Was Sie über Home-Office unbedingt wissen sollten

In den letzten Wochen hat sich in Markranstädt eine völlig neue Form frühfeudaler Selbstausbeutung etabliert. Es wimmelt nur so von Home-Offices. Was wie selbstbestimmtes Arbeiten klingt und den Duft nach neu gewonnener Freiheit versprüht, hat aber dunkle Schattenseiten. Unser Reporter Karl Spaltengruber ist seit nunmehr über vier Wochen in so einem Home-Office gefangen und hat seine Erfahrungen jetzt mal niedergeschrieben. Ein wahrhaft erschütternder Bericht.

Ich habe Glück! Ich bin im Home-Office, also darf ich sein. Mein Kumpel ist Solo-Selbstständiger. Er hat Anspruch auf 708 Euro Hilfszuschuss. Davon muss er 400 an den Steuerberater abdrücken, der ihm das ausgerechnet hat.

Drum sitzt mein Kumpel jetzt auch zu Hause. Home-Office für immer sozusagen. Aber das ist nicht der einzige Unterschied zwischen meinem Kumpel und mir. Okay, also rein betriebswirtschaftlich mache ich im Gegensatz zu meinem arbeitslosen Freund natürlich Nasse. Ich stelle meinem Arbeitgeber quasi externe Bürofläche gratis zur Verfügung und schränke meinen eigenen Wohnraum dadurch ein. Und kontrolliert werde ich auch noch. Per Kameraüberwachung in der eigenen Wohnung. Freiwillig!

Aber ich darf arbeiten. Ist beim genaueren Hinsehen allerdings auch nicht so toll. Anfangs ging das ja noch, da war ich allein. Die Kleine ging in den Kindergarten, der Große in die Schule und meine Frau musste ins Büro. Sie ist systemrelevant.

Wer hat die häusliche Gewalt?

Wie sich bald herausstellte, besteht diese Systemrelevanz vor allem darin, dass ihr Chef die Kaffeemaschine nicht bedienen kann. Aber egal, ich war allein und das Reich unserer Wohnung war meine neue Freiheit. … War.

Genau drei Tage hielt dieser paradiesische Zustand an, dann hatte ich plötzlich die Brut meiner Lenden am Hals und eine weitere Woche später auch meine systemrelevante Frau. Ich wills mal so sagen: Der Begriff „Gewalt in der Ehe“ hat jetzt für mich eine viel tiefere Bedeutung und ich verwahre mich ausdrücklich dagegen, dass immer nur die Frau als Opfer dargestellt wird.

Aber erst mal so viel: Den Begriff „Home-Office“ gibt’s so gar nicht. Den haben wir Deutsche erfunden. Vielleicht sogar ein Markranstädter, wer weiß? Weder die Briten noch die Amis arbeiten, wenn sie zu Hause arbeiten, im Home-Office. Sie arbeiten entweder „from home“ oder sie worken „remontely“. Das Home Office ist in Großbritannien das Innenministerium! 

Und genauso fühle ich mich seit drei Wochen auch. Wie ein parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium. Um mich herum lauter chaotisch herumspringende, völlig überbezahlte und unterqualifizierte Quälgeister und dann noch eine Innenministerin, die einem von Stunde zu Stunde mehr auf den Sack geht.

Allein ihr nasaler, zunehmend angriffslustiger Ton. Der ist mir in 16 Ehejahren noch nicht aufgefallen. Ihr hingegen fiel was anderes auf. Sie wisse nicht, warum ich all die Jahre über stressige Arbeit geklagt habe, meint sie. Wenn das, was sie jetzt jeden Tag sehe, mein Stress sei, dann würde ihr jetzt einiges klar.

Zeigen Sie, wer der Chef ist!

