Wahlnachlese: Zwischen Kaffeesatz und Glaskugel

Die Bürgermeisterwahl 2020 ist durch. Zeit, nicht mehr auf die Politiker zu hören, sondern auf die Psychologen. Die raten nach umwälzenden Veränderungen immer, die Vorgänge therapeutisch zu verarbeiten, weil man sonst irgendwann mit der Realität nicht mehr klar kommt. Schauen wir also mal, was da so war, was jetzt ist und was in Zukunft sein könnte.

Fangen wir gleich mal mit dem an, was der Psychologe unter „posttraumatischer Belastungsstörung“ versteht. Das ist nämlich weit mehr als nur eine männliche Ausdrucksform des prämenstruellen Syndroms.

Es war also Wahlkampf und zumindest für die, die nicht in sozialen Netzwerken unterwegs sind, war es eine beruhigend faire, bisweilen fast schon kuschelige Auseinandersetzung. Wenn da nicht der Wähler selbst wäre.

Was da so war …

Was da anno 2020 per anonymer Brandbriefe wieder von Menschen unter die Menschen gestreut wurde, war einfach unterirdisch. Statt den Wahlkampf denen zu überlassen, die ihn gewinnen wollen, sehen sich geheime Artilleristen immer wieder veranlasst, aus der sicheren Entfernung ihrer trauten Heime für Chaos auf dem Schlachtfeld zu sorgen.

Dabei machen sie oft genau das, was sie den Kandidaten vorwerfen: Sie entmündigen die Adressaten ihrer Botschaften, indem sie ihnen nicht zutrauen, sich selber eine Meinung bilden zu können.

Ob es nun Wahrheiten sind oder Fake-News, die da unters Volk gestreut werden, sei dahingestellt. Den homo marcransis interessiert beides eh nur peripher. Viel wichtiger ist für ihn die Frage, wer hinter den aufrüttelnden Appellen steckt, wer deren Verfasser sind.

Und genau an dieser Stelle wird’s echt giftig. Da werden einzelne Worte, Ansichten oder Formulierungen interpretiert, die man schon mal von dem einen gehört hat oder dem anderen zutrauen würde und schon steht ein völlig unbeteiligter, unschuldiger Mensch im Kreuzfeuer.

Dessen Name verbreitet sich dann in der Öffentlichkeit ebenso schnell wie das ihm zugeschriebene Pamphlet und fertig ist der Rufmord, an dem dessen Verbreiter mindestens ebenso schuldig sind wie die wahren Verfasser solcher anonymen Botschaften.

Eine Unkultur, die man keinem Kandidaten oder Amtsinhaber in die Schuhe schieben kann, sondern bei der sich jeder Bürger an die eigene Nase fassen muss.

Wähler selbst waren es mal wieder, denen die Grenzen der Fairness, des Anstands und der politischen Streitkultur egal sind. Entweder, um ihr eigenes Sendungsbewusstsein zu befriedigen oder anderen ihre eigene Meinung aufzudrängen.

Zählbares ist dabei so oder so nicht rumgekommen. Im „friendly Fire“ dieser Aktionen mussten anschließend stets auch die vermeintlich eigenen Truppenteile in Deckung gehen. Insofern hat sich’s wenigstens ausgeglichen und war nicht wahlentscheidend.

Was da so ist …

Dabei hat doch der Wahlkampf auch ohne Zutun narzisstischer Schmalgeister genügend Unterhaltung geboten. Man musste nur mit offenen Augen und gespitzten Ohren durch den Alltag in Markranstädt laufen.

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Da war beispielsweise das „Orakel von Schkeitbar“ (Titelfoto). Der dortige Friedhof, der zu heidnischer Zeit als „heiliger Hain“ eine frühzeitliche Kultstätte war, machte seinem Ruf alle Ehre.

Wahrscheinlich unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Stimulanzien aus einer nahe gelegenen Bierstube, hat das örtliche Priestertum eine künstlerische Installation geschaffen, die das spätere Wahlergebnis lange vor dem Urnengang vorausgesagt hat.

Am gleichen Ort, nur ein paar Meter weiter und mit völlig anderer Aussage, haben präastronautische Verschwörungstheoretiker an einer Stele diese kosmische Nachricht hinterlassen:

Wie uns das Wahlergebnis aus Räpitz lehrt, sind die Ureinwohner des Ortes jedoch noch nicht so weit, solche Botschaften zu verstehen. So siegte dort letztendlich das stille Gedenken über die unbefleckte Geburt.

Ganz anders drauf waren die Kunstschaffenden in Thronitz. Hier mündete die Kreativität in einer geradezu beispielhaften Symbiose aus Vorhandenem und Neuem. Die politische Aussage wurde sozusagen nahtlos in das bestehende Ensemble integriert.

Herausgekommen ist eine impressionistisch-naive Warnung der jungen Kampfreserve unserer Gesellschaft an die nur allzu gutgläubigen Greise der aktuellen Wählergeneration. Doch auch diese Botschaft verpuffte in den Wahlurnen.

