Wie, wo und warum unsere Gesellschaft zusammenwächst

Nach dem Exkurs in die nördlichen Gefilde Markranstädts soll es uns heute nun in den Süden ziehen. Gerade noch rechtzeitig, bevor hier wieder Heerscharen testosterongeschwängerter Lustbolzen die Himmelfahrt ihres Herrn (m/w/d) zelebrieren. Das kann nämlich in Corona-Zeiten echt gefährlich werden und in den Armen uniformierter Allgemeinverfügungshüter enden. Ja, auch auf dem Dorfe, wo man eher solidarisch-kollegiale Beziehungen über den Gartenzaun hinweg vermuten würde. Zumindest der Sage nach. Denn wie heißt es da gleich? Der beste Freund im ganzen Land, ist und bleibt der Gratulant.

Das ganze Land ächzt unter den Corona-Allgemeinverfügungen. Das ganze Land? Nein! Ein kleines wehrhaftes Völkchen zwischen Döhlen, Gärnitz und Schkölen leistet aufrechten Widerstand.

Hier gibt es sie noch, die traditionellen Tugenden nachbarschaftlichen Miteinanders, der Solidarität und Hilfsbereitschaft sowie zwischenmenschlicher Beziehungen.

Man hilft sich, wo man kann und pflegt das sprichwörtliche Gespräch über den Gartenzaun. Ein wahres Idyll, dem man im Ortskern von Thronitz jetzt sogar ein weithin strahlendes Banner gewidmet hat.

Ländliches Idyll

Das Werbeplakat erzählt von einer herzergreifenden, romantischen Geschichte über gutnachbarschaftliche Beziehungen, wie es sie nur noch auf dem Lande gibt. Was genau geschah, kann der Betrachter dieser Botschaft zwar nur erraten, aber die Mär könnte sich ungefähr so zugetragen haben:

Ein örtlicher Jubilar hat Geburtstag und will diesen coronakorrekt alleine feiern. Blöd nur, dass er in seinem Freundeskreis offenbar einige Querdenker weiß, die ihm unbedingt persönlich gratulieren wollen.

Da können im Laufe eines Geburtstages schon mal bis zu zwei Gratulanten aus fünf verschiedenen Hausständen vor der Tür stehen und den Klingelknopf zum Hotspot infizieren, ohne dass der Hauherr was dagegen tun kann. Aber wohl dem, der aufmerksame Nachbarn hat, die aufpassen und notfalls einschreiten.

 

Denn freundliche Nachbarn denken da wesentlich verantwortungsbewusster, auch wenn ihnen einige der alten Tugenden aus vergangenen Tagen, mit denen man noch Zucht und Ordnung ins Leben der Anderen bringen konnte, sicher ebenfalls noch sehr am Herzen liegen.

Wie schön, wenn sie sich dieser Zeiten erinnern und auf ganz traditionelle Gratulationsrituale zurückgreifen, die andernorts mit dem Fall der Mauer auf dem Scherbenhaufen der Geschichte gelandet sind.

Gut, hier hätte man ruhig eine neue Plane nehmen können und nicht eine von der Wende-Demo, auf der noch alte Begriffe durchscheinen, die es längst nicht mehr gibt.

Gut, hier hätte man ruhig eine neue Plane nehmen können und nicht eine von der Wende-Demo, auf der noch alte Begriffe durchscheinen, die es längst nicht mehr gibt.

Statt das Geburtstagskind durch persönliche Handreichung in eine missliche Lage zu bringen, wurde das stilecht kostümierte Ensemble eines gerade unter Auftrittsverbot leidenden Polizeiorchesters gebucht.

Wenn das pünktlich zum Geburtstagsbraten vor der Haustür ein Ständchen bringt, ist die Freude groß. „Alles hat ein Ende nur dein Fest hat zwei“ oder sowas in der Art.

Das war ganz sicher ein unvergessliches Präsent anlässlich eines noch unvergesslicheren Jubiläums.

 

So viel Besuch, damit rechnet in diesen Zeiten keiner. Und was die sprichwörtlichen gutnachbarschaftlichen Beziehungen angeht, werden diese mit solch lieben Gesten bis übers Ende der Pandemie hinaus zementiert.

Ja gut, dass ausgerechnet der Jubilar eine so tiefe Verbundenheit empfindet, dass er trotzdem eine persönliche Gratulation wünscht, kann man bei so viel geschenkter Herzensliebe auch verstehen. Aber Corona ist ja irgendwann mal vorbei und dann kann man sich auch mal wieder richtig innig um den Hals fallen. Bis dahin muss es halt reichen, dass man sich mit Plakaten bedankt.

Rosi Pilchers Traum

Wie gesagt: Alles frei erfunden. Was genau geschah oder was wirklich zum Druck dieses flammenden Plädoyers für zwischenmenschliche Kommunikation führte, ist nicht überliefert. Aber wie anders sollte es gewesen sein in einer ländlichen Siedlungsgemeinschaft, in der man aufeinander angewiesen ist? Rosamunde Pilcher hätte sich diese gelebte Realität unserer Tage nicht schöner erträumen können.

Trotzdem sollten am Himmelfahrtstage umherziehende Trupps die Deichseln ihrer Handwagen besser nicht gen Thronitz richten. Man kann nie wissen, ob sich die Ureinwohner gegenüber Fremden genauso freundschaftlich verhalten wie im Falle ihrer eigenen Stammesmitglieder. Da kann das kostümierte Orchester ganz schnell mal den Evergreen spielen: „Sechs Uhr früh, jetzt schließen sie die Zelle auf …“

 

 

3 Kommentare

  1. Gibt es eigentlich schon ein neues Sirenensignal für den täglichen Einschluss?
    Ich hatte Sonntag Abend so einen Gedanken, als kurz vor 22.00 Uhr die Sirenen heulten.

    • Doppelrömer auf 4. Mai 2021 bei 11:18
    • Antworten

    Au das tut weh. Da wird einem Angst und Bange! Armes lächerliches Deutschland, wohin bist Du verkommen…

    1. Was am Ballermann so passiert, tut auch weh. Aber man muss ja nicht hinfahren.

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