Bouhlieäddülähndäräpfdhalaahd aus Markranstädt

Nur rund 170 Jahre nachdem die Holländer vor Camperduin die Schlacht um die Herrschaft auf den Weltmeeren verloren hatten, versuchten sie es im Fußball. Aber auch hier wurden die großen Entscheidungsschlachten der Geschichte vergeigt: 1974 in München, 1978 in Buenos Aires oder 2010 in Johannesburg. Als es 2018 nicht mal mehr für einen Feldzug nach Moskau reichte, war auch mit Fußball Schluss. Jetzt machen die Oranje einen auf Recycling und siehe da: In Markranstädt 2020 werden plötzlich Nägel mit Köpfen geschmiedet.

Nur knapp ein halbes Jahr hat’s gebraucht vom Kauf der Immobilie bis zum ersten Spatenstich auf dem ehemaligen Fehrer-Gelände.

Das ist beeindruckend, reicht diese Zeit bei manch anderem Investor doch oft genug nicht mal für die Erfüllung großspurig formulierter Willensbekundungen.

Und wenn’s schon mal so ist, dass ein Investor zu seinem Wort steht, ließen sich auch die geladenen Gäste nicht lange bitten, um dem ersten Spatenstich beizuwohnen. Wer weiß, wann’s wieder mal Häppchen und Sekt in so entspannter Runde gibt?

Außerdem bauen die Holländer bekanntlich die besten Dübel – der sicherste Garant für unterhaltsame Stunden an einem Dienstagvormittag.

Da hier ein gestandener Pressefotograf die Regie hatte, blieb es bei drei Anläufen fürs Foto. Wäre der MN-Bildschaffende alleine gewesen, hätte er sie den ganzen Haufen umschippen lassen…

Die holländische Morssinkhof-Rymoplast-Gruppe, ein europäischer Marktführer in Sachen Recycling von Kunststoffflaschen, hatte zuvor eigens für das Engagement in Markranstädt sogar seine erst im März 2019 entbundene Tochter MoPET GmbH vom niedersächsischen Laar an den Hopfenteich verlegt. Ein klares Signal und zugleich deutliches Bekenntnis zum Standort. In der städtischen Kämmerei darf man schon mal die Scharniere an der Schatulle für Gewerbesteuern ölen.

Stefan Morssinkhof, Ulrich Henneke (Vollack GmbH) und Raymond Niënhuis (v.l.n.r.) lauschen der Ansprache von Bürgermeister Jens Spiske.

Morssinkhof-Projektmanager Raymond Niënhuis hat eigentlich nur zwei Probleme, wobei eins davon bereits so gut wie gelöst ist.

Die Fußbodenheizung kommt weg

Das neue Werk braucht nämlich so viel Strom, dass der Draht unter dem Weg zwischen dem Kraftwerk Kulkwitz und der Ranstädter Mark derart glühen würde, dass man dort gar keinen Winterdienst mehr benötigt. Deshalb verlegt Mitnetz in den kommenden Monaten ein neues Mittelspannungskabel.

Das zweite Problem ist zwar ebenfalls rein technischer Natur, nötigt Raymond Niënhius aber bestenfalls ein verständnisvolles Lächeln ab.

Der Projektmanager spricht zwar perfekt deutsch, aber umgekehrt verfügen die deutschen Tastaturen nicht über die Voraussetzungen, um seinen Namen richtig schreiben zu können.

Raymond Niënhuis ist ganz entspannt, was die Schreibweise seines Namens angeht. Er betont ja selber noch das zweite a in Markraaanstädt.

Das e in Niënhius wird mit zwei Punkten geschrieben, ähnlich wie ä bei nämlich, über dem ü bei über oder dem ö bei öfter. Also ë. Will man das in Deutschland jedoch irgendwie aufs Papier oder den Monitor zaubern, ist eine abgeschlossene Ausbildung als Pianist von Vorteil.

Während man mit einem Finger der linken Hand die [Alt]-Taste gedrückt hält, gibt man mit der anderen Hand die Zahlenfolge 1, 3 und 7 ein, erst dann erscheint das mystische ë.