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Was uns der Künstler mit dieser mutigen Installation sagen wollte, wird derzeit in der Markranstädter Kulturszene noch heftig diskutiert.

Schon will man das Volk in einem Akt demokratischer Teilhabe einbeziehen und ein Preisausschreiben ausrufen. Für die originellste Bildunterschrift gibt’s eine von Peter Bär persönlich signierte Bratwurst – oder so.

Was da so sein könnte…

Zur Zeit herrscht erstmal lähmende Ruhe im Rathaus. Hier und da wollen Passanten zwar Geräusche von Schreddern gehört haben, aber die ernteten ob solcher Berichte nur mitleidiges Lächeln von denen, die es angeblich wissen müssen. Im Nachlass gäbe es nicht mal genügend von dem, was man nicht zu schreddern bräuchte.

Indes wurde das Rathaus schon am Tag nach der Wahl für die bedingungslosen Übergabe vorbereitet. Um den Schein zu wahren und die neue Besatzungsmacht dennoch milde zu stimmen, wurden statt weißer Fahnen die grün-weißen Wimpel aus dem Park geholt und damit die Balustrade des Palastes für ein herzliches Willkommen geschmückt. Der König ist tot, es lebe die Königin. So schnell geht das.

Es ist die Zeit, in der geflügelte Worte bemüht werden. „Geschichte ist das, worauf man sich nach 30 Jahren geeinigt hat“ zum Beispiel. Oder, heute schon: „Wenn das kleinere Übel hinterher nur nicht immer so groß wäre…“

Was immer der Einzelne darunter verstehen mag, es geht auf alle Fälle ins Geld. Markranstädt wird weiblich und die Formel „Der Bürgermeister“ damit ein Fall für die politische Bio-Tonne.

Logos, Schilder, Stempel, Briefbögen – kann alles weg. Die feminine Form als „Die Bürgermeisterin“ hält Einzug. Alles neu – und das kostet. Ach hätte man doch 2012 … könnte man heute alles wieder nutzen. Na ja, konnte ja damals wirklich keiner ahnen. Und die es gewusst haben könnten, hätten sich niemals gewagt, es auszusprechen. Auf solche Gedankenverbrechen stand lebenslange gesellschaftliche Ächtung. Apropos aufheben: Wo ist eigentlich das rote Sofa?

 

5 Kommentare

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    • kleiner Beobachter auf 13. Oktober 2020 bei 10:03
    • Antworten

    Großartig geschrieben und beschrieben, besser hätte ich 🙂 es auch nicht können.
    Mehr gibt es nun nicht mehr zu sagen außer auf, auf neuer Bürgermeisterin oder wie heißt dass denn nun eigentlich in der neuen Gendersprache? Aber egal nun müssen einfach Taten folgen und alle sind zufrieden gell? Oder doch nicht, denn eines ist auch nach dieser Wahl wieder klar, „Jedem Menschen Recht getan, ist eine Kunst die Niemand kann“

    • EddiKonstatin auf 13. Oktober 2020 bei 9:35
    • Antworten

    Ist doch nun ordentlich alles gelaufen, wen interessiert der alte Knatsch noch!? Wir haben eine mit sicherer Mehrheit gewählte Bürgermeisterin. Sie ist jung und muss sich nun bewiesen. Dabei sollte sie nicht auf alles Alte verzichten und vielleicht soviel erreichen, wie die letzte weibliche Bürgermeisterin ohne allzu viel Profilierungssucht! Ich wünsche mir von ihr nachvollziehbaren Einsatz für Markranstädt und rufe Ihr zu“ Bleiben sie so wie sie sind , nur nicht noch schlechter“ , hier im Sinne von freundlicher Satire!

    1. „Wer die Geschichte nicht kennt, kann die Zukunft nicht gestalten“ – Insofern sind Rückblicke wichtig, damit sowas in Zukunft (hoffentlich) nicht mehr geschieht. Wenn wir Menschen nach dem Stuhlgang nie einen Blick in die Toilette geworfen hätten, gäbs heute kein Klopapier.

  1. Frage: Könnten die MN-Akteure sich überlegen mal der soganannten (weil bezahlten) „Qualitätspresse“ einen Studienkurs über gleichberechtigte und aufmerksam wertfreie Berichterstattung von Ereignissen geben? Täte Not. Denn Hut ab vor Euch MN! Diese bildhafte Dokumentation der Wahlnachlese ist Spitze! Danke für Euren Anstoß zum beim lesen-schmunzeln…

    1. Einspruch, Euer Ehren: Auch die Holzmedien haben sich fair und paritätisch verhalten. Da hat vielleicht (ebenso wie bei uns) nicht immer die Qualität gestimmt (vor allem die Analyse des ersten Wahlgangs in der Lokalgazette wird uns noch lange in fröhlicher Erinnerung bleiben), aber es wurde keine bevorteilt oder benachteiligt. Aber das Lob für uns nehmen wir selbstverständlich gerne an und bedanken uns bei Ihnen mit einer tiefen Verbeugung.

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