwimmer steigen. Haben Sie zu Hause schon eine Art Bürgerfragestunde eingerichtet oder wie lösen Sie das?

Die Frage müsste ich eigentlich an meine holde Angetraute weiter reichen. Zu Hause fühle ich mich schon immer als Ehemann und Vater. (Die anwesende ‚Holde‘ kichert hier das erste Mal wissend in sich hinein).

Schauspieler haben es ja leicht, wenn sie plötzlich nur noch C-Promis sind und Geld brauchen. Die gehen ins Dschungelcamp Käfer fressen, damit das Konto wieder schwarz wird. Sie hingegen kommen ja sozusagen gerade aus dem Dschungelcamp. Wie wollen Sie Ihre Tage bis zur Rente fristen?

Zum Glück war mein Konto dank der liebevollen bis strengen Achtsamkeit meiner Gattin immer schwarz. Von daher bleibt mir das Dschungelcamp vermutlich erspart. Ich gehe da schon lieber bei Käfer essen. Ja, und was genau ich bis zur Rente mache, entscheide ich in aller Ruhe. Schließlich ist mein erlernter Beruf als Arzt ja nach wie vor ein seriöser Beruf … auch für ehemalige Bürgermeister.

Als Sie Ihre Approbation als Arzt erhielten, gab es in Europa noch die Pest und der Tripper wurde mit Aderlass behandelt. Sind Sie nach so langer Abstinenz noch up to date, um moderne Zivilisationserkrankungen wie Rücken, zu kleine Möpse oder verpatzte Tattoos zu behandeln?

Verpatzte Tatoos und Rücken kenne ich aus eigenem Erleben. Da bin ich quasi automatisch up-to-Date. Aber mit den zu kleinen Möpsen bringt Ihr mich auf ne Idee. Schönheitschirurgie soll ja ein sehr einträgliches Geschäft sein …

Wie jetzt? Es könnte also sogar passieren, dass Sie in Markranstädt eine Änderungsfleischerei für körperlich benachteiligte Damen aufmachen?

Hier geht’s erstmal ne ganze Weile nicht mehr sachlich weiter. Die Spiskes halten sich den Bauch vor Lachen und eine Idee nach der anderen wird geboren. Letztlich bleibt der Eindruck, dass wir durchaus den Anstoß für eine neue Geschäftsidee entbunden haben. Der designierte Möpsedoktor schlägt als Standort für die eventuelle Klinik den ehemaligen Edeka-Markt vor. Große Fenster, von wegen Transparenz und so …

Sie haben vor kurzem noch mal Nachwuchs bekommen. Wenn man berücksichtigt, wie sich die Kleine allein von der Netto-Fleischeinwaage her entwickelt hat, wird da bald eine zwar hübsche, aber auch neugierige Göre vor Ihnen stehen, die wissen will, was ihr Alter als Bürgermeister einst so geleistet hat. Womit werden Sie sich da brüsten?

Zuerst hoffe ich mal, dass sich die irgendwann nicht mehr kleine Göre überhaupt noch für die Geschichten ihres greisen Papas interessiert und ich bis dahin noch nicht so senil bin, dass ich mich selbst nicht mehr an das erinnere, was ich in der Zeit alles angestellt habe.

Ich würde ihr gern die Ranstädter Mark zeigen, die sich unter meiner Amtszeit toll entwickelt hat und vielen Neu-Markranstädter- Familien und Gewerbetreibenden eine Heimat bietet. Aber auch die Steigerung der Gewerbeeinnahmen von 4 auf 6 Millionen finde ich bemerkenswert, weil sie Markranstädt auf lange Sicht solide Einnahmen beschert. Stolz bin ich auch auf die stetigen Investitionen in unsere Schulen und KiTa’s. Das wird ja mit das erste sein, von dem auch die kleine Emily profitiert.

Stichwort Fleischeinwaage: Sie haben die letzten 7 Jahre gefühlt x-mal pro Woche bei diversen Jubiläen gratuliert und sich mit den dargereichten Buttercremetörtchen den Alltag versüßt. Wie wollen Sie künftig dieses Kalorien-Defizit ausgleichen? Müssen wir gar aus alter Verbundenheit Care-Pakete nach Altrans schicken?

Naja, ein paar von den Törtchen trage ich ja immer noch mit mir herum … Aber besser so als wenn meine Leber auf Entzug geraten würde. Zurzeit gleiche ich das Defizit mit der Resteverwertung beim Babybrei meiner Tochter aus. Aber auf Dauer muss ich auch da mit Futterneid rechnen. Dann könnte es eng werden. Vielleicht geben mir ja die Nachtschichten Asyl? Ich hab‘ da glaub ich mal was von Brotschnaps gehört … der soll auch sehr nahrhaft sein.

Na ja, zu Brotschnaps gibt’s aber auch ein friesisches Sprichwort: „Da kann nich jeder mid üm!“ Sie bleiben ja weiter Mitglied im Rat des Kreises. Heikle Sache, denn wenn Sie da in Borna was für Markranstädt erreichen, wissen Sie schon vorab, wessen Haupt die Lorbeeren zieren werden. Im Grunde genommen arbeiten Sie damit jetzt für Ihre einstige Gegnerin, oder?