Ein Virtuose wie Lang Lang schafft das in nur drei Minuten, deutsche Sekretärinnen übergehen diesen Akkord hingegen gern unter Berufung auf das Argument „Ich hab ja auch sonst nichts anderes zu tun“.

20 Millionen für 50 Arbeitsplätze

Die gesamte Mär vom feierlichen Spatenstich ist schnell erzählt. Morssinkhof-Rymoplast will in den neuen Markranstädter Standort rund 20 Millionen Euro investieren.

Auf dem ehemaligen Werksgelände der Firma Fehrer entsteht in den nächsten Monaten eine Produktionshalle mit einer Grundfläche von rund 800 Quadratmetern. Auch eine Lagerfläche ist vorgesehen.

Ohne Bier dreht sich auf einer Baustelle kein Rad – weder am Floßgraben noch an einer Gracht.

Künftig wird am Hopfenteich in Markranstädt der zungenbrecherisch leicht über die Lippen kommende Kunststoff Polyethylenterephthalat aufgearbeitet [sprich: Bouhlieäddülähndäräpfdhalaahd], kurz PET.

Das produzierte Granulat dient als Rohstoff für die Herstellung von Getränkeflaschen. Bereits im Juli soll mit der Produktion begonnen werden, bei Coca Cola in Halle reibt man sich schon erwartungsvoll die Hände.

Natürlich gab’s beim Spatenstich neben Sekt auch Häppchen, allerdings dann leider doch keine Dübel. Dafür aber reichlich salbungsvolle Worte und Gesten.

So gab Raymond Niënhuis an Bürgermeister Spiske den Rat, gut auf seine Wirtschafts-Frontfrau Carolin Weber aufzupassen. „Die Frau ist gut und wichtig für die Stadt“, hat der MoPET-Chef gelernt.

Auch Landrat Henry Graichen hatte so viel zu loben, dass kaum jemandem aufgefallen ist, was er zu erwähnen vergaß. Auf der noch recht überschaubaren Referenzliste der Ansiedlungsagentur Invest Region Leipzig ist Morssinkhoff die weithin sichtbarste Blüte.

Überraschung aus dem Eimer

Nicht zuletzt griff auch der Planer des Neubauvorhabens beim feierlichen Spatenstich zum nagelneuen Einmal-Werkzeug. Vorher aber hatte er für den Bauherrn eine kleine Überraschung. Die bestand aus einem seinerseits mit wichtigen Werkzeugen gefüllten Eimer.

Ulrich Henneke (r.) von der Schkeuditzer Vollack GmbH hat Stefan Morssinkhof (l., im orangefarbenen Nationaltrikot) eine Wasserwaage mitgebracht. Schief kann schließlich jeder und wir sind hier in Markranstädt und nicht in Amsterdam.

Neben einem Zollstock, einer Taschenlampe und einer Maurerkelle brachte Ulrich Henneke vom Schkeuditzer Planungsbüro Vollack schlussendlich auch eine Flasche Bier ans Licht. Ohne eine zünftige Hopfenkaltschale aus Sachsen dreht sich auf den Baustellen bekanntlich kein Kran – weder zwischen Floßgraben und Zschampert, noch an den Ufern der holländischen Grachten.

Wirtschaftswunder „made in markranstädt“: Powerfrau Carolin Weber (l.) wirft ihren Haufen am höchsten. Da können Stefan Morssinkhof, Jens Spiske, Raymond Niënhuis, Landrat Henry Graichen und Ulrich Henneke  (v.l.n.r.) nur ehrfurchtsvoll staunen.

Angesichts des Tempos und der augenscheinlichen Kompetenz des Investors ist sich die Fachwelt jetzt auch in historischer Sicht einig: Möglicherweise wäre die Weltgeschichte anders verlaufen, wenn sich die Holländer im 16. Jahrhundert gleich auf das Recycling von Kunststoff konzentriert hätten, anstatt seekrank durch die Ozeane zu irren. So wäre ihnen später auch die nationale Schmach 1974 in München erspart geblieben.

Was die Experten verschweigen: Dann wäre der Markranstädter Wolfram Löwe mit der DDR-Auswahl Fußballweltmeister geworden. Aber Geschichte ist ja ohnehin nur das, worauf man sich nach 30 Jahren geeinigt hat.

 

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