Natürlich habe ich dann sofort meine Führungsqualitäten unter Beweis gestellt, um meiner Rolle der Bedeutung Gewicht zu geben. Eine halbe Stunde später übergab ich meiner Innenministerin eine Checkliste. „Du willst, dass ich hier wie in der Firma arbeite? Bitteschön!“

Sind alle Schlüssel gemäß des häuslichen Schließsystems vorhanden? Wann wurde die Kaffeemaschine zuletzt gereinigt? Ist die pünktliche Pausenversorgung gewährleistet? Immerhin geht es um geltende Vorschriften am Arbeitsplatz!

Punkt 10:30 Uhr habe ich Frau und Kinder dann ins Bad gerufen und mir zeigen lassen, ob sie sich die Hände richtig waschen können. Weil dem Großen etwas Rotz aus der Nase lief, habe ich ihn ins Kinderzimmer in Quarantäne geschickt. Für 14 Tage! Und die Kleine gleich mit, ist ja schließlich eine Kontaktperson.

Erst jetzt fand meine Frau die Sprache wieder, aber ich habe sie nicht über den Status des Luftholens hinauskommen lassen. „Das ist ein Home-Office, also Firmengelände! Da haben private Themen nichts zu suchen“, habe ich ihr klar gemacht.

„Aber du kannst doch …“, wollte sie fortfahren, doch ich schritt sofort ein: „Genau! Ich kann auch mit dir nicht sprechen. Es ist mir leider untersagt, mich im Büro mit betriebsfremden Personen zu unterhalten. Du weißt ja, Preisgabe von Firmeninterna und so.“

Damit habe ich ihr klar gemacht, dass hier in den nächsten Wochen zwischen Mitarbeitern und Familie gar nicht mehr gesprochen wird.

Seitdem herrscht Ruhe. Zumindest auf familiärem Gebiet.

Was die Firma angeht, habe ich mir das nötige Rüstzeug für ein erfolgreiches Home-Office inzwischen selbst hart erarbeitet. Hier mal einige Tipps für Sie.

Der Zustand Ihrer Wohnung ist eigentlich egal. Wichtig ist allein, dass es im Blickfeld Ihrer Webcam nach Arbeit aussieht. Hier kann das Erbe Ihrer Schwiegermutter, die hässlichen Sammeltassen, endlich mal zum praktischen Einsatz kommen. Sauen Sie die Staubfänger vorher ruhig richtig mit Kaffee ein und verteilen Sie sie möglichst chaotisch auf dem Schreibtisch, dazwischen positionieren Sie irgendwelche Dokumente und Kugelschreiber.

Im Hintergrund habe ich eine Weltkarte an die Wand geheftet und wahllos bunte Pins drangespickt. Auf dem Board daneben steht der Erste-Hilfe-Kasten aus dem Auto, Neben der Uhr tickt jetzt auch der Chronometer aus der Küche. Auf eine Uhr habe ich einen professionell ausgedruckten Zettel mit der Aufschrift „MEZ – Berlin“ geklebt, die andere geht sechs Stunden nach und trägt die Aufschrift „Eastern Time – New York“.

Tipps für richtiges Home-Office

Was Sie untenrum anhaben, interessiert kein Schwein. Wichtig ist nur Ihr Torso. Nicht gleich Schlips, aber Hemd sollte schon sein. Sie können dem optischen Gesamteindruck eine noch professionellere Note verleihen, indem Sie sich ein Schlüsselband umhängen, an dessen Ende eine imaginäre „Zutrittsberechtigung“ zu Ihrem Home-Office baumelt.

Nicht zuletzt sollten Sie Ihre Familie belehren. Wenn Ihre Frau schon in die Videokonferenz reinquatscht, dann sollte es professionell klingen. Also wenigstens „Sie“ und immer „Herr“. Wenn dann aus der Küche der Ruf erschallt: „Herr Müller, können sie mal schauen? Ich glaube, der Abfluss tropft“, verleiern Sie genervt die Augen und lassen Ihrem Chef per Skype zufliegen: „Sorry, sie sehen ja, alles muss man selbst machen!“

Wenn Sie das berücksichtigen, ist Ihnen die nächste Gehaltserhöhung sicher. Wie ich immer sage: Jede Krise ist auch eine neue Chance.

 

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