Nö, das sehe ich nicht so. Der Kreistag arbeitet ja nicht ausschließlich für Markranstädt. Und wenn es doch um unsere Stadt geht: Sitzt dann Frau Stitterich nicht eigentlich bei mir auf dem Schoß … so mal laut zu Ende gedacht. (schaut vorsichtig zur Holden)

Rein theoretisch sind Sie ja auch noch Chef des Zweckverbandes Kulkwitzer See. Kuriose Situation: Der Zweckverband existiert de facto gar nicht, obwohl er noch da ist und dessen Vorsitzender ist noch da, obwohl er … wie auch immer. Was ist denn da nun gehauen und gestochen?

So kurios ist das für mich nicht. Formal endet mein Vorsitz mit dem Ende meiner Amtszeit und noch existiert der Zweckverband formal. Bekanntlich sollte man sich ja mit Ratschlägen für den Amtsnachfolger zurückhalten. Hier würde ich abweichend davon jedoch dringend dazu raten, dass sich bei der Neuformierung auch der Vorsitz in Markranstädter Hand befindet. Sonst kabbeln wir uns wieder mit dem übermächtigen Leipzig.

Wagen wir mal einen Blick in die Zukunft. Bürger Spiske schlendert auf Shopping-Tour durch Markranstädt, kauft sich ein Eis und wie er so die Leipziger Straße überqueren will, entdeckt er gegenüber neue Stadtmöbel. Jetzt mal abgesehen von den Gedanken, die da in ihm Raum greifen: Welchen Gesichtsausdruck kann der Passant in dem Manne lesen, der sich da gerade niedersetzt?

Ihr würdet einen entspannten Mann sehen, der in Ruhe sein Eis genießt und mit sich und der Welt im Reinen ist.

Aus Kreisen der Wähler war nach dem Urnengang häufig zu hören, dass sie lediglich das kleinere Übel angekreuzt hätten. Über der traditionellen Volksweise „Wenn das kleinere Übel hinterher nur nicht immer so groß wäre“, schwebt dann allerdings auch das geflügelte Wort „Man sieht sich im Leben immer zweimal“ wie eine dunkles Omen über der Stadt. Wäre das für Sie denkbar, so nach dem Motto „Reifen gewechselt – Er ist wieder da“?

Ich will ja nicht drohen … aber vorstellbar ist für mich vieles. Ich habe immerhin in meiner unmittelbaren Umgebung schon ein Vorbild (zwinkert Richtung Schwedenstraße). Aber jetzt mal ganz ernsthaft und ein vorläufig letztes Mal etwas staatsmännisch geantwortet. Mir macht die Entwicklung in unserem Land wirklich Sorge und ich bin fest entschlossen, auch weiter politisch aktiv zu bleiben.

Zum Schluss bitte noch eine persönliche Note an die Markranstädter Nachtschichten und ihre Leser. Wenn Sie so zurückdenken, was wir Ihnen unter dem scheinheiligen Mantel angeblicher Satire so alles angetan haben – und Sie haben das wirklich mannhaft ertragen – was behalten Sie in schlechter Erinnerung und woran werden Sie noch lange mit Freude zurückdenken? Bitte das Schlechte zuerst, damit auch bei uns nur das Gute zurückbleibt.

Nee, nee, nee, den Gefallen tue ich Euch nicht. Ich bürste keinen alten Gaul, der vor ewiger Zeit mal durch’s Dorf getrieben wurde. Aber es gibt etwas, worüber ich mich heute noch freue. Eure Zeichnung, welche für die Beiträge aus der vierten Etage verwendet wird, finde ich richtig klasse. Mein erster Kommentar damals: Wenn man mit so viel Mühe und lustigen Details bedacht wird – dann hat man’s geschafft. Mit Eurem genialen Zeichner möchte ich unbedingt mal nen Brotschnaps trinken.

Ansonsten sage ich einfach: Macht weiter so! Ich lese das auch künftig (un)heimlich gern weiter.

 

8 Kommentare

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    • Tilo Lehmann auf 22. November 2020 bei 16:02
    • Antworten

    Wass’n für’n Abgang- nee: Abgesang! Gut gemacht das hier lesbare- Danke an Beide! Nu geht’s nach Vorne- mal sehen. Neues Glück – neue Liebe? BM-Ehen sind stark strapaziert haben wir in der Vergangenheit und in M. gelernt…Aber ALLE haben Markranstädt lieb(en) und gelernt!

