Volksnah unverbindlich: Das neue Latein der Politiker

Möglicherweise haben Sie nach der letzten Stadtratssitzung die Berichterstattung aus der vierten Etage vermisst. Die gibt’s diesmal leider nicht und ob oder wann sie wieder mal über Sie hereinbricht, ist auch nicht absehbar. Bei all den Themen, die im nichtöffentlichen Teil und später noch im Hintergrund diskutiert werden, blieben für die investigativen Satiriker und ihre Leser zuletzt nur noch kaum verwertbare Krümel übrig. Lassen Sie uns deshalb mal einen Blick auf die Rückseite der politischen Medaille werfen.

Wenn man etwas nicht versteht, kommt einem das lateinisch vor. Manche sprechen sogar von Kirchenlatein, aber vor dem Hintergrund dessen, was die Politik an Neu-Latein entwickelt hat, würde man der Kirche damit Unrecht tun.

Die deutsche Muttersprache eignet sich nicht nur für ihren eigenen Suizid durch Genderei oder die linguistische Vergewaltigung von Minderheiten, sondern wird auch gern genutzt, um den Gegenüber mangels handfester Argumente mit inhaltsleeren Phrasen in die Irre zu führen.

Reden ohne was zu sagen

Wird einem Politiker beispielsweise eine unangenehme Frage gestellt, beginnt er seinen Antwortsatz gern mit der Floskel „Lassen sie mich zunächst einmal sagen…“. Nach dieser Einleitung kann er dann so lange zu einem ihm angenehmeren Thema referieren, bis der Journalist dehydriert zusammenbricht, der Akku seines Diktiergerätes den Geist aufgegeben hat oder die Tinte im Kuli ausgetrocknet ist.

Merke: Wenn ein Politiker seinen Antwortsatz mit der Floskel „Lassen sie mich zunächst einmal sagen…“ oder „Ich möchte zunächst betonen…“ beginnt, können Sie gleich weiter ins Dschungelcamp zappen. Der gesellschaftliche Nährwert insektenfressender C-Promis liegt allemal höher als das inhaltsleere Geseier, das einer solchen Phrase folgt.

Eine sehr gute Frage

Weil diese Taktik ein alter Hut ist, mussten die Rhetorik-Päpste in letzter Zeit jedoch allerhand neue Strategien entwickeln, mit denen dem normal sprechenden Plebs beizukommen ist. Das beginnt schon mit dem Dank für eine Bürgerfrage.

Und sei sie noch so unangenehm, der Politiker lobt den wissbegierigen Geist zunächst für seine Teilhabe an der Kommunikation. „Ja, das ist eine sehr gute Frage“, adelt er den Unruhestifter einleitend. Der dabei entstehende Überraschungseffekt auf Seiten des Fragestellers bringt dem Politiker den entscheidenden Vorteil. Noch während sich der Bürger im trügerischen Bewusstsein sonnt, allein mit seiner Frage einen so wichtigen Beitrag zur politischen Gestaltung dieses unseres Landes geleistet zu haben, verliert der tatsächliche Inhalt der Antwort jedwede Bedeutung.

Merke: Auch wenn ein Politiker Sie lobt, dass Sie „eine sehr gute Frage“ gestellt haben, ist das kein Garant dafür, dass seine Antwort die gleichen Qualitätsmerkmale erfüllt. In der Regel ist das aber unwichtig, weil öffentliche Fragen meist ohnehin nur gestellt werden, um den Schweigenden im Auditorium zu zeigen, dass man politisch interessiert ist und die Zusammenhänge versteht.

Ganz nebenbei fühlt sich der Fragesteller dadurch nicht nur ernst-, sondern auch „mitgenommen“. Wie gesagt: fühlt. Ja, die Bürger mitnehmen, das hört man immer wieder, wenn es um die basisdemokratischen Leitbilder geht, denen sich alle Politiker irgendwie verpflichtet fühlen. Dieses „Mitnehmen“ ist denn auch der neueste Clou, mit denen Politiker ihre bedeutungsfreie Rhetorik mit volksnahen Phrasen würzen.

Dabei geht es auch um das Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit, was als eine der sympathischsten Charaktereigenschaften des Menschen gilt. Nicht allerdings des Politikers. Wenn er keine Antwort weiß oder sie uns nicht geben will, dann greift er in die neueste Schublade und „nimmt die Frage mit“.

Der Dialog im Bürgerforum könnte sich dann ungefähr so anhören:

Bürger: Wenn das Richtfest der Kita am 18. Mai geplant ist, aber die Grundsteinlegung erst am 23. August stattfinden soll, dann stimmt doch im Bauablauf was nicht, oder?

Bürgermeister: „Das ist eine sehr gute Frage. Leider kann ich den genauen Ablauf so aus dem Stegreif nicht darlegen.“ Dann nickt er väterlich (auch Mütter scheuen diese Geste nicht) zu seiner Protokollantin hinüber und diktiert ihr laut hörbar in den Block: „Wir nehmen diesen wichtigen Hinweis noch einmal mit in die kommenden Beratungen. Hat sonst noch jemand eine Frage?“

Damit ist die Sache ein für allemal vom Tisch. Dem Bürger wurde weder eine Antwort gegeben, noch eine solche zugesagt oder wenigstens in Aussicht gestellt. Er wird auch nie eine bekommen, aber das ist ihm egal. Er fühlt sich mitgenommen und dieses Gefühl macht ihn jetzt zu einem von ihnen.

