Wahlen in Markranistan: Fachkräfte statt Kandidaten

Hach, wie schön wäre es, wenn man sich als Satiriker nicht so einen engen regionalen Mantel wie Markranstädt genäht hätte. Man könnte sich in Wahlkampfzeiten zurücklehnen, auf Nachrichten aus der ganzen Republik warten, diese ausschlachten und dann genüsslich mit all den anderen Satire- und Qualitätsmedien gemeinsam auf die AfD einhauen. Da kann man nichts falsch machen und schwimmt immer oben mit. Wenn man seine Brotkrumen aber in Lallendorf zusammenklauben muss, dann …

… ist der Frust fast noch größer als nach dem TV-Duell. Boah war das eine Öd-Show! GEZ-finanzierter Verbalsex zweier impotenter Swinger, die eigentlich nur noch im Bett liegen wollen. Notfalls auch zusammen als eine Art bundespolitische Bedarfsgemeinschaft.

Fast schon möchte man sich nach dem einstigen Gemetzel zurücksehnen, als in Markranstädt beim Bürgermeister-Wahlkampf noch richtig die Fetzen flogen. Mal abgesehen von den Kollateralschäden, gab es damals wenigstens unterschiedliche Standpunkte. Man hatte wirklich eine Wahl und die Kandidaten haben tatsächlich gekämpft! Zumindest auf Bundesebene ist da heute irgendwie die Luft raus.

Und offenbar haben die meisten Kandidaten entweder Angst vor einem Wahlkampfauftritt in Markranistan oder sie finden den Weg nicht hierher. Die wenigen Sonnenschirme, unter denen das Volk seine Privatbestände an Kugelschreibern bisher auffüllen konnte, wurden kaum wahrgenommen. Sollte wohl auch so sein, denn sonst hätte man solche Aktionen vorher sicher angekündigt.

So aber umgibt den Bundestagswahlkampf in Markranstädt eine geheimnisvolle Aura. An einer Ecke flink ein Ständchen aufgebaut, ein paar Tütchen Gummibären in die vorbeifahrenden Rollatoren geworfen und schnell wieder weg, bevor jemand dumme Fragen stellt, mit einer Wahlanfechtungsklage droht oder die Tomaten aus dem Einkaufsbeutel fummelt.

Auch in den sozialen Netzwerken, die nicht nur aus Kostengründen zunehmend an Bedeutung im Wahlkampf gewinnen, herrscht Flaute zwischen Zschampert und Floßgraben.

Die LINKE begnügt sich seit dem vorletzten Facebook-Eintrag, der vom 2. Mai datiert, mit einem seltenen Plakat der Kanzlerin und macht damit eher Werbung für den politischen Gegner.

Bei der Markranstädter CDU kommt das Unwort „Bundestagswahl“ gleich gar nicht vor. Ein Glückwunsch zum 110jährigen Bestehen des Posaunenchors vom 23. August und ein Bericht zur jüngsten Stadtratssitzung sind die aktuellsten Informationen.

Auf der Facebook-Seite der Markranstädter SPD gibt es neben einem Wahlvideo wenigstens noch etwas Satire. Mit Eintrag vom 24. August frohlocken die Sozialdemokraten wie einst die George Dabbeljuh Bush nach der Hinrichtung von Saddam Hussein: „So da hängt er, der erste Markus Bergforth in Markranstädt.“, heißt es da unter dem Foto mit dem eigenen Spitzenkandidaten.

Einzig die Freien Wähler haben per 5. September zumindest mal ihre Landesliste vorgestellt. Allein dass diese Liste keinen Direktkandidaten für den hiesigen Wahlkreis enthält, erhebt den Informationswert dieser Nachricht jedoch kaum über den einer Wasserstandsmeldung für das mittlere Elbtal.

Ironie der Situation: Ausgerechnet die Partei, die in Markranstädt weder über eine Ortsgruppe noch einen Sitz im Parlament und wahrscheinlich auch keine Mitglieder verfügt, hat offiziell wahrnehmbar eine Wahlveranstaltung in Lallendorf angekündigt.

Neuland unterm Pflug

Am 15. September will sich AfD-Spitzenkandidat Lars Herrmann den Wählern Markranistans vorm Alten Ratsgut persönlich vorstellen. Es wird ihn wohl mit tiefer Dankbarkeit erfüllen, dass er die von den anderen Parteien so schmählich ignorierte politische Brache zwischen Floßgraben und Zschampert seelenruhig mit seiner Saat bestellen darf.

Ansonsten erschöpft sich die Bundestagswahl in Markranstädt also in eilig abgeworfenen Plakaten, die hastig an irgendwelche Pfähle gehängt werden. Das Mittelalter lässt grüßen. Fehlt eigentlich nur noch, dass die amtlichen Wahlbenachrichtigungen im Schein flackernder Fackeln von berittenen Herolden überbracht werden.

Den Kampf um Wählerstimmen überlassen die selbsternannten demokratischen Parteien im Internet-Schwellenland Markranstädt dann doch lieber einer virtuellen Maschine. Dem Wahl-O-Mat ist es schließlich egal, ob er beklatscht oder mit Tomaten beworfen wird. Nicht mal dumme Fragen kann man ihm stellen. Im Gegenteil: Die Fragen stellt der Wahl-O-Mat, nicht der Wähler. So funktioniert das heute!