    • Georg Deimler auf 21. November 2020 bei 12:52
    • Antworten

    Traurig und nicht runderneuert

    Die Werbeplakate vom „Reifendienst Spiske“ sind nach dessen Insolvenz mit Verspätung entfernt worden. Sie hingen sehr lange, manche Reifen rutschte an der Stange herunter und berührten fast den Boden – wären dadurch beinahe zu einer rollenden Gefahr für Lindennaundorfer Fußgänger geworden.
    Nun erschien der Abschiedsartikel des Kfz-Mechanikers Jens Spiske im Ortsblatt „Markranstädt informativ“ 11/2020. Darin stellte ich fest, seine Reifen wurden nicht runderneuert, sondern haben einen Plattfuß.
    Ich musste im Artikel zur Kenntnis nehmen – nur ein Bürgermeister kann unsere Stadt Markranstädt richtig kennenlernen, also ich als „Normalbürger“ bin dazu gar nicht in der Lage.
    Herr Spiske bedauert es ja sehr, dass die neue Bürgermeisterin nur von einer Minderheit der Wahlberechtigten gewählt wurde und das Zepter in Markranstädt nun schwingen muss. 3.550 von 13.121 Wahlberechtigten haben Nadine Sitterlich gewählt.
    In den letzten 7 Jahren bin ich sicher etwas vergesslicher geworden, aber ich weiß noch genau, auch der Reifenhändler Spiske wurde 2012 von einer Minderheit, nämlich 4.084 von 12.839 Wahlberechtigten auf den Tron des Rathauses gehoben, allerdings erst nach einer heftigen Wahlkampf-Schlammschlacht.
    Herrn Spiske macht es richtig traurig mitzuerleben, dass die friedlichen Revolutionäre von 1989 nur zur Hälfte an den erkämpften freien Wahlen in Markranstädt teilnahmen (Wahlbeteiligung 50%). Hol mir gleich ein Tempo.
    Jens Spiske war weit weg vom Land der Diktatur, ich kann mich auch nicht erinnern, ihn bei einer Montagsdemo im Herbst 89 gesehen zu haben. Aber nach 30 Jahren sollte er schon verstanden haben: Freie Wahlen – heißt auch frei zu entscheiden an Wahlen teilzunehmen oder nicht.
    In der DDR nicht an Wahlen teilzunehmen, hieß mit Repressalien rechnen zu müssen (für Herrn Spiske zum Mitschreiben und zum Dazulernen).
    Politisches Desinteresse, politische Enttäuschung oder die falschen Kandidaten, könnten Gründe sein einer Wahl fernzubleiben. Jeder darf das heute zum Glück selbst entscheiden, denn wir leben in einem freien, demokratischen Staat.
    Geringe Wahlbeteiligung? Für die Ursachenforschung sollten gerade Politiker mal ihre Synapsen befragen oder ihr Tun und Nichtstun kritisch betrachten. Wie weit sind sie noch am Wähler dran? Es muss ja nicht gleich gekuschelt werden. Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (INSEK) für Markranstädt soll nun mit einer hohen Bürgerbeteiligung erarbeitet werden. Klingt fast, wie die Worte von Willi Brandt 1969 „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Wenn‘s funktioniert, wäre schön.
    Abschied ist ein scharfes Schwert, dabei Servus sagen ist in Ordnung – aber deswegen bitte nicht die DDR-Vergangenheit bemühen. Vor allem nicht, durch einen, der keine Ahnung davon hat.
    Georg Deimler

    1. Werbeprofis bringen so lange Statements über einen Reifenwechsel in einem kurzen Slogan auf den Punkt: „Rein – rauf – runter – raus!“

  1. Es ist immer wieder erstaunlich, welch feinen Humor unser Ostfriese besitzt. Das war nicht immer so, es war ein Entwicklungsprozess. Den größten Anteil daran habt ihr Nachtschichtler (in den ersten Amtsjahren hat er euch negiert), die CDU-Fraktion, die Freien Wähler und nicht zu vergessen Manfred Schwung und Ronald Gängel. Sollte ich den Jens mal auf einem Stadtmöbel in der Leipziger Straße sitzen sehen, bekommt ihr sofort ein Foto wenn ich mich wieder gefangen habe.

    1. „…wenn ich mich wieder gefangen habe“ Dieser trockene Nachsatz hat uns am Freitag eine halbe Stunde beschäftigt und auch zwischendurch mussten wir immer wieder auflachen. Diese sechs Worte haben mehr Potenzial als der ganze Artikel. Danke!!!

      1. Da sollte ich wohl in Zukunft die Art und Weise meiner Kommentare überdenken, oder ich lasse es ganz, wenn mir nichts Dummes einfällt.

        1. NEEEIIIINNN!!!!Bitte genauso weitermachen! Dieses Kopfkino … wenn UJS erst in Schockstarre verharrt und dann versucht, mit zittrigen Händen die Kamera anzusetzen … zwischendurch immer noch mal hinschaut um sich zu vergewissern, dass das Stillleben keine Fata Morgana ist … köstlich!

    • Samoht auf 20. November 2020 bei 10:57
    • Antworten

    Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Erscheinungsbild. Damit habt Ihr einen Volltreffer gelandet. Jung, frisch, übersichtlich. Einfach top.

    Dann auch alles Gute für den Ex-Bürgermeister. Es geht zwar besser (und wird es hoffentlich auch werden), aber es war auch nicht alles schlecht. Schön und wohltuend, dass im Interview beide Seiten darauf verzichtet haben, alte Gäule zu bürsten. Am besten gefällt mir die Aussage: „Zu Hause fühle ich mich schon immer als Ehemann und Vater.“ Also da habe ich echt mal frei raus ablachen müssen…

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