Neues aus der vierten Etage (16)

Welch ein Kontrast! Noch anderthalb Stunden zuvor strömten die Menschen erwartungsfroh ins KuK zur aktuellen Vorstellung von „Neues aus der vierten Etage“. Die Stimmung war ausgelassen, die Vorfreude auf den zu erwartenden Spaß riesig. Nur noch die Karnevalskostüme fehlten. Und dann? Nachdem um 20:07 Uhr der Schlussgong ertönt war, traten lauter ernüchtert dreinblickende, graue Gestalten aus des Ratssaals ehrwürdigem Hell in die Abenddämmerung. Kein Lacher, kein Aufreger, kein Skandal. Also 97 Minuten blanke Verarsche, wenn man so will. Da kann man ja gleich nach Markkleeberg oder Schkeuditz zur Stadtratssitzung gehen. Oder im ZDF Klaus Kleber bei der Interpretation der Inzidenzwerte zugucken. (öffnet in neuem Tab)

Zur Erinnerung: So lange, wie diesmal die ganze Sitzung dauerte, währte vor drei Wochen gefühlt allein die Diskussion um die Tagesordnung. Die ging am Donnerstag allerdings sowas von glatt durch, dass es offenbar selbst der Bürgermeisterin schon unheimlich vorkam.

Als es auf ihre Frage, ob es Anmerkungen zur Tagesordnung gebe, selbst die fraktionellen Hinterbänkler nicht mal in den Fingern zuckte, konnte sie es augenscheinlich kaum fassen und hakte mit Blick nach rechts vorsichtshalber noch einmal nach. „Alles okay, Herr Dr. Kirschner?“, wollte sie dem Arzt noch eine letzte Chance geben, etwas Stimmung in den Laden zu bringen. Aber der Medicus winkte nur müde ab.

Aus wichtigen Gründen

Im Anschluss mussten, wie angekündigt, die Abgeordneten Juhnke & Juhnke noch einmal aus dem Stadtrat austreten. Damit nicht wieder was schiefgehen kann, waren sie diesmal gar nicht erst gekommen. Das Ergebnis der Abstimmung war das gleiche wie vor drei Wochen. Soll heißen: Es gab in der Zwischenzeit bei unseren Volksvertretern auch keinen weiteren Erkenntnisgewinn.

Dem gemeinen homo marcransis hingegen stellt sich schon die Frage, ob der Austritt aus einer Partei ein nach Sächsischer Gemeindeordnung „wichtiger Grund“ ist. Für andere Volksvertreter ist der Austritt aus der eigenen Partei manchmal sogar ein wichtiger Grund, erst recht weiterzumachen.

 

Humoristischer Höhepunkt des Abends war der Auftritt eines Bürgers, der inzwischen nur noch unter dem Decknamen „junger Mann“ bekannt ist. Zumindest wird er aus unerfindlichen Gründen nach seiner Wortmeldung stets als solcher aufgerufen.

Die beiden ihm zustehenden Fragen drehten sich um das Protonentherapiezentrum und die Straßenreinigung.

Straßenreinigung halbiert

Zu letzterer bemühte er das ehemalige Stadtoberhaupt Micha Woitschek, der sich einst sogar dafür entschuldigt habe, dass in Markranstädt nur noch drei mal im Jahr gekehrt wird. Jetzt fänden die Kehrungen gar nur noch zweimal statt und das würde den Bürgern als Selbstverständlichkeit angepriesen, klagte er.

Satirischer Lichtblick

Zwei sehr ernste Fragen zweifellos. Zu ernst für das ansonsten für seine ausgelassene Heiterkeit bekannte hohe Haus. Aber das änderte sich, als der junge Mann dann plötzlich eine dritte Frage servierte und damit auf ein Problem zu sprechen kam, das alle gern hätten.

Angst vor dem Reichtum

„Wir sind in Markranstädt bei Rücklagen in Höhe von 24 Millionen Euro angekommen“, stellte der junge Mann fest und postulierte vorwurfsvoll: „Da kann einem Angst und Bange werden, ob die Stadt überhaupt in der Lage ist, so viel Geld auszugeben.“

 

Da endlich regte sich was im Saal. Spontan lunsten aus den Seiten der übrigen 38 Masken langgezogene Mundwinkel hervor und die Augen glänzten wie das Haupt von Telly Savallas. Hartes Brot allerdings für die Bürgermeisterin, die für ihren jungen Mann jetzt in den nächsten vier Wochen eine Antwort formulieren muss. Zalando alleine wird nicht reichen, um auf dem Stadtkonto endlich mal wieder Platz für neue Millionen zu machen.

Das wars fast schon mit Lustig. Nur ein paar kleine Versprecher sorgten noch für einige kurze Schmunzler. So warb die Bürgermeisterin um Geld, damit ein Corona-Zentrum finanziert werden kann. Nach den Verspätungen sowohl beim Test- als auch dem Impfzentrum will sie Markranstädt offenbar wenigstens bei den Ansteckungsquoten ganz vorne sehen.

Diät fürs Sparschwein

Ganz am Ende gabs für den jungen Mann, der sich um die Ausgabe der Markranstädter Millionen sorgt, noch aufrichtige Anerkennung von der Beigeordneten. „Kompliment, Sie haben sehr gut gerechnet! Ihre Zahlen stimmen mit unseren überein“, lobte sie.

Im gleichen Atemzug minimierte sie die Sorgen des Mannes quasi im Handstreich gleich mal um mehr als satte 70 Prozent. „Ich mache mir keine Sorgen darüber, ob wir das Geld ausgeben können, sondern eher darüber, ob es reicht“, ließ sie  wissen. In den kommenden Jahren, so viel ist absehbar, werden die Rücklagen auf rund 7,5 Millionen abschmelzen.

 

 

3 Kommentare

    • Pici Formes auf 8. Mai 2021 bei 9:31
    • Antworten

    Wunderbar, diese Erleichterung, nach einer enttäuschend öden Stadtratssitzung doch noch so was Lustiges zu lesen…aus Kot ein Bonbon gemacht, danke vielmals!

    1. Danke, aber in der Form artet das in Arbeit aus. Wir rufen dem Stadtrat zu: „Kehret zurück zu alter Streitkultur und lasset dem Spaßseinen Lauf!“

  1. Wozu braucht man ein „Corona-Zentrum“ ?
    Spahn, Wieler, Merkel sagten, nur ein paar Wochen noch, also Monate…, gehen die Politiker nun schon von Jahren aus, das man da was neues braucht?
    Ich bin mal frech und sage, ich hab da eine Immobilie, die ist quasi für sowas prädestiniert zur „Gelddruckmaschine der Krisen“ und weil ja Krise ist, muss es auch nicht legal oder rechtmäßig sein 😉
    Ist da irgendwie schon was in Planung oder wartet man ab, bis die Kneipen und Hotels alle leer sind, wegen Pleite, da ist dann für jede Krise Platz, auch ohne Neubauten.

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