Einfach mitgenommen … und weg war die Frage

Das eigentlich nicht er, sondern seine Frage mitgenommen (und mit kühnem Schwung in den Papierkorb geworfen) wurde, hat er bei so viel Wertschätzung für sein Anliegen gar nicht mitbekommen.

Merke: Wenn ein Volksvertreter Ihren Hinweis oder Ihre Frage „mitnehmen“ möchte, sollten bei Ihnen die Alarmglocken genauso laut schrillen, als wenn er Ihr Portemonnaie mitnehmen will. Das Mitnehmen bedeutet in diesem Fall, dass Ihre Frage unwiederbringlich weg ist. In den meisten Fällen ist das allerdings ganz gut so, denn die Antwort hätte Sie ohnehin nur verunsichert.

11 Kommentare

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  1. Wiener Kongress Räpitz „Sigmund Jähn einer von uns“

    • Optimist auf 17. März 2023 bei 22:41
    • Antworten

    …. auch das war bürgernahe Kommunikation: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“
    Wann hört die Verdumung endlich auf?

    Wahrscheinlich werden nicht nur die Märchenbücher neu geschrieben, sondern auch die Volkwirtschaftslehre. Das negative Sondervermögen ist offenbar die logische Folge der Negativzinsen.

  2. Ich gebe zu diesem sehr guten Beitrag noch eine Platitüde dazu: „Wer glaubt, das Volksvertreter das Volk vertreten, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten!“ Sorry, aber zu dem Großteil unserer Volksvertreter (und je höher sie angesiedelt sind, um so mehr trifft das zu) fällt mir wahrhaft wenig positives ein!

    1. Wir glauben sogar, dass Walnuss-Öl aus Walnüssen und Olivenöl aus Oliven hergestellt wird. Selbst beim Baby-Öl dulden wir keine zweite Meinung!

        • Heiko Küster auf 18. März 2023 bei 7:41
        • Antworten

        …und das im Hundekuchen Hund drin ist. Musste jetzt sein!!!!
        Leider sind es eben nicht nur die Politiker „da oben“, die unsere Verachtung verdienen, und das finde ich extrem beängstigend!
        Schönes Wochenende trotzalledem(Heute, am 33. 33. „Jahrestag“ der 1. freien Wahlen in der ehemaligen DDR!!!)!

    • Ulrich NASER auf 17. März 2023 bei 10:29
    • Antworten

    Die Betrachtung, volksnah unverbindlich, bringt das Problem auf den Punkt. Wir sind alle Politiker. Und jeder erkennt sich selbst mehr oder weniger gut, wenn er redet. Und mal ehrlich, wer ist dabei rhetorisch wirklich gut? Meine vor kurzem gehaltene Geburtstagsrede ging voll in die Hose. Und vielen unseren Volksvertretern – sie repräsentieren uns mit all ihren Starken und Schwächen, so funktioniert repräsentativen Demokratie – geht es bei öffentlichen Reden genau so. Das alles kann man mögen oder auch nicht. Aber es ist allemal besser, als Autokratie oder Diktatur. Und ein nicht zu unterschätzender Vorteil gelebter Demokratie ist, bereits nach einer Legislaturperiode anders wählen zu können.

    1. Aber Sie wollen damit jetzt nicht sagen, dass Begriffe wie „Sondervermögen“ nur zufällig dahergesagte Umschreibungen für „neue Schulden“ sind, weil die Urheber solche Wortschöpfungen einfach nur rhetorisch nicht beschlagen sind?

  3. Das kommt mir aus der Markranstädter Bekanntheitsskala von 1-10 sehr bekannt vor! Note zum Wahrheitsgehalt in/für die (unsere?) Duma: 10+*. Übrigens- warum heißt DUMA Duma? Nicht Alalle sind dum a… . Die hinteren Bankdrücker wissen immer was von Wem so kommt… und was davon so zu halten ist wenn und für den Fall das der Mund aufgeht… Liebe MN, das Ihr in der Morgenlektüre (wieso Türe?) die Ausfallstunden fehlender Lehrerschaft so gut mit Spezialwissen kompensieren könnt: Spitze von Euch!

    1. Leider ist das wirklich so und weil Lesen heute als Spezialwissen gilt, erreichen solche Gedanken nur jene, die es ohnehin schon wissen.

    • Ute Weigand-Münzel auf 17. März 2023 bei 9:06
    • Antworten

    Sehr guter Artikel. Übrigens: Das Portemonnaie haben sie doch längst und was sie mit dem darin befindlichen Geld anfangen, sehen wir ja tagtäglich oder lesen es in der “ seriösen“ Presse. Stichwort: Kanzleramtanbau…

    1. Trotzdem werden die Fördermittelgeber immer noch als solche bezeichnet. Obwohl sie nur das Geld verteilen, das wir ihnen gegeben haben. Latein eben.

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