Game of Thrones

Was dieses Internet-Spielzeug allerdings mitunter so ausspuckt, ist keine Wahlempfehlung, sondern gar zu oft Satire in reinster Form. Letzten Freitag hatte sich das MN-Team mal den Spaß gemacht, die Fragen der Maschine in einer Art redaktionsübergreifendem Konsens zu beantworten.

Die Wahlempfehlung des Automaten hat uns fast aus den Sesseln geworfen. Die NPD würde unseren Vorstellungen am ehesten entsprechen, meint der missprogrammierte Wahlroboter und bietet bei Nichtgefallen die LINKEN als nächstliegende Alternative an. Was haben wir gelacht!

Zurück zum Wahlkampf in Markranstädt. Dass der hier nur auf dem (Plakat-)Papier stattfindet, hat nichts mit Wahlmüdigkeit oder LmaA-Stimmung zu tun. Vielmehr ist es wohl so, dass die Parteien hier gar keine Zeit haben, sich um solche Nebensächlichkeiten wie eine lächerliche Bundestagswahl zu kümmern.

Hinter den Kulissen wird hier längst schon fieberhaft am nächsten Bürgermeister-Wahlkampf gestrickt. Im Gegensatz zur Bundespolitik, in der sich Advokaten, geburnoutete Lehrer, Ungelernte und andere lichtscheue Elemente schon mal als Minister versuchen dürfen, will man in Markranstädt nichts dem Zufall überlassen und setzt auf Kompetenz.

Arbeiter- und Bauernfakultät

Da sich ein Nachfolger nicht gezeigt hat, wird jetzt ein solcher analog der abgewickelten ABF per Erwachsenen-Qualifizierung herangezüchtet. Und das geht so:

In der nächsten Staffel von „Game of Thrones“ soll die Stadt wieder von einer kompetenten Person regiert werden, welche eben jene Führungsqualitäten aufweist, die Lallendorf in seiner erfolgreichsten Epoche so nachhaltig geprägt haben.

Es war nicht alles schlecht

Deshalb wurde jetzt für ambitionierte Bewerber eine Weiterbildungsmaßnahme der ganz besonderen Art ausgeschrieben. Getreu dem Motto „Es war nicht alles schlecht“ soll es scheinbar wieder zurück zu den Wurzeln gehen.

So funktioniert heute moderner Wahlkampf. Ohne Grabengefechte, Plakate oder Geschrei in sozialen Netzwerken. Auch einen Grund zu meckern gibt es nicht. Es steht jedem Bürger frei, sich anzumelden für die Weiterbildung zur Radonfachperson.

Der Clou: Die Investition in Höhe von 1200,- Euro hat sich nach nicht einmal einer Woche im Amt bereits voll amortisiert! Sicherheitshalber gibt es am Ende des Qualifizierungslehrgangs trotzdem eine Urkunde, die den erfolgreichen Absolventen als zertifizierten Bürgermeister ausweist.

Sozial abgesichert

Das ist wichtig, falls man wider Erwarten entweder doch nicht gewählt wird oder sein Amt wegen einer Wahlanfechtungsklage nicht gleich antreten darf. Da kann man dieses Dokument einfach beim Arbeitsamt vorlegen und – schwupps – schon ist man Geschäftsführer bei der KISA oder einem Abwasser-Zweckverband. Sie sehen also: Weiterbildung lohnt sich!

 

3 Kommentare

    • Bert auf 14. September 2017 bei 13:00
    • Antworten

    Hello MN,

    macht doch auch mal ein Kursangebot:

    01.11.2017 – Satire verstehen – 145€ – Markranstädt
    08.11.2017 – darüber lachen – 195€ – Markranstädt
    10.11.2017 – 340€ verprassen leicht gemacht – bereits ausgebucht

    • Peter auf 12. September 2017 bei 0:04
    • Antworten

    Hmmmm, was soll man denn dazu noch sagen als einfach „bravo, bravissimo“ So also geht Wahlkampf alla MS. Und Ihr werdet es nicht glauben, aber so eine Art Radonfachpersonenausbildung habe ich schon mal vor über 20 Jahren genossen und hat mir tatsächlich dann auch etwas mehr Mäuse eingebracht.
    Ich frage mich nur ein wenig warum man hier keinen anderen Kommentar sieht? Denn Ihr habt ja nichts außer Acht gelassen oder gar vergessen um die noch zum jetzigen Zeitpunkt unentschlossenen vielleicht Wähler zu informieren und zu motivieren.
    Capo mal wieder für eure super Arbeit, nur schade das Sie immer von so wenigen gewürdigt wird, aber bitte macht weiter so denn irgendwas muß sich ja lohnen hier in Markrans zu sein 🙂

    • bentin auf 11. September 2017 bei 6:33
    • Antworten

    Das Traurige ist doch, dass mittlerweile jeder begriffen hat, dass entweder der Wunschkandidat einer bestimmten Partei und Gruppe siegt oder jeder, des es naiv tatsächlich wagt, eine Alternative zu bieten, von vornherein selbst aktiv am eigenen Scheiterhaufen mit bastelt. Man muss ordentlich masochistisch veranlagt sein, will das wirklich. Oder halt unwissend.
    Was die baldige Wahl angeht – baumelt direkt vor unserem Schlafzimmer die Werbung einer einzigen Partei. Seit Wochen und ohne, dass sich irgendjemand daran künstlerisch versucht hat. Bemerkenswert.

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